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Warum nicht DU mich aufhältst

neues Jahr, neue Ideen

An dieser Stelle möchte ich zuerst einmal betonen, dass ich keine Ärztin bin, keine Krankenschwester, keine medizinische Ausbildung habe. Ich möchte auch keinesfalls sagen, dass meine Art, mit MS oder auch mit meinem Körper im Gesamten umzugehen, der richtige Weg für alle Menschen ist. Wir alle sind so verschieden, ganz individuell. Nicht umsonst wird sie ja auch als die Krankheit der tausend Gesichter bezeichnet. Was ich machen kann und möchte, ist, in diesen Tagebucheinträgen von meinen ganz persönlichen Gedanken, Erlebnissen und Erfahrungen mit Multipler Sklerose zu erzählen. Von meiner Reise mit meiner MS. Liest du mit?

Liebe MS,

in meinem letzten Tagebucheintrag an dich habe ich dir ja schon erzählt, dass mich so etwas wie eine Diagnose mit dir nicht davon abhalten wird, meine Träume zu verwirklichen. Auch wenn ich damals noch nicht so ganz genau wusste, was meine Träume überhaupt sind. Mal unter uns gesagt, heute weiß ich das auch noch nicht so ganz genau. Ich habe einige Dinge, die ich gerne machen möchte. Träume, Wünsche, Hirngespinste – alles dabei. Rückblickend gesehen hast du mich wirklich nie davon abgehalten, das zu tun, was ich machen wollte. Um ehrlich zu sein, ich war es immer selbst, die mich davon abgehalten hat. Ich glaube, manchmal habe ich dich unterbewusst „benutzt“, um Dinge nicht zu tun. Mir selbst eine plausible Ausrede verschafft.

  • Sport? Kann ich nicht machen. Zu viele Schmerzen und zu müde
  • Ausflüge? Zu kompliziert mit meiner sich ständig leeren wollenden Blase
  • 9-to-5-Job? Würde ich niemals durchhalten

Okay, bezüglich des 9-to-5-Jobs weiß ich wirklich nicht, ob ich das durchhalten würde. Ob das aber wirklich an dir liegt? Ich habe unfassbare Schwierigkeiten damit, Balance in mein Leben zu bringen. Entweder mache ich nichts oder ich mache zu viel. Mir meine Pausen so zu legen, wie ich sie brauche und vor allem sie so zu gestalten, dass sie mir guttun – ja, das ist immer noch ein Mysterium für mich. Ich habe das Gefühl, dass ich, je mehr ich versuche herauszufinden, was mir guttut, mich immer weiter von mir selbst entferne. Immer gestresster bin. Immer mehr nach links und rechts schaue und frustriert bin, weil es bei anderen so einfach erscheint. Andere scheinen immer genau zu wissen, was sie wann brauchen. Sei es Pausen, Meditation oder das richtige Essen.

Allerdings fange ich immer mehr an, daran zu zweifeln. Versteh mich nicht falsch – ich möchte auf gar keinen Fall behaupten, dass alle lügen oder es gar keine Menschen gibt, die wissen, was sie brauchen. Ehrlich gesagt glaube ich, dass jeder Mensch tief im Inneren weiß, was er braucht. Wir haben nur verlernt, auf unseren Körper zu hören. Wirklich, ernsthaft zuzuhören. Ich glaube, wir hören anderen viel mehr zu als uns selbst und wundern uns dann, warum unser Körper uns die rote Karte zeigt. Ich glaube, das war und ist genau mein Problem. Ich höre anderen Menschen zu, gucke ihre Videos, lese ihre Geschichten und versuche genau das zu machen, was sie machen, anstatt mir nur das rauszuziehen, was für mich passt. Ich finde es richtig und wichtig, dass Menschen ihre Geschichte teilen – jeder kann eine Inspiration sein, aber dann bitte auch 100 Prozent authentisch und real.

Mhm.

Geht das überhaupt? 100 Prozent echt und real zu sein? Ich glaube, das geht. Aber – und das ist der Knackpunkt – um das zu sein, muss man zu 100 Prozent mit sich im Reinen sein. Mein erster Impuls war gerade wieder zu schreiben, ob das überhaupt geht. Ich glaube, es geht. Mit sich im Reinen zu sein bedeutet für mich nicht, perfekt zu sein. Alles cool zu finden, was man macht oder was man mal gemacht hat. Fehler sind okay. Mehr noch, sie dienen als Lernerfahrung. Wie du weißt, sage ich immer gerne, dass das Leben ein Lernprozess ist. Du bist ebenfalls ein Lernprozess für mich. Du lehrst mich, auf mich zu hören. Pausen zu machen. Vor allem lehrst du mich gerade zu unterscheiden, ob du die Übeltäterin hinter all meinen Wehwehchen bist oder ob da vielleicht doch andere Sachen dahinterstecken. Und Stück für Stück lasse ich dich los, Stück für Stück lässt du mich los. Ich fühle es. Fühle aber auch, dass dieser Prozess ein langwieriger wird und ist.

  • Sport? Mache ich mittlerweile drei- bis viermal die Woche. Ich habe wegen dir langsam angefangen, mich immer weiter gesteigert und siehe da – wir beide fühlen uns recht wohl damit, oder?
  • Ausflüge? Totaler Quark, dass ich das überhaupt dachte. Ich reise in der Weltgeschichte rum und habe Angst, einen Tagesausflug zu machen? Meine Blase, du und ich, wir kriegen das schon hin, habe ich recht?
  • 9-to-5-Job? Mal gucken, was die Zukunft bringt. Sag niemals nie, nicht wahr?

So, jetzt bin ich ausgeschrieben. Brauche eine Pause. Eine Pause von dir, der Gedankenspirale und dem Gefühl, dass du diejenige bist, die mich aufhält. Ich möchte der Tatsache ins Auge sehen – ich bin die Einzige, die mich aufhält. Das zu realisieren tut weh. Verdammt weh und beansprucht gefühlt mehr Arbeit, als du und ich Kraft haben. Lass uns nun endlich eine Pause machen. Nur für einen Moment, okay?

Danke fürs Zuhören.

Lara

GZDE.MS.19.03.0182