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Zuspruch von außen: Halte durch!

„Hang in there!“ - Halte durch!

Seit zwei Wochen habe ich Schubsymptome. Von Sehnerventzündungsschmerz, starker Fatigue, tauben Beinen, Gehproblemen und kognitiven Einschränkungen bis hin zu Schwindel ist alles dabei. Ich habe all das auf Instagram und YouTube geteilt, da ich nach wie vor mein Leben mit MS zeigen will und vor allem für mehr Realität auf Social Media sorgen möchte. Privat habe ich allerdings nicht wirklich vielen Menschen davon erzählt. Was sollte ich auch sagen? „Hallo, ich habe gerade einen Schub!“ ist jetzt kein von mir bevorzugter Konversationsstarter. Meine Mama habe ich allerdings angerufen, um ihr davon zu erzählen – fand es nicht so cool, wenn meine Eltern durch YouTube erfahren hätten, dass ich einen Schub habe. Außerdem wollte ich, dass sie sich keine Sorgen machen. Machen sie sich zwar bestimmt sowieso, aber ich wollte wenigstens versuchen, ihnen die gröbsten Sorgen zu nehmen.

Mir ist während dieser Zeit etwas aufgefallen und das hat mich zum Nachdenken angeregt. Ungefähr 400 bis 500 Menschen schauen sich meine Insta-Story an, mein erstes Schubvideo auf YouTube hat über 1500 Views. Auf Instagram kann ich auch sehen, wer sich meine Story angeschaut hat. Ganz viele liebe Menschen aus der dortigen „MS-Community“ haben darauf reagiert und mir viele liebe Gute-Besserungs-Wünsche geschickt. Ich war wirklich total geplättet und dankbar – diese Nachrichten haben mir so unfassbar viel Kraft gegeben. Ich möchte mich an dieser Stelle bei allen bedanken, die mir geschrieben haben – ich schätze das wirklich unfassbar und sende ganz viel Liebe zurück!!! ❤️

Unrealistische Erwartungshaltung

Menschen, die keine MS haben, haben mir kaum geschrieben. Von manchen hätte ich gedacht, dass sie mir schreiben – haben sie aber nicht. Das hat mich zum Nachdenken gebracht. Ich muss zugeben, anfangs tat es mir ein bisschen weh. Dann habe ich mich gefragt, ob ich den Menschen geschrieben hätte, wenn ich irgendwie mitkriegen würde, dass es ihnen schlecht geht. Ich bin zu dem Schluss gekommen, dass ich manchen geschrieben hätte – manchen allerdings auch nicht. Habe ich dann also das Recht dazu, traurig zu sein? Warum habe ich überhaupt diese Erwartungshaltung? Ist sie nicht völlig unrealistisch? Sollte es mir nicht völlig egal sein, was im Außen passiert und mich völlig auf mich im Inneren konzentrieren?

Vor allem ist es ja auch so, dass diese Menschen überhaupt nicht nachfühlen können, wie ich mich fühle. Ich kann mich ja auch nicht in jeden Menschen mit MS hineinversetzen, gerade weil es die Krankheit der 1000 Gesichter ist und es für wirklich jeden anders ist und sich anders anfühlt. Wie soll ein Mensch – gerade, wenn dieser jemand keine MS hat – nachfühlen, wie es sich für mich anfühlt, wenn meine Beine taub sind? Wenn ich kognitive Probleme habe? Wenn ich nicht richtig gucken kann? Wenn ich Angst habe, dass das nicht mehr weggeht und ich mich für immer so fühlen werde, wenn manchmal nicht mal ich weiß, wie ich mich fühle?

In diesen Momenten habe ich dann auch oft nicht die Kraft, es zu erklären. 

Was ich eigentlich mit diesem ganzen Text hier sagen will

Ist es schön, wenn sich jemand bei mir meldet und nachfragt, wie es mir geht? Mir Genesungswünsche sendet? Absolut. Werde ich es immer und bei jedem machen? Höchstwahrscheinlich nicht. Das heißt aber überhaupt nicht, dass ich der Person nicht wünsche, dass es ihr besser geht oder sie mir egal ist oder dass ich nicht an die Person denke. Vielleicht weiß ich einfach nur nicht, was ich sagen soll. Vielleicht möchte ich einfach nur nichts Falsches sagen. Vielleicht raffe ich auch einfach nicht, wie schlecht es der Person wirklich geht, weil ich nicht in ihrem Körper stecke und es nicht nachfühlen kann.

Niemand kann zu 100 % wissen, wie sich der andere fühlt, ob mit oder ohne MS. Deshalb möchte ich auch überhaupt nicht böse oder traurig sein, wenn der andere einfach nicht versteht, wie ich mich fühle, auch wenn ich es hundertmal erklärt habe. Natürlich bin ich auch nur ein Mensch mit Emotionen und fühle diese – ich kann aber entscheiden, was ich mit ihnen mache und sie hinterfragen sowie reflektieren. Ich möchte allerdings mit Menschen im Dialog bleiben. Ich möchte versuchen, ihnen zu erklären, wie ich mich fühle, wenn sie nachfragen. Ich möchte selber nachfragen, wenn ich sehe, wenn es anderen schlecht geht. Ich möchte meine Angst abbauen, etwas Falsches zu sagen. Ich möchte keine ungefragten Ratschläge geben, weil mir diese auch manchmal zum Halse raushängen.

Ich möchte ganz einfach fragen: „Wie geht’s dir?“ und „Wie fühlst du dich?“ Ganz einfach nachfragen, den anderen erzählen lassen und zuhören. Ich finde, das machen wir alle eh viel zu wenig – nachfragen und dann auch WIRKLICH zuhören. Natürlich können wir nicht abschalten, von unseren eigenen Erfahrungen aus zu reagieren und zu antworten, was vielleicht nicht immer hilfreich für die andere Person sein und dieser vielleicht auch manchmal auf den Keks gehen wird. Aber ich denke, die wirklich ernst gemeinte Frage: „Wie fühlst du dich?“ kann bei dem anderen schon viel auslösen – ernst genommen werden, jemand denkt an dich, jemand möchte wissen, wie es dir geht. Alleine das bewirkt doch manchmal schon Wunder, oder?

Die kleinen Dinge

Ich habe relativ am Anfang des Schubs ein einfaches „Hang in there!“ (auf Deutsch: „Halt durch!“, „Bleib tapfer!“) von einer Person als DM auf Instagram bekommen, die keine MS hat, momentan auf einem anderen Kontinent lebt und die ich seit Monaten nicht gesehen habe. Diese einfachen drei Worte haben mir ein Lächeln ins Gesicht gezaubert, mich komischerweise geborgen fühlen lassen, und ich wusste, dass jemand an mich denkt. Verrückt, wie manchmal etwas so Kleines eine so große Wirkung haben kann, nicht wahr? ?

MAT-DE-2400244-1.0-01/2024