So unterschiedlich die Folgeerscheinungen bei MS sind, so verschieden ist auch die Behandlung der Erkrankung. Die Therapie wird deshalb individuell auf Dich zugeschnitten. Dabei werden verschiedene Anwendungen wie Medikamente, Physiotherapie und andere unterstützende Maßnahmen miteinander kombiniert.

Die wichtigsten Behandlungsziele bei MS sind, krankheitsbedingte Symptome zu lindern, symptomfreie Phasen zu verlängern und das Fortschreiten der Erkrankung aufzuhalten. Bei der schubförmigen MS geht es vor allem darum, die Häufigkeit und Schwere der Schübe zu verringern. Bei den progredienten Formen der MS ist das zentrale Behandlungsziel den Krankheitsfortschritt zu verlangsamen und weitere Behinderungen zu verhindern. Unabhängig von der MS-Form soll sich die Gewebeschädigung in Gehirn und Nerven nicht weiter ausbreiten.

Bei der Behandlung der MS spielt der Zeitpunkt eine wichtige Rolle

Wann Du mit einer Therapie beginnst, kann den Krankheitsverlauf beeinflussen. Denn je später eine wirksame Therapie einsetzt, desto höher ist das Risiko, dass entstandene Einschränkungen bleiben. Wird die Aktivität der MS jedoch schnell und langfristig eingedämmt, besteht die Chance auf einen deutlich günstigeren Krankheitsverlauf.1,2

Mehr zu diesem Thema kannst Du in einem Experteninterview nachlesen: Prof. Ziemssen: Brain Health – Zeit ist kostbar. 

Welche Möglichkeiten der MS-Behandlung gibt es?

Die Therapie der Multiplen Sklerose (MS) beruht auf drei zentralen Säulen: die Schubtherapie, die Symptomtherapie und die langfristige Immuntherapie. Wie diese Maßnahmen kombiniert werden, richtet sich nach dem individuellen Krankheitsverlauf, eventuellen Begleiterkrankungen und Deinen persönlichen Bedürfnissen – ein allgemeingültiges Behandlungsschema gibt es nicht. Heutzutage setzt man meist auf einen ganzheitlichen Ansatz, der medikamentöse und nicht-medikamentöse Maßnahmen miteinander verbindet. Dabei ist das Ziel, Deine Einschränkungen im Alltag so gering wie möglich zu halten und Deine Lebensqualität langfristig zu bewahren.

: Grafische Darstellung der drei Säulen der MS-Therapie: Schubtherapie, Symptom-therapie und langfristige Immuntherapie.

Erste Säule: Therapie eines akuten Schubes

Bei einem akuten Schub wird meist Kortison verabreicht, in der Regel über 3 bis 5 Tage. Damit soll die Entzündung bekämpft und eine rasche Besserung des Zustandes erreicht werden, bis hin zur sogenannten Remission. So nennt man die Rückbildung der Symptome nach einem Schub. Tritt keine rasche Besserung ein, kann ein spezielles Blutreinigungsverfahren angewandt werden, zum Beispiel die Plasmapherese. Dabei wird das Blut des Patienten oder der Patientin über spezielle Filter von entzündungsfördernden Bestandteilen gereinigt. Dieses Verfahren ist nur an spezialisierten Zentren möglich und ausschließlich für einen schweren akuten Schub vorgesehen.

Zweite Säule: Therapie der Symptome

Dazu gehören zum Beispiel Präparate zur Schmerzlinderung, gegen Muskelsteifheit oder gegen Symptome wie Blasenstörungen. Diese sollen die Begleiterscheinungen der MS mildern und die Körperfunktionen erhalten. Physio- und ergotherapeutische Anwendungen ergänzen die medikamentöse Therapie der Symptome und dienen dem Erhalt der Beweglichkeit und der Ausdauer. Bewegung, gezielte Übungen, etwas Achtsamkeit und eine gesunde Ernährung können ebenfalls dazu beitragen, die Symptome zu lindern. Dabei solltest Du darauf achten, was Dir guttut und Dich zu nichts zwingen. Stress gilt es zu vermeiden.

Dritte Säule: Langfristige Immuntherapie

Um neue Schübe zu verhindern, die Stärke der Schübe zu mildern und das Fortschreiten der MS aufzuhalten, kommen als dritte Säule sogenannte Immuntherapien zum Einsatz, die den Verlauf der Erkrankung langfristig beeinflussen. Sie sollen die MS da bekämpfen, wo die Entzündungsprozesse entstehen. 

Heutzutage stehen etwa zwanzig verschiedene MS-Medikamente in Form von Tabletten, Spritzen oder Infusionen zur Verfügung. Sie greifen auf unterschiedliche Weise in das Immunsystem ein: 

  • Immunmodulierende Therapien verändern die Aktivität des Immunsystems.
  • Immunsuppressive Therapien dämpfen das Immunsystem. 

Zwar können diese Therapien die MS nicht heilen, aber sie können den Krankheitsverlauf positiv beeinflussen. Daher spricht man auch von „verlaufsmodifizierenden Behandlungen“. 

Die bisher verfügbaren Medikamente helfen, Schübe zu verhindern oder abzumildern. Für die schubunabhängige Krankheitsprogression hingegen gibt es bislang nur begrenzte Behandlungsmöglichkeiten – hier besteht weiterhin eine therapeutische Lücke.

Ausführlichere Informationen zur langfristigen Immuntherapie findest Du im Artikel „Immuntherapien bei MS“.

Therapie der „schwelenden MS“

Dank moderner Behandlungsmöglichkeiten haben viele Menschen mit MS heutzutage sehr wenige oder keine Schübe mehr. Dennoch beobachtest Du vielleicht, dass sich Deine Symptome mit der Zeit verschlechtern, obwohl Du keine Schübe hast. Wissenschaftler*innen sprechen dann von „Smoldering MS" oder “schwelender MS”. Sie nehmen an, dass diese schleichende Krankheitsaktivität durch chronisch schwelende Entzündungsprozesse im zentralen Nervensystem verursacht wird, die trotz Therapie fortschreiten. 

Zukünftig können neue immuntherapeutische Medikamente wahrscheinlich auch diese chronischen Entzündungen bremsen. Dazu gehören etwa Wirkstoffe, die gezielt den Botenstoff Bruton-Tyrosin-Kinase (BTK) und damit die Überaktivierung bestimmter Immunzellen hemmen, die diese chronischen Entzündungen antreiben.3,4 

Mehr zu dem Thema chronische Entzündungen und „Smoldering MS“ erfährst Du in dem Artikel “Smoldering MS – ist die „echte MS“ eine schwelende Erkrankung?".

Wie der aktuelle Stand der Forschung bei der MS-Therapie ist, kannst Du im Artikel „MS-Behandlung: damals – heute – morgen“ nachlesen.

 

"Kann sich mein Zustand verschlechtern, ohne dass ich Schübe habe?"

Dieses kurze Erklärvideo zeigt anschaulich, wie es zu der schleichenden Verschlechterung kommt und wie diese sich auswirken kann. Schau doch mal rein.

    Transkript: Kann sich mein Zustand verschlechtern, ohne dass ich Schübe habe?
    Häufig ist die Multiple Sklerose durch das Auftreten von Krankheitsschüben gekennzeichnet. Man spricht von einem Schub, wenn neue oder bereits bekannte Symptome auftreten und für mindestens 24 Stunden anhalten, wobei weder Fieber noch eine Infektion vorliegen. 

    Nehmen wir als Beispiel das Sehvermögen. Bei einem Schub können Betroffene plötzlich Dinge doppelt sehen. Ihr Zustand kann sich über 1 bis 2 Tage verschlimmern. Danach folgt eine Phase der Stabilität, die mehrere Tage bis Wochen dauern kann. Dann erholen sich Betroffene allmählich.

    Ein Schub kann sich vollständig zurückbilden, d. h. es bleiben keine Beeinträchtigungen zurück, oder unvollständig. Bleiben Einschränkungen zurück, spricht man von einer schubassoziierten Verschlechterung.

    Dank moderner Behandlungsmöglichkeiten haben viele Menschen mit MS fast keine Schübe mehr. Ihr Zustand kann sich jedoch auch unabhängig von Schüben mit der Zeit verschlechtern und ihre Einschränkungen können voranschreiten. Der schleichende Krankheitsfortschritt unabhängig von Schubaktivitäten wird auch als PIRA bezeichnet, eine Abkürzung für „Progression Independent of Relapse Activity“.

    Ein Beispiel: Stellen wir uns eine 39-jährige Patientin mit RRMS vor, also einer schubförmig remittierenden Form der MS. Sie wird seit mehreren Jahren mit einem krankheitsmodifizierenden Medikament behandelt und hat seit Beginn der Behandlung keinen Schub erlitten. Es sind auch keine neuen Läsionen bei der MRT sichtbar.

    Dennoch hat sich der Schweregrad ihrer Einschränkungen von 2 auf 3 verschlechtert. Dieser wird über den sogenannten EDSS-Wert bestimmt. In den letzten Jahren hat sich ihr Sehvermögen immer weiter verschlechtert. Es fing mit verschwommenem Sehen an, das nach dem letzten Schub blieb, bis hin zu Doppeltsehen und anderen Befunden.

    Obwohl sie keinen Schub hatte, haben sich ihre Symptome also mit der Zeit verschlimmert. 
    Das ist ein Beispiel für eine Patientin mit PIRA, der schleichenden Krankheitsprogression.
    Obwohl bei der MRT keine akuten Entzündungsherde oder anderen Veränderungen erkennbar sind und keine Schübe auftreten, besteht dennoch eine chronisch schwelende Entzündung im zentralen Nervensystem. Diese erschwert die Re-Myelinisierung und begünstigt das Absterben von Nervenzellen.

    Aus diesem Grund kann sich der Zustand von Betroffenen verschlechtern. Du kannst Dir das wie bei einem Kaminfeuer vorstellen. Obwohl es keine Flammen mehr gibt, also keine akuten Entzündungen, erzeugt die schwelende Glut weiterhin Hitze. Das heißt chronisch schwelende Entzündungsprozesse sind dennoch vorhanden.

    Heute wissen wir, dass sich über 80 % der MS-bezogenen Einschränkungen unabhängig von Schüben ereignen, also vielmehr aufgrund von PIRA, der schubunabhängigen Krankheitsprogression. Man geht davon aus, dass dieser chronisch schwelende Prozess, der als schwelende MS bezeichnet wird, schon von Beginn der Krankheit an vorliegt. Bislang gibt es keine Medikamente, die dieses Phänomen verlangsamen können.

    Forscherinnen und Forscher weltweit arbeiten jedoch intensiv an der Entwicklung neuer Arzneimittel, die bei dieser Form der MS eingesetzt werden können, da diese möglicherweise das Fortschreiten der Behinderung unabhängig von Schüben verlangsamen können.

Häufig gestellte Fragen

  • Heilmittel für MS gibt es bisher nicht. Forscher*innen weltweit arbeiten jedoch daran, die fehlgeleitete Immunreaktion bei MS zu entschlüsseln und die Behandlung der Autoimmunerkrankung weiter zu verbessern.

  • Die beste Therapie ist diejenige, die individuell auf Dich abgestimmt ist. Dass eine Therapie für Dich nicht optimal ist, kann verschiedene Gründe haben. Vielleicht schlägt ein Medikament bei Dir nicht so an wie erwartet. Vielleicht treten Nebenwirkungen auf, die Deine Lebensqualität stark beeinträchtigen. Außerdem können sich Deine Lebensumstände verändern oder es können neue Medikamente verfügbar werden, die besser auf Deinen Krankheitsverlauf zugeschnitten sind. Das bedeutet, dass Deine Therapie immer wieder überprüft werden muss und ein Therapiewechsel durchaus sinnvoll sein kann.

    Im Allgemeinen brauchen Immuntherapien einige Monate, um Wirkung zu zeigen. In diesem Zeitraum und auch danach können bei Kontrolluntersuchungen weiterhin neue MS-Läsionen sichtbar werden. Das bedeutet jedoch nicht zwangsläufig, dass die Therapie nicht wirkt. Vielleicht sind diese Läsionen kurz nach dem Beginn der Therapie entstanden, also zu einem Zeitpunkt, an dem die Wirkung der Behandlung noch nicht vollständig eingesetzt hatte. Aus diesem Grund werden ein Schub oder neue MS-Läsionen in der MRT erst ab sechs Monaten nach Therapiebeginn als relevant betrachtet.

  • Unser Gehirn ist recht flexibel und kann Beeinträchtigungen lange ausgleichen. Ganz nach dem Motto „Viele Wege führen nach Rom“ kann das Gehirn Umleitungen nehmen und beeinträchtigte Nervenstrukturen umgehen. Deshalb fallen Veränderungen im Alltag, die durch die MS verursacht werden, manchmal nicht auf. Regelmäßige Verlaufskontrollen sind deshalb sehr wichtig. Falls Du neue Symptome oder neurologische Auffälligkeiten bei Dir feststellst, besprich diese zeitnah mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin – auch wenn die Veränderungen nur vorübergehend sind.

    Darüber solltest Du Deinen Arzt oder Deine Ärztin informieren:

    •    Sehstörungen
    •    Koordinationsprobleme
    •    Muskelschwäche und Lähmungen
    •    Missempfindungen
    •    Fatigue
    •    Harndrang und Libido-Verlust

    (Auszug der wichtigsten Symptome, Liste nicht abschließend)

    Für Deinen Neurologen oder Deine Neurologin ist es oft hilfreich, wenn Du für diese Kontrolltermine ein Symptomtagebuch mitbringst. 

  • Neben medikamentösen Behandlungen werden immer wieder alternative und komplementäre Therapiemethoden gegen MS angeboten – von Darmsanierung über Hypnose bis zur Frischzellentherapie. Bei welchen davon die Wirksamkeit wissenschaftlich belegt ist, welche unbedenklich erscheinen und welche sogar riskant sind, kannst Du in der DMSG-Broschüre „Alternative und komplementäre Therapien der Multiplen Sklerose“ nachlesen. Sie ist über den Online-Shop auf www.dmsg.de erhältlich sowie in den Geschäftsstellen der DMSG-Landesverbände.

    Du kannst Dein Wohlbefinden und Deine allgemeine Gesundheit allerdings auch durch einen gesunden Lebensstil unterstützen, zum Beispiel mit ausgewogener Ernährung. Die kann helfen, eine regelmäßige Darm- und Blasenfunktion aufrechtzuerhalten oder Deine Muskelstärke zu verbessern. Es gibt auch Empfehlungen, auf entzündungshemmende Inhaltsstoffe im Essen zu achten und entzündungsfördernde Nahrungsmittel zu vermeiden.6 Eine spezifische MS-Diät gibt es aber nicht. Das kannst Du auch im Experteninterview mit Dr. Lee nachlesen.

  • Bei der medikamentösen Behandlung von MS zielen Immuntherapien darauf ab, das fehlgeleitete Immunsystem zu regulieren und die Entzündungsreaktionen im zentralen Nervensystem zu verringern. Bestimmte Medikamente bremsen überaktive Immunzellen, andere verhindern, dass sie ins Gehirn und Rückenmark eindringen und dort Nervenzellen angreifen. Dadurch lassen sich Schübe reduzieren, das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und Nervenschäden begrenzen. Welche Therapie infrage kommt, hängt vom individuellen Krankheitsverlauf und Deinem persönlichen Risikoprofil ab. 


Quellen:

1. Giovannoni G et al. Mult Scler Relat Disord 2016; 9(Suppl. 1): 5–48
2. Confavreux C et al. N Engl J Med 2000; 343(20): 1430–8
3. AMSEL - MS-Docblog – Details zur neuen Wirkstoffklasse der BTKi (Video). www.ms-docblog.de/multiple-sklerose/ms-docblog-details-zur-neuen-wirkstoffklasse-der-btki/, letzter Zugriff: 11.03.2025
4. AMSEL - Mit BTK-Inhibitoren gegen progrediente MS? www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/mit-btk-inhibitoren-gegen-progrediente-ms/, letzter Zugriff: 11.03.2025, letzter Zugriff: 11.03.2025
5. DGN. Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten. https://hirnstiftung.org/wp-content/uploads/2023/09/DHS_Patientenleitlinie_MS_Stand-Maerz-2023.pdf, letzter Zugriff: 12.03.2025
6. AMSEL - Antientzündliche Ernährung. https://www.amsel.de/multiple-sklerose/ms-themen/ms-und-ernaehrung/was-wir-empfehlen/antientzuendliche-ernaehrung/ , letzter Zugriff: 12.03.2025

 

 

MAT-DE-2502125-1.0-06/2025