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Neue Chancen für Menschen mit progredienten MS-Verläufen

Verlaufsformen der MS

MS ist nicht gleich MS. Die entzündlichen Prozesse der Erkrankung betreffen bei jedem Menschen andere Nervenzellen und Regionen, deswegen sind sowohl die Symptome als auch der Krankheitsverlauf bei jedem Betroffenen anders. Meistens tritt die MS in Schüben auf und zwischen den einzelnen Krankheitsschüben gibt es Phasen, die relativ oder sogar ganz symptomfrei sind. Wie lang diese Phasen sind, ist bei jedem anders.

Manche Menschen haben jedoch niemals „Ruhe vor der MS“. Ihre Symptome werden kontinuierlich schlimmer. Für diese Menschen mit MS gibt es aktuell nicht viele Therapieoptionen, es wird aber mit Hochdruck geforscht.

Bei der MS unterscheidet man zwischen drei Verlaufsformen:

  • Die häufigste Form ist die schubförmige remittierende MS, die RRMS. Die Abkürzung kommt vom englischen Namen dieser Verlaufsform: Relapsing Remitting Multiple Sclerosis. Bei rund 85 % der Betroffenen in Deutschland wird zunächst die RRMS diagnostiziert.1
Verlauf der schubförmig remittierenden MS (RRMS)
  • Es gibt aber auch Menschen, die von Anfang an einen fortschreitenden, also progredienten, Verlauf haben. Diese Form nennt man Primär Progrediente MS, abgekürzt PPMS.
Verlauf der primär progredienten MS (PPMS)
  • Bei anderen Menschen mit MS entwickelt sich im Laufe der Zeit aus einer schubförmigen MS ein progredienter Verlauf. Diese Form nennt man Sekundär Progrediente MS oder SPMS.
Verlauf der sekundär progredienten MS (SPMS)

Charakteristisch für die progredienten Verlaufsformen ist, dass die Beschwerden zunehmend stärker werden. Die progredienten Verlaufsformen können zusätzlich Schübe aufweisen oder ohne sie verlaufen.

Mehr Informationen zu den Symptomen und dem Verlauf kannst du hier nachlesen.

Begrenzte Therapieoptionen für progrediente Verlaufsformen

Während es für die schubförmig remittierende MS zahlreiche Therapieoptionen gibt – in der EU sind immerhin 14 Wirkstoffe zugelassen2 – ist die Auswahl für Menschen mit einer progredienten Verlaufsform deutlich geringer. Zurzeit steht für die Behandlung mit PPMS lediglich eine B-Zell-Therapie zur Verfügung. Für die SPMS sind nur drei Wirkstoffe in der EU zugelassen.3

Das liegt vor allem daran, dass unterschiedliche Dinge im Körper die Symptome während eines Schubes oder bei einem progredienten Verlauf verursachen.

  • Die Symptome bei einem Schub entstehen durch eine Entzündung von Nervenzellen. Genauso wie bei andere Entzündungen klingen diese nach einer gewissen Zeit wieder ab und die Nervenzellen können sich erholen. Zudem gibt es zahlreiche Medikamente, die eingesetzt werden können, um die Entzündung zu begrenzen und die Heilung zu beschleunigen.
  • Die Symptome der progredienten MS-Formen beruhen dagegen auf dauerhaften Schädigungen der Nerven. Sie können als Folge der Entzündungen in den Schüben wie bei der SPMS oder unabhängig davon wie bei der PPMS entstehen.

Ziel der Therapie ist es daher, die Schädigung der Nervenzellen zu verhindern oder zumindest zu minimieren, und es wird intensiv an neuen Therapien auch für die progredienten Verläufe geforscht.

Neue Therapieansätze aus Bekanntem

Ideen für neue Medikamente kommen oft von anderen Erkrankungen. Denn inzwischen weiß man, dass zahlreichen Erkrankungen eine Fehlfunktion des Immunsystems und daraus resultierende chronische entzündliche Prozesse zugrunde liegen, so zum Beispiel bei Asthma, Neurodermitis, rheumatischen Erkrankungen oder eben MS. Wenn bei zwei Krankheiten dieselben körpereigenen Mechanismen betroffen sind, ist es möglich, dass das gleiche Medikament bei beiden Erkrankungen hilft, auch wenn die Symptome sehr unterschiedlich sein können. Deswegen schauen sich Forscher sehr intensiv die Entstehungsmechanismen für Krankheiten auf molekularer Ebene an.

Man muss also nicht unbedingt bei Null anfangen, um ein wirksames Medikament zu entwickeln, sondern man kann von bekannten Wirkmechanismen lernen. Je mehr wir darüber wissen, wie Krankheiten entstehen und welche Schlüsselmoleküle den Krankheitsverlauf vorantreiben, desto besser und schneller können Therapien entwickelt werden.

Im Augenblick sind die Therapieoptionen für Menschen mit PPMS und SPMS noch begrenzt, doch es laufen mehrere klinische Studien, in denen die Wirksamkeit verschiedener Wirkstoffe untersucht wird. Solche Studien können eine gute Option für Menschen mit MS sein, für die bisherige Therapien nicht gut geeignet sind.

Könnten klinische Studien was für mich sein?

Keine Angst, es geht dabei nicht darum, Laborratte zu spielen. Wirkstoffe, die Du im Rahmen einer klinischen Studien bekommst, mussten vorher ihre Sicherheit unter Beweis stellen. Sie werden erst im Labor und anschließend mit Freiwilligen getestet. Erst wenn sichergestellt ist, dass ihr Einsatz bei Menschen keine unerwarteten Risiken birgt, dürfen sie Patienten verabreicht werden.

Zu einer klinischen Studie kannst Du Dich nicht selbst anmelden, das muss immer über qualifizierte Ärzte geschehen. Da jede Studie klar definierte Aspekte untersucht, gibt es oft sehr spezielle Anforderungen, um in eine Studie aufgenommen zu werden. Zu diesen Einschlusskriterien können zum Beispiel die Krankheitsdauer, die Symptomlast und Vortherapien gehören. Die Teilnahme an einer Studie ist immer freiwillig und als Studienteilnehmer kannst Du Deine Zustimmung jederzeit widerrufen, ohne dass Du Dich dafür rechtfertigen musst.

Sprich mit Deinem behandelnden Arzt darüber, falls Du Dich dafür interessierst an einer Studie teilzunehmen.

Stellt sich heraus, dass die neue Therapie gut funktioniert, wird Studienteilnehmern oft angeboten das Medikament auch nach Studienende weiterhin zu erhalten. Selbst wenn es noch etwas dauert, bis es offiziell auf den Markt kommt. Eine klinische Studie kann Dir also ermöglichen, ein wirksames Medikament zu erhalten, lange bevor es verschrieben werden kann. Dabei unternehmen die betreuenden Ärzte und Organisatoren der Studie alles, um Deine Sicherheit zu gewährleisten.

Apropos
Welche klinischen Studien gibt es aktuell? Klinische Studien finden in der Regel gleichzeitig in mehreren Ländern auf der ganzen Welt statt. Sie werden im Internet veröffentlicht, zum Beispiel beim Deutschen Register Klinischer Studien unter www.drks.de oder beim US-amerikanischen National Institute of Health unter www.clinicaltrials.gov.

Dort findest du Informationen darüber, welche Studien gegenwärtig Teilnehmer suchen, welche bereits abgeschlossen sind und welche Ergebnisse die Studien erbracht haben.

Quellen:
1 https://www.atlasofms.org/chart/germany/epidemiology/disease-course-at-onset, letzter Zugriff: 22.04.2021
2 https://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/amsel-aktuell/multiple-sklerose-2020-wo-stehen-wir-nach-25-jahren-ms-therapie/, letzter Zugriff: 22.04.2021