Zu den häufigsten Symptomen der Multiple Sklerosen gehören Bewegungsstörungen und eingeschränkte Beweglichkeit. Auch Sensibilitätsstörungen wie, unbegründeten Wärme- und Kälteempfindungen und Missempfindungen wie Kribbeln und Taubheitsgefühl treten recht häufig auf. Dagegen kannst Du aktiv etwas tun. Gezielte Übungen und die für Dich passende Therapie können das Fortschreiten von Bewegungseinschränkungen bremsen und Sensibilitätsstörungen abmildern.

Welche Bewegungsstörungen treten bei MS auf?

Motorische Störungen gehören meist zu den ersten Symptomen von Multipler Sklerose. Das können Unsicherheiten und Störungen beim Greifen, Gehen und Stehen sein, aber auch Lähmungen sind möglich.3  Bis zu 90 Prozent der Menschen mit MS leiden im Krankheitsverlauf zeitweise unter Bewegungsstörungen1  -  vor allem während eines akuten Schubs. Diese sind oft sehr belastend, weil Du Deinen alltäglichen Verpflichtungen und Tätigkeiten nicht mehr selbständig nachkommen kannst. Nach Abklingen des Schubs bilden sich die Bewegungsstörungen jedoch meist weitestgehend zurück. 

MS-bedingte Nervenschäden entstehen allerdings nicht nur durch akute Schübe. Sie können auch durch chronisch schwelende Entzündungsprozesse entstehen. Diese durchgehend aktive, verdeckte Entzündung kann die Nervenfasern und ihre Myelinschicht langsam, aber stetig schädigen. Dadurch können sich Bewegungsstörungen auch schleichend entwickeln oder verschlechtern, selbst wenn keine offensichtlichen Schübe auftreten.

Neben schwankenden und unkoordinierten Bewegungen scheint oft auch die Muskelkraft zu schwinden. Diese MS-bedingte Muskelschwäche kann es schwieriger machen, die Füße zu heben. Man spricht dann von einer Fußheberschwäche. Dabei kann der Fuß nicht mehr natürlich abrollen und es kann zu Gangunsicherheiten kommen.

Illustration einer Nervenzelle

Es kann auch in Körperteilen oder dem ganzen Körper zu einem rhythmischen Zittern kommen, dem sogenannten Tremor4, und zu Muskelzuckungen in Armen und Beinen.3 Das kann Gleichgewichts- und Koordinationsstörungen zur Folge haben.1

Illustration einer Nervenzelle

Funktioniert das Zusammenspiel der Muskeln in Händen, Armen oder Beinen schlecht, sprechen Fachleute von Ataxie. Dann sind feinmotorische, zielgerichtete Bewegungen eingeschränkt und es ist schwierig, zum Beispiel nach einem Glas zu greifen, Zähne zu putzen, sich anzuziehen oder am Arbeitsplatz einfache Tätigkeiten auszuführen. Sind beide Beine von Ataxie betroffen, gehen Betroffene oft breitbeinig und unsicher. Außerdem stolpern und stürzen sie leichter.4

Nicht selten werden Ataxie und Tremor als Trunkenheit missdeutet. Deshalb ist es wichtig, über diese Symptome der MS besser aufzuklären, um einer Stigmatisierung entgegenzuwirken.

Illustration einer Nervenzelle

Im weiteren Verlauf der MS kann es sein, dass Lähmungserscheinungen mit einem Gefühl der Steifigkeit und einer Anspannung in den Muskeln einhergehen. Das betrifft vor allem die Beine, die sich dann manchmal wie Blei anfühlen. Diese Muskelsteifheit, die auch schmerzhaft sein und mit Muskelkrämpfen einhergehen kann, heißt Spastik.1,5

Wie kommt es zu Bewegungsstörungen?

Bewusste Bewegungen – wie Gehen, Schwimmen oder das Greifen nach einem Glas – beginnen im Gehirn. Dort entsteht zuerst ein Bewegungsplan, der in Sekundenbruchteilen durch verschiedene Hirnzentren koordiniert wird. Der Startschuss für alle notwendigen Signale an die Muskeln fällt dann in der sogenannten motorischen Rinde – einem Bereich im Großhirn. Von dort gelangen die Signale über Nervenfasern zu den Muskeln und bewirken, dass diese sich koordiniert zusammenziehen und entspannen.6

MS gehört zu den Autoimmunerkrankungen, bei denen sich das Immunsystem gegen körpereigene Strukturen richtet. Bei MS bewirkt eine Fehlsteuerung des Immunsystems, dass dieses schrittweise das Myelin zerstört, das Deine Nervenfasern wie eine Schutzschicht umhüllt. Darüber hinaus kann es auch die Nervenfasern und Nervenzellen selbst angreifen.3 Diese Nervenschäden führen dazu, dass die Signale aus dem Gehirn nicht mehr korrekt bei den Muskeln ankommen. Dadurch kann es zu Bewegungsstörungen und Spastiken kommen. Wie genau die Schädigungen an der Myelinschicht und den Nervenfasern für die Symptome verantwortlich sind, wird noch erforscht.

Mehr über die medizinischen Zusammenhänge der MS kannst Du im Artikel „Multiple Sklerose (MS) – was ist das?“ nachlesen. 

Wie oft treten Bewegungsstörungen und Spastiken auf?

Bei einer 2018 durchgeführten Umfrage der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft (DMSG) hat die Hälfte der befragten Menschen mit MS angegeben, dass sie beim Gehen eingeschränkt seien. Etwa ein Drittel (32,3 Prozent) hatte auch Spastiken.7 Ataxie betrifft laut dem MS-Register etwa jeden zweiten Menschen mit MS.4

Balkengrafik, die zeigt, dass 50 Prozent von befragten MS-Erkrankten unter einem eingeschränkten Gehvermögen und 32,3 Prozent unter Spastik leiden.

Quelle: ms forschungs- und projektentwicklungs GmbH (Letzter Zugriff: 03.03.2025)

Welche Therapien helfen bei MS-bedingten Bewegungsstörungen?

Mobil und beweglich zu bleiben kann zu Deiner Lebensqualität beitragen. Neben einer medikamentösen Behandlung der MS kann es helfen, mit speziellen Übungen aktiv zu bleiben. 
Eventuell kommen für Dich Physio- und/oder Ergotherapie in Frage. Während die Physiotherapie gezielt Kraft, Koordination und Mobilität fördert, hilft die Ergotherapie, alltagsrelevante Bewegungen zu verbessern und Hilfsmittel optimal zu nutzen. Durch individuell angepasste Übungen lassen sich Muskelsteifigkeit, Spastiken und Gleichgewichtsstörungen lindern, wodurch Du Dir Deine Selbstständigkeit im Alltag möglichst lange erhalten kannst.

Mehr zu diesen beiden Therapiemaßnahmen kannst Du im Artikel „Physiotherapie oder Ergotherapie: Was brauche ich eigentlich?“ nachlesen.

Übungen für zu Hause

Auf unserem YouTube-Kanal findest Du verschiedene Übungsprogramme aus dem Yoga oder dem speziellen Bewegungstraining für Menschen mit Multipler Sklerose.

Gut zu wissen: Was haben Medikamente mit Deiner Beweglichkeit zu tun?

Für eine möglichst gute Beweglichkeit spielen nicht nur Übungen und Sport eine Rolle. Auch die regelmäßige Einnahme Deiner MS-Medikamente, die sogenannte Therapietreue, ist dafür wichtig, auch wenn Du dabei nicht direkt eine Verbesserung spürst. Ein Teil Deiner Therapie hat zum Ziel, Deine Nerven langfristig zu schützen, Deine Beweglichkeit zu erhalten und den Krankheitsfortschritt zu bremsen. Dein Arzt hilft Dir dabei. 

„Wer den Therapieempfehlungen seines Arztes nicht folgt, muss damit rechnen, dass sich die Erkrankung nicht bessern wird und möglicherweise sogar verschlechtert und dass mehr Komplikationen auftreten“, erklärt der Gesundheitspsychologe Prof. Dr. John Weinman in diesem MS-Begleiter-Interview. Deshalb ist es wichtig, dass Du mit Deinem Arzt*Deiner Ärztin besprichst, falls Du ein Medikament nicht gut verträgst oder es bei Dir zu Nebenwirkungen kommt. Gemeinsam könnt ihr einen Therapieplan entwickeln, der gut in dein Leben passt

Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen können ein Hinweis auf eine schwelende MS sein

Häufig treten Bewegungs- und Sensibilitätsstörungen während akuter Schübe auf. Sie können sich danach teilweise bis ganz zurückbilden. Es ist jedoch wichtig zu verstehen, dass sie sich auch schleichend entwickeln oder verschlechtern können – ohne erkennbare Schübe. 

Neue Forschungen zeigen, dass bei MS neben den sichtbaren Schüben ein chronisch schwelender Entzündungsprozess stattfinden kann, der kontinuierlich Nervenschäden verursacht. Diese verdeckte Entzündungsaktivität wird auch 'Smoldering MS' genannt. Sie kann dazu führen, dass sich Bewegungs- und Koordinationsfähigkeiten langsam, aber stetig verschlechtern. Das kann so langsam passieren, dass Du es kaum wahrnimmst. 

Vielleicht bemerkst Du nur, dass bestimmte Bewegungen mit der Zeit etwas schwieriger werden oder dass Deine Ausdauer bei körperlichen Aktivitäten allmählich abnimmt. Diese subtilen Veränderungen können leicht übersehen werden, sind aber wichtige Hinweise auf eine fortschreitende Krankheitsaktivität.

Achte auch auf kleine Veränderungen

Um diese Anzeichen einer schleichenden Krankheitsprogression früh zu erkennen, ist es wichtig regelmäßig und bewusst selbst zu checken, ob sich bei Dir körperlich etwas verändert. Ein einfaches Bewegungstagebuch kann Dir im Rückblick helfen, auch kaum wahrnehmbare Verschlechterungen über Wochen und Monate zu erkennen.
Darauf solltest Du besonders achten:

  • Erkennst Du subtile Veränderungen in alltäglichen Bewegungsabläufen, zum Beispiel ob sich Dein Gang verändert

  • Fallen Dir feinmotorische Tätigkeiten schwerer als früher, zum Beispiel Schreiben oder etwas zu- bzw. aufknöpfen

  • Spürst Du neue oder stärkerer Missempfindungen wie Kribbeln, Taubheitsgefühle oder Brennen in Händen, Füßen oder anderen Körperstellen

  • Fallen Dir gezielte Bewegungen schwerer oder merkst Du leichte Koordinationsprobleme, zum Beispiel, dass Du öfter „daneben“ greifst

  • Kommst Du bei gewohnten Aktivitäten schneller aus der Puste oder fühlst Du Dich schneller erschöpft

  • Verändert sich Dein Gleichgewichtsgefühl, besonders bei geschlossenen Augen

 

Sprich mit Deinem Neurologen oder Deiner Neurologin über Deine Beobachtungen. Diese Informationen sind wertvoll für Dein Behandlungsteam und können helfen, ein schleichendes Fortschreiten der MS frühzeitig zu erkennen. Gemeinsam könnt ihr dann entscheiden, ob Anpassungen in der MS-Therapie möglicherweise sinnvoll sind.

Kribbeln und Taubheitsgefühle – Sensibilitätsstörungen bei MS

Vielleicht hast Du Dich auch schon gefragt, warum Multiple Sklerose Taubheitsgefühle, Kribbeln und Brennen verursacht? Diese Sensibilitätsstörungen können auftreten, da das Gehirn über die Nerven nicht nur Signale sendet, sondern auch empfängt. Wird die Weiterleitung dieser Signale durch MS-bedingte Nervenschäden gestört, können Missempfindungen (Parästhesien) auftreten. Häufig betreffen diese die Arme und Beine oder die Rumpfregion. Es kann auch zu Empfindungsstörungen kommen, bei denen Du auf verschiedene Reize, besonders empfindlich reagierst. Davon können ganz unterschiedliche Körperregionen betroffen sein. 

Meist treten die Sensibilitätsstörungen bei einem akuten Schub auf. Sie bilden sich nach Abklingen des Schubs oft vollständig oder zumindest weitestgehend wieder zurück.

Wie fühlen sich Sensibilitätsstörungen bei MS an?

Sensibilitätsstörungen können sich ganz unterschiedlich äußern. Einige Betroffenen berichten von einem unangenehmem Kribbeln, als würden Ameisen über die Gliedmaßen oder den gesamten Körper krabbeln. Auch ein brennendes Gefühl ist möglich. Andere beschreiben, es fühle sich an, als hätten sie Watte zwischen den Fingern, ein pelziges Empfinden oder als wären bestimmte Körperpartien bandagiert.



»In Deutschland berichteten 61,4 Prozent von befragten MS-Erkrankten über Sensibilitätsstörungen.2«



Auch die Wahrnehmung von Temperaturen kann verändert sein. So kann es zu scheinbar grundlosen Kälte- oder Hitzegefühlen kommen. Es kann auch vorkommen, dass schon leichte Berührungen schmerzhaft sind, während anderen Betroffene von Taubheitsgefühle berichten.

Was kann bei Sensibilitätsstörungen helfen?

Wie bei den Bewegungsstörungen können auch bei Sensibilitätsstörungen physiotherapeutische Ansätze helfen. Eine bewährte Methode ist zum Beispiel die Desensibilisierung. Dabei wird der Tastsinn gezielt trainiert – etwa mit einem Igelball, einer Bürste oder verschiedenen Stoffstrukturen. Zudem können Massage- und Vibrationsreize, gezielte Greif- und Tastübungen sowie Wärme- oder Kältebehandlungen helfen. Regelmäßige Bewegung und Koordinationsübungen können ebenfalls dazu beitragen, die Sensibilität positiv zu beeinflussen. 

 

Häufig gestellte Fragen

  • Warst Du vor Deiner MS-Diagnose sportlich aktiv, spricht nichts dagegen, es auch zu bleiben. „Es kann allerdings sinnvoll sein, sich über konkrete Übungen zum Erhalt der Mobilität zu informieren, zum Beispiel im Rahmen einer krankengymnastischen Behandlung“, rät der Gesundheitspädagoge Steve Reisgies in einem Interview mit MS Begleiter.

    Der Experte erläutert: „Für Menschen mit MS ist körperliches Training besonders wichtig. Denn durch eine Stärkung der Muskulatur und Übungen zur Koordination und zur Beweglichkeit bleiben die Alltagsfähigkeiten besser erhalten und mögliche Einschränkungen können besser kompensiert werden.“ 

    Dabei geht es nicht um Höchstleistungen oder ein bestimmtes Tagespensum, wichtig ist es, dranzubleiben und Dein Übungsprogramm an Deine aktuelle Leistungsfähigkeit anzupassen.

    Wer sich lange Zeit nicht oder nur wenig bewegt hat, für den kann der Weg zu mehr Aktivität vielleicht schwierig sein. Allerdings gilt: Sind die ersten Wochen noch mühsam, folgt nach einer Weile meist die Gewöhnung und die regelmäßige Bewegung gehört irgendwann einfach in Deinen Alltag.


Quellen:

1. Multiple Sklerose Gesellschaft Wien. Bewegungsstörungen. https://www.msges.at/multiple-sklerose/symptome/bewegungsstoerungen, letzter Zugriff: 03.03.2025
2. DMSG. Sensibilitäts-, Seh- und Motorische Störungen sind die häufigsten Symptome zu Beginn einer Multiplen Sklerose. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-erforschen/grafiken-des-quartals/monats/berichte-zu-grafiken-des-quartals/monats/sensibilitaets-seh-und-motorische-stoerungen, letzter Zugriff: 03.03.2025
3. DMSG. Was ist Multiple Sklerose (MS)? https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/was-ist-ms, letzter Zugriff: 03.03.2025
4. DMSG. Welche Ziele verfolgt die Symptomatische Therapie? https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-behandeln/therapiesaeulen/symptomatische-therapie, letzter Zugriff: 03.03.2025
5. DMSG. Symptome der Multiplen Sklerose. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/symptome, letzter Zugriff: 03.03.2025
6. Mein Sanofi. Bewegung und Gehirn. https://mein.sanofi.de/themen/bewegung/bewegung-und-gehirn, letzter Zugriff: 03.03.2025
7. DMSG. Eingeschränktes Gehvermögen und Spastik – zwei häufige Symptome bei Multipler Sklerose. https://www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-erforschen/grafiken-des-quartals/monats/berichte-zu-grafiken-des-quartals/monats/eingeschraenktes-gehvermoegen-und-spastik, letzter Zugriff: 06.03.2025

 

 

MAT-DE-2501894-1.0-06/2025