Es gibt heute sehr gute Behandlungsmöglichkeiten bei MS, die eine Verschlechterung Deiner Symptome lange hinauszögern können. Um Deinen Krankheitsverlauf im Auge zu behalten und jederzeit die individuell beste Therapie für Dich zu finden, wird Deine Ärztin oder Dein Arzt regelmäßig Deine Einschränkungen durch die MS bestimmen. Dazu wird häufig der sogenannte EDSS-Wert verwendet.
EDSS ist eine Abkürzung und steht für Expanded Disability Status Scale. Es ist also eine Skala zur Erfassung des Behinderungsgrads, die speziell bei MS eingesetzt wird. Die EDSS-Skala wird manchmal auch Behinderungsskala genannt.
Was bedeutet eigentlich Behinderung bei MS?
Multiple Sklerose kann Deinen Körper herausfordern und zu Einschränkungen in Deinem Leben führen – doch das bedeutet nicht das Ende Deiner Möglichkeiten. Wenn die MS bei Dir Behinderungen verursacht, sind manchmal Anpassungen im Alltag nötig, zum Beispiel ein neues Tempo. Einige Wege wirst Du anders beschreiten, für manche Ziele brauchst Du vielleicht kreative Lösungen. Hilfsmittel, Therapien und eine unterstützende Umgebung können Dir vieles erleichtern. Was bleibt, ist Deine Persönlichkeit, die unabhängig von körperlichen Veränderungen ihre Stärke behält.
Wie wird der EDSS-Wert berechnet?
Der EDSS-Wert wird anhand neurologischer Untersuchungen berechnet, bei denen verschiedene Funktionssysteme des zentralen Nervensystems bewertet werden. Dazu gehören unter anderem das Sehvermögen, die Koordination und Motorik, die Sensibilität und die Blasen- und Darmfunktion. Jeder dieser Bereiche erhält eine Punktzahl, die anschließend in eine Gesamtbewertung auf der EDSS-Skala von 0 bis 10 eingeordnet wird. Das entscheidende Kriterium für Werte ab 4,0 ist die Gehfähigkeit: Je stärker diese eingeschränkt ist, desto höher ist der EDSS-Wert.
Gut zu wissen:
Deine Ärztin/Dein Arzt verwendet den EDSS-Wert, um den Schweregrad Deiner MS-Symptome zu bewerten, aber auch, um die passende Therapie für Dich zu finden und den Verlauf Deiner MS zu messen. Hier erfährst Du mehr über die Verlaufskontrolle bei Multipler Sklerose (MS).
"Bewertungsskalen bei MS"
Dieses Erklärvideo erläutert, welche Bewertungsskalen bei der Verlaufskontrolle eingesetzt werden können, welche Rolle der EDSS-Wert spielt und wie er ermittelt wird.
Der Krankheitsverlauf der MS ist bei jedem Menschen anders. Deshalb wirst Du bei den regelmäßigen Kontrolluntersuchungen zunächst über Deine aktuelle Situation befragt. Zudem stellt Dein Neurologe bzw. Deine Neurologin eine Reihe von Fragen zu Deinem Lebensstil und zu neu aufgetretenen oder sich verschlechternden Symptomen.
Versuche dabei, Deine Situation möglichst kurz und objektiv zu beschreiben. Dann kann Dein Neurologe bzw. Deine Neurologin Deinen Krankheitsverlauf besser einordnen und Dir gezielter helfen. Neben dem Gespräch sind oft auch umfassende körperliche Untersuchungen Teil der Verlaufskontrollen. Dabei wird Dein Zustand anhand einer Reihe von Skalen eingeordnet.
Ein wichtiger Test ist die Erfassung des EDSS-Wertes. Diese Skala umfasst 10 Stufen und ordnet den Schweregrad der Einschränkung ein, wobei Null bedeutet, dass die MS bisher zu keiner Beeinträchtigung geführt hat.
Um den EDSS-Wert zu ermitteln, werden verschiedene funktionelle Fähigkeiten erfasst wie Sehvermögen, Bewegungsfähigkeit, Sinneswahrnehmung, Koordination und Gleichgewicht, Schließmuskelkontrolle und Kognition. Die EDSS-Skala bewertet jedoch vor allem Deine Gehfähigkeit.
Ein EDSS-Wert von 4 bedeutet, dass Betroffene zwar Schwierigkeiten beim Gehen haben, aber 500 m noch ohne Hilfe und ohne Pause zu Fuß zurücklegen können. Bei einem EDSS-Wert von 6 benötigen Betroffene bereits einen Stock oder einseitig eine Krücke, um 100 m zu gehen. Bei 6,5 ist auf beiden Seiten Unterstützung notwendig, um etwa 20 m ohne Pause zu gehen. Verwenden Betroffene überwiegend den Rollstuhl, liegt der EDSS-Wert bei 7.
Der EDSS-Wert ist eines der wichtigsten Instrumente zur Beurteilung der aktuellen Beeinträchtigung. Er kann und sollte jedoch durch weitere Bewertungsmethoden ergänzt werden, die kognitive Funktionen wie Gedächtnis und Konzentration oder auch die Funktion der Arme mitberücksichtigen. Heutzutage verwendet man in der Neurologie daher oft zusätzliche Tests, z. B. um die Handgeschicklichkeit, die Gehfähigkeit oder kognitive Beeinträchtigungen zu beurteilen.
Der sogenannte 9-Hole Peg Test besteht aus einem Brett mit neun Löchern. Dabei müssen neun Stifte so schnell wie möglich nacheinander in die Löcher eingesetzt und wieder entfernt werden. Anhand der Zeit wird die Handgeschicklichkeit beurteilt. In der Regel wird der Test zuerst mit der dominanten Hand gemacht und dann mit der anderen.
Beim Timed 25-Foot Walk Test müssen Betroffene 25 Fuß, also 7,62 m, so schnell wie möglich gehen. Der Test wird zweimal und ohne Hindernisse durchgeführt. Anhand der benötigten Zeit kann die Gehfähigkeit bewertet werden.
Es gibt auch Tests, die überprüfen, inwieweit kognitive Fähigkeiten beeinträchtigt sind. Diese neuropsychologischen Tests messen zum Beispiel, wie schnell neue Informationen verarbeitet werden können. Oder sie testen die Aufmerksamkeit, das Gedächtnis und Fähigkeiten wie Planen, Problemlösen etc.
Neuropsychologische Tests können digital oder auf Papier durchgeführt werden. Sie sind im Allgemeinen schnell durchführbar und können einen ersten Hinweis auf kognitive Beeinträchtigungen geben. In der Regel werden solche Tests von einem Neuropsychologen bzw. einer Neuropsychologin durchgeführt. Es gibt auch Skalen zur Beurteilung der Lebensqualität, die bei MS jedoch seltener verwendet werden. Dabei werden verschiedene Einflussfaktoren über Skalen erfasst wie zum Beispiel Fatigue, Spastiken, Blasenstörungen, sexuelle Funktionsstörungen, Sehstörungen, Schmerzen, Schlafstörungen, Schluckbeschwerden und Magen-Darm-Beschwerden.
Um Deine Lebensqualität zu beurteilen, können spezifische Fragebögen verwendet werden, über die spezielle körperliche, geistige und soziale Aspekte abgefragt werden. Meist werden auch Fragen rund um die Themen Arbeit und Freizeit gestellt. Die Beurteilung der Lebensqualität ist oft abhängig davon, wie müde oder depressiv Betroffene sind oder ob sie an diesem Tag schlecht geschlafen oder nicht ausreichend gegessen haben. Daher können die Ergebnisse stark variieren, sogar im Laufe eines einzigen Tages.
Alle diese Skalen helfen Deinem Neurologen bzw. Deiner Neurologin dabei, objektiv zu bewerten, ob und wie sich Deine MS verändert. Das ist wichtig, damit Dein Behandlungsteam Dich optimal unterstützen kann. Vergiss nicht: Die medizinischen Fachkräfte, die Dich betreuen, stehen auf Deiner Seite und möchten das Beste für Dich und Deine Gesundheit. Du bist ein wichtiger Teil dieses Teams und kannst offen über Deine persönliche Situation sprechen.
Ich hoffe, diese Informationen haben Dir geholfen. Alles Gute und bis bald!
Welche Tests werden zur Berechnung des EDSS-Wertes eingesetzt?
Zu den Funktionssystemen, die bei den neurologischen Untersuchungen untersucht werden, um den EDSS-Wert zu ermitteln, gehören:
- Sehfunktion: Liegen Sehstörungen wie Doppelbilder oder Gesichtsfeldausfälle vor?
- Hirnstammfunktion: Sind Sprach-, Schluck- oder Augenbewegungen beeinträchtigt?
- Pyramidenbahn: Steuert das Gehirn die Muskeln noch richtig über die Pyramidenbahn (eine Nervenbahn), die Bewegungsbefehle vom Gehirn an die Muskeln leitet? Dazu wird geprüft, ob Arme und Beine genug Kraft haben oder Verkrampfungen und Lähmungen auftreten.
- Kleinhirnfunktion: Sind Bewegungen gut koordiniert, zum Beispiel beim Finger-Nase-Versuch oder beim Gehen?
- Sensibilität: Bestehen Taubheitsgefühle, Kribbeln oder andere Empfindungsstörungen?
- Blasen- und Darmfunktion: Gibt es Schwierigkeiten beim Wasserlassen oder Stuhlgang?
- Kognitive Funktion: Sind die Konzentration, das Gedächtnis und die Denkfähigkeit beeinträchtigt?
- Gehfähigkeit: Ist die Fähigkeit zu gehen beeinträchtigt und falls ja, wie stark? Da die Gehfähigkeit für EDSS-Werte ab 4,0 entscheidend ist, wird oft ein 6-Minuten-Gehtest oder eine Messung der maximalen Gehstrecke (z. B. 500 m, 300 m, 100 m) ohne Pause durchgeführt.
Was sagt der EDSS-Wert aus?
Je höher Dein EDSS-Wert, desto stärker sind Deine Einschränkungen durch MS. Die EDSS-Skala hilft zwar dabei, den Krankheitsverlauf einzuschätzen – allerdings liegt ihr Schwerpunkt vor allem auf der Gehfähigkeit. Das bedeutet, dass andere Symptome, die Deinen Alltag mit MS erheblich beeinträchtigen können, nur bedingt berücksichtigt werden. Dazu gehören beispielsweise Einschränkungen der Armfunktion, die das Greifen oder Schreiben erschweren können, oder eine verringerte kognitive Leistungsfähigkeit, die sich auf Deine Konzentration oder Dein Gedächtnis auswirken kann. Auch Fatigue oder Schmerzen spielen in der Bewertung kaum eine Rolle, obwohl sie für viele Betroffene eine große Herausforderung darstellen. Daher gibt der EDSS-Wert zwar einen Überblick über die körperliche Einschränkung, spiegelt aber nicht immer das ganze Ausmaß der alltäglichen Belastung wider.
Welche EDSS-Stufen gibt es?

Der EDSS-Wert basiert auf einer sehr detaillierten Skala mit Werten zwischen 0 und 10. Die Einteilung erfolgt in halben Schritten, sodass leichte Verschlechterungen besser erfasst werden können. Die einzelnen Stufen bedeuten:2
EDSS-Wert
0,0 Keine Beeinträchtigung, die neurologische Untersuchung zeigt normale Werte.
1,0 Es gibt minimale Auffälligkeiten in einem Bereich, aber keine spürbaren Einschränkungen.
1,5 Leichte Auffälligkeiten in mehreren Bereichen, ohne Auswirkungen auf den Alltag.
2,0 Geringe Beeinträchtigung in einem Bereich, aber weiterhin ohne Einschränkung der Lebensqualität.
2,5 Leichte Beeinträchtigungen in zwei Bereichen, aber noch keine spürbaren Einschränkungen im Alltag.
3,0 Mäßige Einschränkungen in einem Bereich oder leichte Einschränkungen in mehreren, aber uneingeschränkte Gehfähigkeit.
3,5 Deutlichere Einschränkungen in mehreren Bereichen, aber noch voll gehfähig.
4,0 Ohne Hilfe mindestens 500 Meter gehfähig. Trotz spürbarer Einschränkungen aktiv für ca. 12 Stunden am Tag.
4,5 Ohne Hilfe mindestens 300 Meter gehfähig. Ganztägige Arbeit noch möglich, aber mit Einschränkungen.
5,0 Ohne Hilfe etwa 200 Meter gehfähig. Die Behinderung erschwert den Alltag deutlich.
5,5 Ohne Hilfe etwa 100 Meter gehfähig. Normale tägliche Aktivitäten sind stark eingeschränkt.
6,0 Benötigt gelegentlich oder dauerhaft eine Gehhilfe (Krücke, Stock) für etwa 100 Meter.
6,5 Muss beidseitig Gehhilfen (z. B. zwei Krücken) nutzen, um etwa 20 Meter zu gehen.
7,0 Kann höchstens 5 Meter selbstständig gehen, ist weitgehend auf einen Rollstuhl angewiesen.
7,5 Kann nur noch wenige Schritte machen, ist auf einen Rollstuhl angewiesen und braucht Hilfe beim Umsetzen.
8,0 Völlig auf den Rollstuhl angewiesen, kann diesen aber selbstständig bewegen und sich mit Hilfe umsetzen.
8,5 Nahezu vollständig auf den Rollstuhl angewiesen, benötigt für Transfers und Körperpflege erhebliche Hilfe.
9,0 Bettlägerig, aber kann noch selbstständig essen und kommunizieren. Braucht umfassende Pflege.
9,5 Vollständig auf Pflege angewiesen, nur noch eingeschränkte Kommunikation möglich.
10,0 Tod durch MS.
Wie beeinflusst der EDSS-Wert die Therapieentscheidung?
Bei der Erstdiagnose wird in der Regel auch das Krankheitsstadium überprüft, also wie weit die MS bereits fortgeschritten ist. Außerdem wird der Schweregrad der MS abgeschätzt. Dafür wird ermittelt, wie stark die MS Dich schon beeinträchtigt. Dabei kommt auch die EDSS-Skala zum Einsatz. Sie kann Deiner Ärztin oder Deinem Arzt helfen, die passende Behandlung für Dich zu finden. Liegt Dein Wert zum Beispiel bei 3 oder höher, geht man von einer eher aktiven MS aus, die schneller voranschreiten kann. In diesem Fall werden meist stärkere Medikamente (Wirksamkeitskategorie 2 oder 3) in Betracht gezogen, um das Fortschreiten der Erkrankung bestmöglich zu bremsen.2
Wenn der EDSS-Wert im Krankheitsverlauf steigt, kann das auf zunehmende Beeinträchtigungen hinweisen und darauf, dass die aktuelle Therapie möglicherweise nicht mehr optimal für Dich ist. Dann kann ein Therapiewechsel sinnvoll sein. Es kann aber auch sein, dass Dein EDSS-Wert sinkt, zum Beispiel, wenn eine wirksame Therapie anschlägt. Der EDSS-Wert muss also im Verlauf der MS nicht unbedingt zunehmen.
Viele Menschen mit Multipler Sklerose bleiben lange bei EDSS-Werten von 1 bis 2. Studien zeigen, dass knapp 17 Jahre nach der Erstdiagnose der MS noch nahezu 90 Prozent der Patient*innen ohne Hilfe gehen können. Ohne eine Behandlung würden Studien zufolge nach dieser Zeit nur etwa die Hälfte der Patient*innen ohne Gehhilfe oder Rollstuhl auskommen.3
Häufig gestellte Fragen
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Der EDSS-Wert gibt Deinen Behinderungsgrad zu dem Zeitpunkt an, zu dem er erhoben wird. Er kann sich also im Krankheitsverlauf verändern. Wie sich der EDSS-Wert entwickelt, ist meist abhängig davon, wie die MS bei Dir verläuft, und kann auch davon abhängen, wie die MS-Therapie bei Dir anschlägt. Der Wert muss sich deshalb nicht verschlechtern, sondern kann sich sogar verbessern.
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Um den Grad der Behinderung (GdB) festzustellen, reicht der EDSS-Wert alleine nicht aus. Eine Schwerbehinderung wird in einem sogenannten Feststellungsverfahren durch das Versorgungsamt bestimmt. In die Beurteilung fließen viele Informationen ein, die weit über den EDSS-Wert hinausgehen. Wenn Du mehr darüber erfahren möchtest, dann schau doch mal bei der Stiftung MyHandicap vorbei. Dort findest Du viele hilfreiche Informationen, zum Bespiel auch, welche Unterstützung Du im Fall einer Schwerbehinderung erhalten kannst.
Quellen:
1. Kurtzke JF, Neurology 1983; 33(11): 1444–1452, https://pubmed.ncbi.nlm.nih.gov/6685237/ letzter Zugriff: 28.03.2025
2. DGN-Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose, Neuromyelitis-optica-Spektrum-Erkrankungen und MOG-IgG-assoziierten Erkrankungen“. Online-Version, Stand: 01.12.2024, https://dgn.org/leitlinie/176, letzter Zugriff: 26.02.2025
3. Deutsche Gesellschaft für Neurologie e.V. (dgn.org), Pressemitteilung 51: „Multiple Sklerose: Immer mehr Patienten leben ohne Behinderungen”, letzter Zugriff: 02.04.202
MAT-DE-2501903-1.0-05/2025