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Prof. Ziemssen: Brain Health – Zeit ist kostbar

"Prof. Dr. Tjalf Ziemssen"

Prof. Dr. Tjalf Ziemssen

Bei der Multiplen Sklerose geht es darum, das zentrale Nervensystem und insbesondere das Gehirn vor Schädigungen zu schützen. Eine Initiative internationaler Experten hat hierzu die Richtlinie „Brain Health: Time matters in multiple sclerosis“ erarbeitet. Sie fasst die aktuellen Empfehlungen zur Diagnose und Therapie der MS zusammen. Die Hintergründe erläutert Professor Dr. Tjalf Ziemssen aus Dresden in einem Interview.

(Dieses Interview erschien in der MS persönlich, der MS-Begleiter Zeitschrift.)

Zur Person
Professor Dr. Tjalf Ziemssen ist ein ausgewiesener Experte in der Diagnostik und Therapie der Multiplen Sklerose. Der Neurologe leitet das Zentrum für klinische Neurowissenschaften und das Multiple Sklerose-Zentrum (MSZ) am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus in Dresden.

MS PERSÖNLICH: Herr Professor Ziemssen, was soll „Brain Health“ bezwecken?

PROF. ZIEMSSEN: Es hat in den vergangenen Jahren erhebliche Fortschritte bei den Behandlungsmöglichkeiten der Multiplen Sklerose gegeben. Mit der Initiative möchten wir erreichen, dass diese Möglichkeiten konsequent genutzt werden und die MS insgesamt effektiver behandelt wird. Dabei geht es nicht nur um die medikamentöse Therapie. Ziel ist vielmehr ein ganzheitlicher Ansatz mit einer frühzeitigen Diagnose und einer konsequenten Behandlung zur Eindämmung der Krankheitsaktivität.

Unterstützend machen wir uns stark für die schon frühe Einbeziehung der Patienten und die Motivation zu einer gesunden Lebensführung. Das kann wesentlich dazu beitragen, das Gehirn und Rückenmark vor Schädigungen zu bewahren. Letztlich geht es somit ähnlich wie beim Schlaganfall um eine Forcierung der Bemühungen zum Erhalt der Gehirngesundheit. Die notwendigen Maßnahmen hierzu haben wir in einer Richtlinie auf internationaler Ebene festgeschrieben.

MS PERSÖNLICH: Was besagt diese Richtlinie?

PROF. ZIEMSSEN: Wir wollen mit der Richtlinie die Versorgung von Menschen mit MS verbessern. Denn sie ist nicht in allen Ländern optimal und es geht darum, praktisch weltweit den Standard der Diagnostik und Therapie zu optimieren, wobei die Schwerpunkte in den einzelnen Ländern durchaus unterschiedlich sein können.

Konkret wollen wir für eine frühzeitige Diagnose der MS sorgen und dafür, dass rasch eine effektive Therapie eingeleitet wird. Es muss sich ein regelmäßiges Monitoring anschließen, damit im Bedarfsfall rechtzeitig reagiert und beispielsweise ein Wechsel auf eine effizientere Therapieform realisiert werden kann.

MS PERSÖNLICH: Wo sehen Sie noch Handlungsbedarf und Verbesserungsmöglichkeiten hierzulande?

PROF. ZIEMSSEN: Wir müssen noch daran arbeiten, das Bewusstsein um die Multiple Sklerose in der Öffentlichkeit zu stärken. Das kann dazu beitragen, dass Menschen mit MS ihre Symptome besser deuten können, dass sie frühzeitiger zum Arzt gehen und schneller zur Abklärung und Diagnosestellung an den Neurologen überwiesen werden.

In der Richtlinie haben wir unter anderem klar formuliert, wann zum Beispiel eine Kernspinuntersuchung vorgenommen werden sollte und wann eine Liquoruntersuchung wichtig ist. Es wird auch festgelegt, wann eine medikamentöse Therapie einzuleiten ist und welche Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen anschließend wichtig sind. Die Richtlinie schreibt einen allgemeinen Standard fest. Daran hat es bislang noch gemangelt.

MS PERSÖNLICH: Sie fordern auch die Patienten auf, sich stärker um ihre Gehirngesundheit zu kümmern. Was ist hierzu wichtig?

PROF. ZIEMSSEN: Uns allen, aber insbesondere Menschen mit MS, sollte der Erhalt der Hirngesundheit am Herzen liegen. Auch das will „Brain Health“ vermitteln. Wir versuchen, alle am Management der Erkrankung Beteiligten zusammenzubringen, um eine optimale Versorgung zu gewährleisten. Dabei spielt der Patient selbstverständlich eine zentrale Rolle. Er muss wissen, was die MS bedeutet, was zu einer guten Versorgung gehört und wie er mit seiner Lebensführung vieles selbst in der Hand hat, um sein Gehirn möglichst gesund zu erhalten.

Zu einer gesunden Lebensführung gehört in dieser Hinsicht auf jeden Fall der Verzicht auf das Rauchen sowie eine vernünftige Ernährung und regelmäßige Bewegung. Es ist ferner wichtig, dass die Patienten ihre Medikamente konsequent entsprechend den ärztlichen Anweisungen einnehmen und dass sie darauf achten, die Kontrolltermine zuverlässig wahrzunehmen.

Wir erwarten in diesem Punkt eine aktive Mitarbeit der Patienten, die mit darauf achten sollten, in die Therapie involviert zu werden. Sie sollten unbedingt bei ihrem Neurologen vorstellig werden, wenn sich ein neuer Krankheitsschub ankündigt und/oder generell eine Verschlechterung der gesundheitlichen Situation eintritt. Menschen mit MS haben eine nahezu normale Lebenserwartung. Man muss alles dafür tun, die Hirngesundheit und die neurologische Reserve und damit auch die geistige Leistungsfähigkeit und Regsamkeit möglichst bis ins hohe Alter zu erhalten.

MS PERSÖNLICH: Herr Professor Ziemssen, haben Sie vielen Dank für das Interview.

Weiterführende Informationen zur Initiative „Brain Health“ gibt es im Internet unter der Adresse www.msbrainhealth.org in englischer Sprache.