
Meine augenöffnende Begegnung mit einem Deutschen
Man mag sich vielleicht wundern, warum ich so denke, wenn es zum Thema „Helfen“ kommt. Um das zu verstehen, möchte ich gerne von einer Begegnung mit einem Deutschen im Sommer 2012 erzählen, welche mich dazu gebracht hat, nicht mehr das Wort „Helfen“ zu benutzen.
Ich habe als studentischer Mitarbeiter im Büro zur Betreuung internationaler Studenten an meiner Universität in Südkorea gearbeitet. Jedes Semester kamen 100 bis 200 Austauschstudenten aus der ganzen Welt an unsere Universität. 2012 hatten wir einen Studenten mit Mobilitätseinschränkungen aus Deutschland – nennen wir ihn „A.“. In seiner Bewerbung hatte A. angegeben, dass er einen Rollstuhl benutzt. Unser Team hat versucht, Seminarräume für ihn zu finden, die eine Rampe zusätzlich zu Stufen hatten oder, wenn möglich, im Erdgeschoss lagen. So sehr wir uns aber auch bemühten, wir konnten nicht alle Seminarräume für ihn umlegen. Eines Morgens, als ich auf dem Weg zu meinem Seminar war, traf ich auf A. am Fuße einer Treppe. Er sagte, dass sein Seminarraum im dritten Stock wäre. Es gab keinen Fahrstuhl in diesem Gebäude, also dachte ich kurz nach und schlug ihm schließlich vor, ihm in den dritten Stock zu helfen. Auch wenn ich nicht ganz genau wusste, wie. Er hingegen machte ein verwirrtes und überraschtes Gesicht und fragte einfach nur: „Warum?“
Was ich erwartet hatte
Offen gesagt hatte ich erwartet, dass er froh sein und sowas sagen würde wie: „Wow, danke! Ich hatte gehofft, dass jemand kommt und mir hilft!“ Aber seine Antwort war einfach nur: „Warum?“ Ich starrte ihn an, während er seinen Rollstuhl zusammenfaltete und dann auf einem Fuß die Treppe hochhopste. Das war der Moment, in dem ich realisierte, dass ich Menschen mit Behinderungen/Mobilitätseinschränkungen eventuell unterschätzt hatte. Ich dachte, sie bräuchten immer Hilfe, sonst könnten sie Dinge nicht eigenständig tun.
Natürlich spiegelt meine persönliche Erfahrung nicht alle Situationen wider oder heißt, dass wir Menschen, die vielleicht Hilfe brauchen, nicht helfen sollten. Was ich damit sagen möchte, ist, dass wir unsere innere Einstellung ändern sollten, dass Menschen mit Behinderungen immer unsere Hilfe brauchen und stattdessen einfach fragen, ob Unterstützung gewünscht ist. Älteren Menschen oder Schwangeren zu helfen ist eine Selbstverständlichkeit in Korea. Das ist tief in mir verwurzelt und es hat mir Freude bereitet, wenn ich älteren Menschen, Schwangeren oder Menschen mit Behinderungen helfen konnte, indem ich ihnen die Treppe hoch oder über die Straße half, schwere Tüten trug oder Türen aufgehalten habe, auch während ich in Frankreich studiert habe. Handeln ist besser als nur zu reden. Allerdings könnte es eine Situation schwieriger gestalten, wenn man einfach handelt ohne zu fragen, ob die Hilfe erwünscht ist.
Wenn man selbst kein Flüchtling ist, kann man nie wissen, wie man sich als Flüchtling fühlt. Wenn man nicht selbst wirtschaftlich schwach ist, kann man nicht wissen, wie sich wirtschaftlich schwache Menschen fühlen. Wenn man keinen Rollstuhl braucht, kann man nie wissen, welche Barrieren Menschen mit Rollstuhl zu meistern haben. Wir können aber weiterhin achtsam sein und stetig lernen, um Dinge besser zu machen. Wir sollten im Dialog bleiben und unsere Erfahrungen miteinander teilen.
Hand in Hand
Ich kann niemals zu 100 % wissen, wie es ist, mit MS zu leben. Das Leben mit dieser Krankheit kann frustrierend sein. Es kann beängstigend sein, da die MS 1000 Gesichter, Phasen und Symptome hat. Um ein guter Unterstützer zu sein, lese ich Artikel über MS, schaue Dokumentationen und lerne von meiner Freundin, indem ich ihr zuhöre. Ich versuche, darauf zu achten, wenn sie Fatigue oder Kribbeln in ihrem Körper hat. Ich lerne immer noch die verschiedenen medizinischen Begriffe bezüglich der MS. Ich versuche, Laras Stimmungsschwankungen zu verstehen. Ich lerne immer noch, die Auffassung von MS in Asien und in westlichen Ländern zu verstehen. Ich lerne immer noch alles über die MS, um meine Freundin in ihrem Leben mit dieser Krankheit zu unterstützen. Manchmal streiten wir wegen Missverständnissen. Wir wissen immer noch nicht, ob manche dieser Missverständnisse durch die MS kommen oder durch unsere Persönlichkeiten. Ich helfe meiner Freundin nicht, sie braucht keine Hilfe. Sie braucht jemanden, der sie unterstützt, wenn sie Unterstützung braucht. Also werden wir weiterhin miteinander reden sowie voneinander lernen, um gemeinsam gegen Hindernisse anzukämpfen, die uns begegnen werden. Gemeinsam, Hand in Hand.