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Krankheitsbewältigung: Tipps zum Umgang mit der MS

Gesundheitspsychologin Samira Althaus

Gesundheitspsychologin Samira Althaus

Das Leben mit Multipler Sklerose kann ganz schön herausfordernd sein und stellt Betroffene vor viele Fragen: Warum ausgerechnet ich? Was bedeutet das – ein Leben mit einer chronischen Erkrankung? Wie werden die MS und eine Therapie meinen Alltag verändern? Wie gehen meine Familie und meine Freunde damit um? 

Wir haben die Gesundheitspsychologin Samira Althaus in einem Interview dazu befragt. Die Expertin vom MS-Begleiter Contact Center hat langjährige Erfahrung in der Betreuung chronisch erkrankter Menschen. Sie gibt Tipps, wie man den ersten Schock nach der MS-Diagnose überwinden kann und was beim Umgang mit der Erkrankung im Alltag helfen kann.

MS-BEGLEITER: Welche Ängste und Gefühle stellen sich nach Ihrer Erfahrung bei Menschen mit Multipler Sklerose oder deren Angehörigen ein, wenn die Diagnose MS gestellt wird?

SAMIRA ALTHAUS: In den Gesprächen mit betroffenen Menschen erleben wir häufig, dass die MS-Diagnose, also eine chronische Erkrankung bis zum Lebensende, wie ein Schock wahrgenommen wird. Die Betroffenen machen sich oft große Sorgen um ihre Zukunft, entwickeln Ängste im Hinblick auf ihr Berufsleben, ihre Familie und die Auswirkungen auf ihr weiteres Leben. Das ist besonders ausgeprägt, wenn sie gerade mitten im Leben stehen, eine Familie gegründet haben oder beruflich sehr engagiert sind und die ersten Stufen der Karriereleiter nehmen.

Ähnlich sieht die Reaktion bei Angehörigen aus, die meist ebenfalls mit Unsicherheit und Sorgen auf die Nachricht der MS-Erkrankung reagieren. Doch genau diese Angehörigen, also die Familie und Freunde der MS-Betroffenen, haben einen sehr großen Einfluss auf die positive Krankheitsbewältigung. Durch ausreichend soziale Unterstützung von außen kann der Betroffene besser mit der Diagnose und dem ersten Schock umgehen und lernt dabei, sich selbst als Person weiterhin zu schätzen.

MS-BEGLEITER: Oft hadern Betroffene mit der Frage: „Warum gerade ich“? Wie kann man lernen, damit umzugehen?

SAMIRA ALTHAUS: Oft denken Betroffene, dass sie in irgendeiner Form an der MS-Erkrankung schuld sein könnten. Das ist nicht der Fall. Wir geben hier den Rat, sich eingehend über die Multiple Sklerose zu informieren, dabei aber unbedingt seriöse Quellen zu nutzen. Dazu gehört das Gespräch mit dem Arzt und auch mit der MS-Nurse. Beide werden in aller Regel Informationsmaterialien bereithalten und können auch weitere seriöse Informationsquellen vermitteln. Multiple Sklerose wird nicht umsonst als Krankheit der 1.000 Gesichter bezeichnet, mit sehr vielen Verlaufsformen. Die Diagnose kann jeden treffen und sie sagt noch nichts darüber aus, wie sich die Erkrankung künftig entwickeln wird.

In der ersten Phase nach der Diagnose und nach dem Abklingen des akuten Krankheitsschubs hilft es vielen Menschen mit MS, sich Zeit zu lassen und diese Zeit zu nutzen, um sich mit den Grundlagen der MS vertraut zu machen. Das kann sich positiv auf die Krankheitsbewältigung auswirken. Als Psychologin ermutige ich Betroffene auch, offen über die Multiple Sklerose zu reden und sich Hilfe und Unterstützung bei Freunden und Familie zu suchen. Auch MS-Communitys können hier hilfreich sein – diese haben ein offenes Ohr und tragen einen großen Teil zur Akzeptanz der Erkrankung bei.

MS-BEGLEITER: Wie aber kann man mit der Ungewissheit und den Zukunftsängsten im Alltag fertigwerden?

SAMIRA ALTHAUS: Die verständlichen Sorgen entstehen bei vielen Betroffenen durch die Ungewissheit über den Krankheitsverlauf: Sie haben Angst, dass erneut ein Krankheitsschub auftritt und/oder dass sie Einschränkungen durch die Erkrankung im Alltag erleben werden.

Wichtig ist hier zu wissen, dass es heutzutage im Vergleich zu früher bereits gute Therapiemöglichkeiten bei der MS gibt, mit hohen Erfolgsaussichten hinsichtlich des Verhinderns von Krankheitsschüben und des Auftretens von Behinderungen. Damit ist für viele Betroffene oft ein erfülltes Leben ohne große Einschränkungen möglich. Das sind zumeist beruhigende Aspekte.

Generell sollte man die MS oder die Therapie nie als „Gegner“ ansehen. Im Austausch mit anderen wird oftmals klar, dass eigentlich fast alle Menschen mit einer gewissen Unsicherheit in die Zukunft blicken, egal ob sie chronisch krank sind oder nicht. Schließlich wissen wir alle nicht, was die Zukunft für uns bereithält. Das ist bei Menschen mit MS kaum anders als bei Gesunden. Wenn man sich das bewusst macht, fällt es einem vielleicht etwas leichter, die MS und damit verbundene Therapien in den Alltag zu integrieren und gelassener mit der Ungewissheit umzugehen.

MS-BEGLEITER: Was kann man tun, wenn die quälenden Gedanken weiterhin im Kopf kreisen und es schwerfällt, die Therapie in den Alltag zu integrieren?

SAMIRA ALTHAUS: Wird man von solchen Ängsten gequält, sollte man das Gespräch mit einer Person suchen, der man vertraut und der man solche Ängste offenbaren kann. Das können Angehörige sein, Freunde oder auch zum Beispiel die MS-Nurse oder der Arzt. Diese soziale Unterstützung kann helfen, mit der Erkrankung umzugehen. Auch unser gesundheitspsychologisch geschultes Team aus dem MS-Begleiter Contact Center steht hier gerne unterstützend zur Seite.

Ich ermutige Betroffene aber auch, sich nicht zu scheuen, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen, also einen Psychologen zu konsultieren. Mit dessen Hilfe kann man Strategien lernen, die Ängste in den Griff zu bekommen und auch wieder positiv auf die Zukunft zu schauen.

Diese Techniken zur psychischen Gesundheit können auch helfen, sich aus der passiven Opferrolle herauszubewegen, in die sich manche MS-Betroffene durch die Diagnose hineingedrängt fühlen, Kontrolle zurückzugewinnen und zu einem aktiven Leben zurückzufinden, wie es mit Multipler Sklerose durchaus möglich ist.

Auch kann ein Psychologe eine große Hilfe dabei sein, den eigenen Alltag zu bewältigen, ihm Struktur zu geben und adhärent, also therapietreu, zu bleiben.

MS-BEGLEITER: Wie kann man nach einem oder mehreren Krankheitsschüben wieder Vertrauen in den eigenen Körper erlangen?

SAMIRA ALTHAUS: Ein hilfreicher Begleiter für Menschen mit MS kann ein Symptomtagebuch sein. Darin sollten aber nicht nur eventuell auftretende Beschwerden notiert werden, sondern auch, wie stark diese sind, wie man damit umgeht und was in der Situation hilfreich war. Wichtig ist auch, gute Tage aufzuzeichnen und die jeweilige emotionale Lage festzuhalten. Anhand eines solchen Tagebuchs lernt man sehr viel über sich selbst und die Trigger, die im individuellen Fall Beschwerden oder sogar einen akuten Schub auftreten lassen. Das können zum Beispiel Stress oder emotionale Belastungen sein. Umgekehrt ist es mithilfe des Tagebuchs auch möglich zu erkennen, was hilfreich ist, um die eigene Gesundheit zu stabilisieren.

Das soll natürlich nicht heißen, dass sich nun alles um die MS drehen sollte und bei jedem Kribbeln in den Fingern an einen möglichen Krankheitsschub gedacht wird. Im Gegenteil: Wichtig ist, achtsam und liebevoll mit sich selbst umzugehen, seine Bedürfnisse zu erkennen und zu versuchen, dies in seinem Leben auch zu berücksichtigen. Dazu gehört auch, soziale Kontakte zu pflegen und allgemein in Bewegung zu bleiben, denn ein aktives Leben wird mit dazu beitragen, auf lange Sicht wieder Vertrauen zu sich und seinem Körper zu finden und auch mit Multipler Sklerose ein in aller Regel ganz normales Leben zu führen.

MS-BEGLEITER: Vielen Dank für das Gespräch!

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