Bei Multipler Sklerose denken die meisten Menschen an Bewegungsprobleme oder Gefühlsstörungen. Dabei kann eine wenig sichtbare Begleiterscheinung ebenfalls sehr belastend sein, nämlich die chronische Erschöpfung, die im Fachjargon auch Fatigue genannt wird.

Was ist Fatigue?

Der aus dem Französischen stammende Begriff „Fatigue“ ist etwas irreführend. Er klingt nach Müdigkeit und diese Übersetzung steht im Wörterbuch auch an erster Stelle.1 Im medizinischen Sinne bedeutet Fatigue aber eine ohne erkennbare Ursache und oft ohne Vorwarnung auftretende schwere Erschöpfung, die länger dauert, immer wiederkehrt und mit Antriebslosigkeit einhergehen kann. Fachleute sprechen bei MS-bedingter Fatigue manchmal auch von neurologischer Fatigue.

Fatigue ist also kein vorübergehendes Leistungstief und keine normale Müdigkeit. Sie verschwindet deshalb auch nicht, wenn Du Dich ausruhst oder schläfst. Fatigue macht Dich weniger belastbar und weniger leistungsfähig, im Alltag und auf der Arbeit. Sie kann allein oder zusammen mit anderen MS-Symptomen auftreten und eine große Einschränkung Deiner Lebensqualität bedeuten.2,3

"Fatigue bei Multipler Sklerose (MS)" einfach erklärt

Das Erklärvideo erläutert Dir, wie sich Fatigue auswirken kann und was Du dagegen tun kannst.

    Transkript: Fatigue bei Multipler Sklerose: Was ist das? Ursachen, Symptome und Bewältigungsstrategien

    Fatigue ist eine starke Erschöpfung, die körperlich und geistig vorkommen kann.  
    Fast alle Menschen mit MS leiden in ihrem Krankheitsverlauf unter diesem Symptom. 

    Ein Beispiel: Heute habe ich acht Stunden durchgeschlafen, eigentlich fast neun. Ich bin putzmunter aufgewacht. Als ich aber mein Bett machen wollte, musste ich mich dreimal hinsetzen, weil ich viel müder war, als ich sein sollte.

    Das muss nicht immer so sein. Viele Betroffene leiden nur im Sommer unter Fatigue, wenn sie stärker gestresst sind oder viel Arbeit haben. Die starke Erschöpfung muss nicht über den Tag gleichbleiben. Manche Menschen sind abends müder, andere morgens. Nicht jeder Tag ist gleich. 

    Es kann auch vorkommen, dass Du Dich an einem Tag großartig fühlst und sogar Energie für Sport hast. Ganz gleich, ob Du es dann mit dem Sport übertrieben hast oder nicht, am nächsten Tag bist Du so müde, dass Du am liebsten im Bett bleiben würdest, wenn Du die Wahl hättest.

    Fatigue bei Multipler Sklerose ist ein komplexes Symptom. Es zeichnet sich durch ein niedriges Energieniveau aus oder eine überwältigende körperliche bzw. geistige Müdigkeit und geht mit einer Verschlechterung der Lebensqualität einher. Fatigue ist einer der Hauptgründe, warum Menschen mit MS aufhören zu arbeiten. 

    Es gibt zwei Arten von Fatigue bei MS, die unterschiedliche  Ursachen haben:
    Die primäre Fatigue kann auf veränderte Reaktionen bestimmter Regionen des Gehirns und Rückenmarks zurückzuführen sein, das sind Reaktionen auf Atrophie bzw. Gewebeverlust oder auf den Verlust von Neuronen im gesamten Gehirn oder in der Großhirnrinde und durch Anwesenheit bestimmter Neurotransmitter sowie durch entzündungsfördernde Substanzen im Blut.

    Die sekundäre Fatigue kann eine Folge von Schlafstörungen, Angstzuständen und Depressionen sein oder von Infektionen, Fieber, Stress und bestimmten Arten von Medikamenten. 
    Medikamente, die heutzutage zur Behandlung von Fatigue eingesetzt werden, sind nicht sehr wirksam. 
    Die wirksamste Behandlung von Fatigue sind Bewegung und die Anpassung von Verhaltensweisen. Bis vor einigen Jahren wurde Betroffenen empfohlen, körperliche Aktivitäten zu vermeiden, um Fatigue vorzubeugen.  Heute wissen wir, dass das Gegenteil richtig ist. Studien haben gezeigt, dass regelmäßige moderate körperliche Betätigung die Fatigue verringern kann, insbesondere Krafttraining und Gleichgewichtsübungen. 

    Ein ausgewogenes Training kann die Muskelkraft, die Flexibilität und das Gleichgewicht verbessern sowie Herz, Kreislauf und Atmung stärken und damit die Müdigkeit, die Kognition, die Lebensqualität und die Atemfunktion verbessern.

    Auch Krafttraining kann der Fatigue entgegenwirken und außerdem die Gehfähigkeit verbessern.
    Dehnungsübungen können die körperliche Flexibilität verbessern, Spastiken reduzieren und schmerzhafte Muskelkrämpfe verhindern. Übungen, die das Gleichgewicht verbessern, können sich bei Stürzen positiv auswirken. 

    Die kognitive Verhaltenstherapie, kurz KVT, die von Psycholog*innen entwickelt wurde und angewandt wird, wird empfohlen. Ergotherapeuten, Physiotherapeuten, Hausärzt*innen, Neurolog*innen oder MS Nurses können Menschen mit MS bei diesen Veränderungen unterstützen.

    Auch Veränderungen im Tagesablauf können dazu beitragen, Fatigue zu lindern:
    Ruhe Dich aus, wenn Du merkst, dass Du müde wirst. Plane für tägliche Aktivitäten Ruhepausen ein. Vermeide es, in Eile zu sein. Nimm Dir für jede Aktivität ausreichend Zeit. Ernähre Dich gesund und ausgewogen. Achte beim Stehen und Sitzen auf eine gute Körperhaltung.
    Mache regelmäßig moderates Ausdauertraining und Entspannungsübungen. Trage keine schweren Sachen. Einkaufswagen gibt es nicht ohne Grund. Halte Dich kühl und trinke ausreichend. Am besten Wasser oder ungesüßte Getränke. Auch eine kühle Dusche kann halfen. 

    Ich hoffe, diese Informationen haben Dir geholfen. Bis bald!

Fatigue ist nicht gleich Fatigue 2,3

Es gibt zwei Arten von Fatigue bei MS, die alleine oder gemeinsam auftreten können:

  • Bei der motorischen Fatigue nimmt die Leistungsfähigkeit bei Alltagsaktivitäten und Sport ab, sie betrifft meist die Beine und das Gehen.
  • Bei der kognitiven Fatigue ermüden mentale Aktivitäten. Sie geht mit Konzentrationsschwierigkeiten und Gedächtnisproblemen einher. Möglich sind auch eine verringerte Aufmerksamkeit, Leseschwierigkeiten und eine nachlassende Sehschärfe.


Außerdem unterscheidet man zwischen primärer und sekundärer Fatigue:

  • Die primäre Fatigue hängt direkt mit der MS zusammen. Bei der Autoimmunerkrankung ist die Informationsleitung durch die Schädigung der Myelinschicht von Nervenzellen im Gehirn und Rückenmark gestört. Damit werden alltägliche Aufgaben viel anstrengender.
  • Die sogenannte sekundäre Fatigue entsteht durch Begleitumstände der MS, zum Beispiel durch Schlafprobleme oder durch besondere Anstrengungen, die durch MS-Symptome entstehen, zum Beispiel durch motorische Störungen.

Wie entsteht Fatigue bei MS?

Wie es genau zu der starken, manchmal chronischen Müdigkeit und Erschöpfung kommt, ist noch nicht vollständig erforscht. Für die Entstehung der primären Fatigue bei MS werden verschiedene Mechanismen diskutiert:

Illustration einer Nervenzelle

Wenn die Myelinschicht um die Nerven herum zerstört wird, nimmt deren Leitfähigkeit ab. Dann muss der Körper möglicherweise härter arbeiten, um die Signale durchzuschicken. Diese andauernde Mehrarbeit führt dann zur Erschöpfung.

Illustration eines Gehirns

Denkbar ist auch, dass Dein Gehirn versucht, die Funktionen, die durch die Schäden beeinträchtigt sind, durch eine Neuorganisation zu kompensieren. Das kostet Zeit und ist anstrengend. Zudem können Schäden im Hirnstamm Areale betreffen, die Deinen Antrieb, Deine Motivation und Stimmungslage steuern.

Illustration einer Flamme in einem Haus

Es könnten auch Immunprozesse und Entzündungsstoffe eine Rolle spielen. Zum Beispiel können Entzündungsstoffe indirekt die Stimmungslage, Motivation und den Antrieb beeinträchtigen. Du kennst das vielleicht, dass Du bei Infekten sehr erschöpft bist und kaum Energie für Alltagsaktivitäten hast.

Stilisierte Illustration einer Kaufmannswaage

Eventuell ist auch eine Fehlregulation von speziellen Hormonen an der Entstehung der Fatigue beteiligt. Diese steuern wichtige Prozesse wie die Reaktion auf Stress, Immunabläufe und die Energienutzung.

Bei der sekundären Fatigue sind es vor allem Symptome wie Schlafstörungen, Bewegungs- und Sehstörungen, Depressionen oder Infektionen, die zu starker Erschöpfung führen können. Manchmal vermindern auch Medikamente die körperliche und geistige Leistungsfähigkeit.

"Fatigue bei Multipler Sklerose (MS)" einfach erklärt

Ehrlich erklärt: "Fatigue bei Multipler Sklerose (MS)" Im diesem Erklärvideo erläutert Dr. Ehrlich Dir, wie sich Fatigue auswirken kann und was Du dagegen tun kannst.

Fatigue und chronisch schwelende Entzündungsprozesse

Neuere Forschungen zeigen, dass Fatigue eng mit einer chronischen Entzündungsaktivität zusammenhängen kann. Neben den akuten Schüben kommt es bei MS oft auch zu einer andauernden, schleichenden Entzündung. Mediziner sprechen dabei von der sogenannten „Smoldering MS“ oder „schwelenden MS“. Diese kontinuierliche Entzündungsaktivität kann die Nervenfasern und ihre Myelinschicht langsam, aber stetig schädigen, ohne dass offensichtliche MS-Schübe auftreten.

Durch die Beschädigung kann die Signalübertragung im zentralen Nervensystem beeinträchtigen werden und damit zu einer schleichenden Zunahme der Fatigue führen. Viele Menschen mit MS berichten, dass ihre Erschöpfung sich über Monate oder Jahre allmählich verstärkt hat, ohne dass sie dies mit konkreten Schüben in Verbindung bringen konnten. Diese schleichende Verschlechterung ist ein typisches Merkmal des chronisch schwelenden Prozesses bei MS.

Wie häufig kommt Fatigue bei MS vor?6

Fatigue gehört zu den meistgenannten Symptomen von MS. Insgesamt sind Frauen etwas häufiger davon betroffen als Männer. Bei den Frauen mit MS sind es 53,9 Prozent (Grafik unten links), die Fatigue als Symptom nennen, und 47,6 Prozent der Männer (Grafik unten rechts) mit MS.

Zwei Tortengrafiken, die den Anteil von Fatigue als Symptom bei Frauen (53,9 %) und bei Männern (47,6 %) zeigen.

Zudem tritt die Fatigue mit zunehmender Krankheitsdauer immer häufiger auf, wie eine Auswertung des MS-Registers der Deutschen Multiple Sklerose Gesellschaft ergeben hat. Während im ersten Jahr 30,4 Prozent der Menschen mit MS davon betroffen sind, sind es im dritten Jahrzehnt mit 58,7 Prozent fast doppelt so viele.

 

Achte auf kleine Veränderungen Deiner Fatigue

Veränderungen in der Intensität und Art Deiner Fatigue können wichtige Hinweise auf eine schleichende Krankheitsprogression sein – oft bevor andere Symptome deutlich werden oder neue Läsionen im MRT sichtbar sind. Um diese frühzeitig zu erkennen, solltest Du Deine Fatigue bewusste im Blick haben. Ein Fatigue-Tagebuch kann Dir helfen, diese oft schleichenden Verschlechterungen wahrzunehmen. Notiere Dir deshalb nicht nur die Intensität Deiner Fatigue, sondern auch begleitende Umstände, Auslöser und Bewältigungsstrategien. Im Rückblick können sich dann Muster zeigen oder Du kannst Auslöser erkennen.

Darauf solltest Du besonders achten:

  • Nimmt die Fatigue über Wochen oder Monate kontinuierlich zu?
  • Tritt sie zu anderen Tageszeiten auf als gewohnt?
  • Helfen Deine üblichen Bewältigungsstrategien nicht mehr?
  • Wird Deine Fatigue durch neue oder andere Faktoren ausgelöst oder verstärkt?
  • Verändert sich der Charakter Deiner Fatigue, zum Beispiel von überwiegend körperlicher zu mehr kognitiver Erschöpfung?


Diese Informationen sind nicht nur für Dich wertvoll, sondern auch für das Gespräch mit Deinem Neurologen oder Deiner Neurologin. Sie können helfen, eine schleichende Progression frühzeitig zu erkennen. Zusammen mit anderen Untersuchungsergebnissen erhält Dein Behandlungsteam so ein vollständigeres Bild Deiner MS-Aktivität. Gemeinsam Deinem Neurologen oder Deiner Neurologin kannst Du dann überlegen, ob Anpassungen in der MS-Therapie sinnvoll sind.

Wie wird Fatigue diagnostiziert?3

Es gibt nicht DEN einen Test und es können verschiedene Untersuchungen eingesetzt werden, die sich nach Art der Fatigue unterscheiden.

Motorische Fatigue: Zur Diagnose wirst Du wahrscheinlich Fragebögen wie dem Würzburger Erschöpfungsinventar, der Fatigue-Skala für Motorik und Kognition oder dem Fatigue Index Kliniken Schmieder begegnen. Damit erfragen Ärzte und Ärztinnen sowie Physiotherapeut*innen Deine Beobachtungen und Wahrnehmungen.

Möglich sind auch Videoanalysen auf einem Laufband, um zu ermitteln, ob Du ausgeruht anders gehst als nach einer gewissen Belastung. Hebst Du zum Beispiel Deine Füße oder beugst Du Deine Hüfte weniger als vorher? Schaffst Du es nur noch, weniger weit zu gehen? Dieser Praxistest hilft abzuklären, inwieweit Deine Gehbeeinträchtigungen auf sekundären Problemen wie Schlafstörungen und Depressionen beruhen oder ob es an der Fatigue liegt.

Kognitive Fatigue: Auch geistige Tätigkeiten wie Lesen und Büroarbeit können eine Erschöpfung auslösen. Für die Messung dieser mentalen Fatigue gibt es sogenannte Alertness-Tests (Aufmerksamkeitsprüfung), die zum Beispiel Deine Reaktionszeiten auf sichtbare und hörbare Reize messen. Oft sind diese bei MS verzögert.

Parallel dazu kann Dich Dein Arzt oder Deine Ärztin auch nach Deinen subjektiven Beobachtungen fragen. Es kann sein, dass Deine Aufmerksamkeit und geistige Ausdauer gar nicht so schlecht sind, wie Du denkst. Manchmal wirst Du Dich eventuell auch überschätzen.

Wie wird Fatigue behandelt?3

Es gibt keine Medikamente, die speziell gegen Fatigue helfen, denn Fatigue kann ganz unterschiedliche Ursachen haben. Das bedeutet aber nicht, dass du nichts dagegen tun kannst. Zum Beispiel können allgemeine MS-Therapien Deinen Körper entlasten und so auch gegen die Fatigue helfen.4

Hinter Deiner Fatigue könnten auch sekundäre Ursachen stecken, wie Nebenwirkungen von Medikamenten oder Faktoren, die durch die MS begünstigt werden, wie Schlafstörungen. Oft lassen sich diese behandeln. Werden diese sekundären Ursachen gelindert, kann auch die Fatigue nachlassen.3,5 Ein Beispiel: Fast die Hälfte der MS-Betroffenen mit Fatigue leidet unter Schlafstörungen. Daher lohnt sich eine Abklärung im Schlaflabor. Schlafprobleme sind meist gut therapierbar und können die Fatigue spürbar lindern.5

Sprich mit Deinem behandelnden Arzt oder Deiner behandelnden Ärztin darüber, ob eine medikamentöse Behandlung für Dich infrage kommt und welche gegebenenfalls am besten für Dich geeignet ist.

Was hilft noch gegen MS-bedingte Fatigue?

Ein Patentrezept gegen Fatigue gibt es zwar nicht, aber mit Unterstützung Deines Arztes, Deiner Ärztin oder einer Selbsthilfegruppe kannst Du herausfinden, wie Du Deine Energie am besten einteilst und auftankst. Es kann zum Beispiel helfen, Aufgaben in kleine Arbeitsschritte zu unterteilen oder einen Tag in der Woche keine Termine zu machen. Auch regelmäßig Sport zu treiben, Musik zu hören und Reizüberflutungen zu minimieren, sind Taktiken, die Menschen mit MS nutzen, um mit ihrer Fatigue umzugehen.

    Oft verstärken warme Temperaturen, ein heißes Bad oder körperliche Anstrengung beim Sport die Fatigue-Symptome. Geht es Dir auch so? Dann können Kühlpads, Kühlwesten oder kalte Bäder helfen.

    Versuche dann, Aktivitäten auf kühlere Tageszeiten zu legen. Alternativ kannst Du Dich auch mit einem kalten Getränk oder einer Dusche abkühlen, bevor Du bei wärmeren Temperaturen rausgehst oder Sport treibst.7,8

    Warum Wärme negativ und Kälte positiv wirkt, ist noch nicht genau verstanden. Forscher*innen vermuten, dass die Myelinschicht um die Nerven diese vor Temperaturänderungen schützt und dieser Schutz durch den Myelinabbau sinkt. Steigende Temperaturen scheinen die Signalweiterleitung in den Nerven zu erschweren.8 In einigen Fällen hat man in der Gehirnregion, die für die Temperaturregulation verantwortlich ist, Schäden durch MS gefunden.9 Das passt zu Hinweisen, dass bei Menschen mit MS die Regulation der Körpertemperatur nicht so gut funktioniert wie bei Gesunden. Dadurch steigt ihre Körperkerntemperatur schneller, das könnte die Wärmeempfindlichkeit triggern. Auslöser kann sogar schon sein, wenn sich die Hauttemperatur in der Sonne erhöht.8

    Verwirrenderweise kann auch Kälte Deine Fatigue verschlimmern. Das müssen nicht unbedingt eisige Temperaturen sein, sie kann auch bei einer vorübergehenden Abkühlung durch Regen oder Wind auftreten.9

    Verantwortlich dafür ist möglicherweise derselbe Mechanismus, der auch hinter Wärmeempfindlichkeit steht.8 Auch hier könnten Myelinschäden in dem Gehirngebiet für Temperaturregulation verantwortlich sein. Möglich sind auch Läsionen in einer anderen Hirnregion, die das Kältezittern steuert. Fällt diese Reaktion aus, fühlst Du Dich dauerhaft kalt.9

    Warme Kleidung in mehreren Schichten und Decken kann helfen, eine angenehme Temperatur zu finden. Im Winter kannst Du auch Thermosocken und -unterwäsche tragen. Versuche, Dich regelmäßig zu bewegen, um die Durchblutung anzuregen und durch Kälte steife Muskeln zu lockern. Warmes Essen und Getränke helfen ebenfalls; nur Alkohol solltest Du nach Möglichkeit meiden, weil er die Blutgefäße in der Haut weitet und dadurch das Kältegefühl verstärken könnte.9

    Verschlimmern sowohl Wärme als auch Kälte Deine Fatigue, dann versuche, flexible Lösungen für angenehme Temperaturen zu finden.

    Lichtmangel – vor allem im Winter – kann Deine Fatigue ebenfalls verstärken. Dann können Tageslichtlampen helfen, die Dir zusätzliches Licht mit dem vollen Lichtspektrum spenden. Unabhängig von den Jahreszeiten berichten viele Betroffene zudem, dass sie über den Tag hinweg immer weniger leistungsfähig werden.8

    Flavonoide im Kakao gelten als gesund. Sie könnten sogar die Fatigue etwas mindern, wie eine Pilotstudie zeigte. Patient*innen, die sechs Wochen lang morgens eine warme Kakaomilch tranken, merkten einen kleinen, aber nachweisbaren Rückgang ihrer Fatigue. Sie konnten bei einem 6-Minuten-Gehtest weiter laufen als vor der Studie.10 Hier sind aber noch größere Studien nötig, um den Verdacht auf diesen Effekt zu erhärten.

    Wichtig ist auch, dass Du ausreichend trinkst, denn zu wenig Flüssigkeit kann ebenfalls zur Fatigue beitragen. Wenn Dein Herz und Deine Nieren gesund sind, solltest Du täglich zwei bis drei Liter trinken.5

    Achte auch darauf, dass Du genug Vitamine, Mineralstoffe und Spurenelemente zu Dir nimmst. Sie sind wichtig für Deine Kraft und Deinen Energiehaushalt.5 Vitamin B12 ist zum Beispiel für den Energiestoffwechsel wichtig, ein Mangel kann Müdigkeit, aber auch Nervenstörungen verursachen.

    Früher wurde MS-Patient*innen empfohlen, sich zu schonen. Inzwischen gilt, dass Bewegung in Maßen die Belastbarkeit verbessern kann. Am besten versuchst Du, Dich regelmäßig und so oft wie möglich draußen zu bewegen.

    Es können ganz einfache Sachen sein wie ein Spaziergang, Fahrradfahren und leichte Fitnessübungen. Damit stärkst Du Deine Muskulatur und unterstützt Deine Beweglichkeit. Wichtig ist, dass Du Dir danach auch eine Pause gönnst und mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin sprichst, wenn Dir Bewegung nicht guttut.

    Auch ein Fatigue-Tagebuch zu führen, ist eine gute Idee.5 Es kann Dir helfen, die Gedanken an die Fatigue loszulassen, und es gibt Deinem Arzt oder Deiner Ärztin hilfreiche Informationen über die Auswirkungen Deiner Fatigue. Vielleicht kannst Du mithilfe des Tagebuchs auch selbst Strategien finden, wie Du mit der Fatigue besser umgehen kannst. Probiere es doch mal aus. Hier kannst Du eine Vorlage für ein Fatigue-Tagebuch herunterladen.

    Zu viel Druck und Stress können Deine Fatigue verstärken. Deshalb sind nicht nur regelmäßige Ruhepausen wichtig. Gönne Dir auch bewusst längere Auszeiten und probiere, ob Dir Entspannungsübungen wie Autogenes Training, Yoga oder Meditation helfen.5

    Fatigue wird in der neurologischen Praxis manchmal nicht ausreichend beachtet. Das liegt daran, dass die chronische Müdigkeit subjektiv und schwer messbar ist. Umso wichtiger ist es, dass Du proaktiv das Gespräch mit Deinem Neurologen oder Deiner Neurologin suchst und Veränderungen in Deiner Fatigue detailliert beschreibst.

    • Bringe Dein Fatigue-Tagebuch mit und besprich Muster oder Veränderungen mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin.
    • Beschreibe konkret, wie sich die Fatigue auf Deinen Alltag und Deine Lebensqualität auswirkt
    • Frage nach, ob die Veränderungen in Deiner Fatigue mit anderen Untersuchungsergebnissen zusammenhängen könnten.
    • Frag auch, ob Deine MS-Behandlung angepasst werden sollte, um eine mögliche chronische Entzündungsaktivität besser in den Griff zu bekommen.
    • Sprich außerdem über mögliche symptomatische Behandlungsoptionen für die Fatigue

    Ein offener, kontinuierlicher Dialog ermöglicht es Deinem Neurologen, ein vollständigeres Bild Deiner MS-Aktivität zu erhalten. Fatigue kann ein wichtiger Indikator für chronisch schwelende Entzündungsprozesse sein, die möglicherweise im Standard-MRT nicht sichtbar ist. Deine Beobachtungen und Erfahrungen sind daher ein wertvoller Baustein für die Beurteilung der tatsächlichen Krankheitsaktivität.

Häufig gestellte Fragen

  • Fatigue ist mehr als Müdigkeit. Wie sie sich anfühlt, können nur die Betroffenen selbst beschreiben und das Empfinden ist auch nicht für jede*n gleich. Manche sprechen von einem Überfall extremer Müdigkeit und Erschöpfung, andere von bleierner Schwere. Fatigue kann sich anfühlen, als würde der Körper permanent auf Reserve laufen, ohne die Möglichkeit, den Akku wieder aufzuladen. Selbst nach ausreichend Schlaf bleiben die Müdigkeit und die Antriebslosigkeit bestehen. Die starke Erschöpfung kann jede Bewegung und jedes Denken erschweren. Einfache Aufgaben, die sonst mühelos waren, werden zu unüberwindbaren Hürden.

    Es ist sicher schwer, Deiner Familie, Freund*innen und Kolleg*innen zu erklären, warum Du Dich oft ausruhen musst. Sie sagen vielleicht, dass Du nur müde bist und Schlaf brauchst. Oder sogar, dass Du Dich doch nur aufraffen musst, dann wird das schon … Von außen können sie nicht sehen, dass Deine Erschöpfung keine Frage der Willenskraft ist und dass kein Nickerchen oder ausreichend Schlaf helfen.

    Einen guten Einblick, wie sich Fatigue anfühlt, erhältst Du in unserem MS-Begleiter-Video „Wie beschreibst Du Deine Fatigue?“, in dem Betroffene und ihre Angehörigen diese Frage beantworten. Auch Regina beschreibt in ihrem 1.000-Gesichter-Videoportrait, was Fatigue für sie bedeutet.

  • Fatigue tritt oft als Begleiterscheinung einer Erkrankung auf. Neben Multipler Sklerose (MS) sind das auch andere chronisch-entzündliche Erkrankungen wie Rheuma oder Parkinson oder Tumorerkrankungen. CFS hingegen ist eine eigenständige, schwere neuroimmunologische Erkrankung, die viele verschiedene Beschwerden verursacht. Betroffene leiden nicht nur unter ausgeprägter Fatigue, sondern haben auch Probleme mit Konzentration, dem Kreislauf und dem Immunsystem.


Quellen:

1. PONS. Französisch-Deutsch. Übersetzung: fatigue. https://de.pons.com/übersetzung/französisch-deutsch/fatigue, letzter Zugriff: 03.03.2025
2. Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft. Fatigue. www.multiplesklerose.ch/PDF/de/Infoblaetter/03_Psychische_Aspekte/MS-Info_Fatigue.pdf, letzter Zugriff: 03.03.2025
3. Sehle A et al. Fatigue und kognitive Beeinträchtigungen bei der MS. neuroreha 2014; 6(1): 22–8. https://www.thieme-connect.com/products/ejournals/pdf/10.1055/s-0034-1372453.pdf, letzter Zugriff: 11.04.2025
4. Schweizerische Multiple Sklerose Gesellschaft. Fatigue bei Multipler Sklerose: Was wissen wir? www.multiplesklerose.ch/de/aktuelles/detail/fatigue-bei-multipler-sklerose-was-wissen-wir/, letzter Zugriff: 03.03.2025
5. MS-Begleiter. Mein Fatigue-Tagebuch. www.ms-begleiter.de/dam/jcr:750441a0-7291-430b-8331-eba36d1b6cef/MS_Begleiter_Tagebuch_Fatigue.pdf, letzter Zugriff: 03.03.2025
6. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Fatigue beeinflusst das Leben vieler MS-Patienten dauerhaft. www.dmsg.de/multiple-sklerose/ms-erforschen/grafiken-des-quartals/monats/berichte-zu-grafiken-des-quartals/monats/fatigue-beeinflusst-das-leben-vieler-ms-patienten-dauerhaft, letzter Zugriff: 03.03.2025
7. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Mit Multipler Sklerose gut durch die Sommerhitze kommen: Der DMSG-Bundesverband informiert. www.dmsg.de/news/detailansicht/mit-multipler-sklerose-gut-durch-die-sommerhitze-kommen-der-dmsg-bundesverband-informiert, letzter Zugriff: 03.03.2025
8. Multiple Sclerosis Society UK. Handling the heat – latest research. www.mssociety.org.uk/research/latest-research/latest-research-news-and-blogs/handling-the-heat-latest-research, letzter Zugriff: 03.03.2025
9. Multiple Sclerosis Trust. Chilled out: cold sensitivity and MS. https://mstrust.org.uk/news/chilled-out-cold-sensitivity-and-ms, letzter Zugriff: 03.03.2025
10. Coe S et al. A randomised double-blind placebo-controlled feasibility trial of flavonoid-rich cocoa for fatigue in people with relapsing and remitting multiple sclerosis J Neurol Neurosurg Psychiatry 2019; 90(5): 507–13. https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/30833449/, letzter Zugriff: 11.04.2025
11. MS-Begleiter. Arbeit und Leben mit MS – Ausbildung, Beruf und Karriere. www.ms-begleiter.de/dam/jcr:dba45509-1419-4a9f-8db3-59998211e70d/MS_Begleiter_Broschuere_Beruf_Karriere.pdf, letzter Zugriff: 03.03.2025
12. Enableme. Fatigue und ME/CFS: Erschöpfung und mehr als Erschöpfung. www.enableme.de/de/behinderungen/fatigue-und-me-cfs-erschopfung-und-mehr-als-erschopfung-9501, letzter Zugriff: 06.03.2025

 

 

MAT-DE-2501893-1.0-05/2025