Sich später entscheiden? Manchmal eine gute Idee

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Unzählige Bücher, Seminare und Trainer*innen lehren: Entscheide Dich jetzt, zögere nicht! Schieb nichts auf die lange Bank! Doch ist eine schnelle Entscheidung auch immer die beste Entscheidung? Erfahre mehr über die Gründe, die dafür sprechen, manchmal ein wenig abzuwarten.

Du hast Dich entschieden, diesen Artikel zu lesen. Eine Entscheidung, über die Du wahrscheinlich nicht lange nachgedacht hast.

Unser Alltag ist voll mit solchen Momenten: Welche Hose nehmen wir morgens aus dem Kleiderschrank? Wie belegen wir unser Frühstücksbrot? Nehmen wir den Bus oder fahren wir mit dem Auto?

Zum Glück treffen wir diese Entscheidungen meist instinktiv. Wir würden wenig schaffen, wenn wir über jeden unserer Schritte erst stundenlang nachdenken müssten. In solchen Momenten sprechen wir von Intuition. Dabei hilft es, wenn wir solche Situationen bereits aus unserem Alltag kennen (etwa das morgendliche Aufstehen) oder wir relativ schnell und einfach den richtigen Weg erkennen: Mit einer Hose in die Stadt zu gehen dürfte in jedem Fall die bessere Entscheidung sein als ohne.

Anders dagegen sieht es für uns aus, wenn wir Dinge wählen und beschließen müssen, die eine größere Tragweite für uns haben: Wie kann ich mein Leben umkrempeln, um besser auf meine Bedürfnisse zu achten? Soll ich meinen Job kündigen und etwas ganz Neues wagen? Soll ich mir ein Haustier anschaffen und Verantwortung für es übernehmen?

Es sind immer Hirnareale aktiv, wenn wir bewusste Entscheidungen treffen. Wie bei körperlichen Aktivitäten gilt auch beim Nachdenken über Entscheidungen: Je mehr unser Gehirn leisten muss, desto anstrengender wird es. Hat unser Gehirn schon viel geleistet, arbeitet es nicht mehr mit voller Kraft. Auch wenn wir müde sind, steht uns nur ein Bruchteil unserer „vollen Rechenkapazität“ zur Verfügung. Deshalb gibt es Momente, in denen Du lieber noch etwas abwarten solltest, statt zu entscheiden.

Hier einige Situationen, in denen wir uns nicht sofort entscheiden sollten.

  1. Müdigkeit: Haben unser Körper und unser Gehirn bereits viel geleistet, wollen wir entspannen und nicht mehr grübeln. So wie sich unser Körper nach anstrengenden Tätigkeiten erholen muss, verdient auch unser Gehirn Ruhephasen, in denen wir nicht über wichtige Dinge nachdenken müssen.

  2. Anspannung: Stress ist ebenfalls ein schlechter Ratgeber bei Entscheidungen. Auch wenn wir in unserem täglichen Leben glücklicherweise nicht ständig große intellektuelle Herausforderungen lösen müssen, gilt dennoch: Sind wir angespannt, sollten wir lieber noch ein wenig abwarten, statt sofort eine von zwei Alternativen zu wählen.

  3. Hunger: Warum knurrt ein leerer Magen? Vielleicht möchte er uns mitteilen, dass wir mit einem niedrigen Glukosespiegel gerade nicht die nötige Energie für wichtige Entscheidungen haben?

  4. Energielosigkeit: Auch bei Fatigue, bekanntlich einem der häufigsten Symptome bei MS, ist es nur legitim, sich ausreichend Zeit zu lassen oder Entscheidungen zu verschieben.

 

Kognitive Fähigkeiten und MS

Wenn Du MS hast, ist es manchmal nicht leicht, Entscheidungen zu treffen. Die Neurowissenschaftlerin Prof. Iris-Katharina Penner von der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf berichtet: „Leider ist es tatsächlich so, dass etwa jeder zweite Mensch mit einer Multiplen Sklerose im Verlauf der Erkrankung Probleme mit seinen kognitiven Fähigkeiten entwickelt.“1

Zu den kognitiven Einschränkungen, die bei MS auftreten können, gehört eine verringerte Wahrnehmung unserer Umgebung. Wir riechen, sehen oder schmecken weniger. Auch das Abspeichern von Informationen im Gedächtnis und das Verarbeiten von Informationen im Gehirn, also das Nachdenken, können eingeschränkt sein. Doch gerade Erfahrungen, die wir einmal gemacht und als Informationen abgespeichert haben, machen uns Entscheidungen einfacher: Wir können uns mit ihrer Hilfe daran erinnern, welcher Weg uns schon einmal weitergebracht hat.

Die Expertin rät: „Wer stets geistig rege ist, sich für seine Umgebung interessiert, einen anregenden Beruf hat, viel liest und sportlich aktiv ist – am besten mit Sportarten, die auch koordinative Fähigkeiten verlangen –hat gute Chancen, nicht oder zumindest weniger betroffen zu sein als andere, die ein eher träges Leben führen. Es gibt Befunde, dass sich durch ein regelmäßiges geistiges und auch durch ein regelmäßiges körperliches Training der Entwicklung kognitiver Defizite bei der MS vorbeugen lässt.“3

Das ganze Interview kannst Du hier lesen.

Grundsätzlich gilt: Es ist keine Schande, wenn wir erst gründlich überlegen, statt sofort zu handeln.

Nur wer sich wirklich auf seine Ideen und Wünsche konzentrieren kann, ist am Ende auch zufrieden. So wird vielleicht nicht die flotteste Entscheidung getroffen, aber mit Sicherheit eine besonders durchdachte.

Quellen:

1 www.deutschlandfunkkultur.de/neue-erkenntnisse-zur-willensfreiheit-wie-das-gehirn-102.html, letzter Zugriff: 03.01.2023;
2 https://www.ms-begleiter.de/wissen/prof-penner-wenig-routine-erfolgsrezept-fuer-unser-gehirn, letzter Zugriff: 03.01.2023;
3 https://www.ms-begleiter.de/wissen/prof-penner-wenig-routine-erfolgsrezept-fuer-unser-gehirn, letzter Zugriff: 03.01.2023.

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