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Schwanger mit Multipler Sklerose – ein Interview mit drei Mamas in spe
Meine drei Schwangerschaften mit der Multiplen Sklerose sind allesamt gut verlaufen. Die Krankheit hat sich jeweils mehr und mehr zurückgezogen. Ich hatte die üblichen „Schwangerschaftswehwehchen“ und bei der dritten Schwangerschaft einen insulinpflichtigen Schwanger- schaftsdiabetes – aber nichts von alledem war nach Aussage meines Arztes auf die MS zurückzuführen. Doch wie sieht das bei anderen werdenden Müttern mit der Diagnose „Multiple Sklerose“ aus? Ich habe drei Mamas in spe dazu befragt: Bianca (31. Schwangerschaftswoche), Kati (38. Schwangerschaftswoche) und Sanne (30. Schwangerschaftswoche). Die Interviewpartnerinnen berichten von Ihren ganz persönlichen Erfahrungen.
SEIT WANN HABT IHR MS? WIE SEHEN EURE EINSCHRÄNKUNGEN AUS? WIE GEHT ES EUCH?
Kati:
„Meine ersten Symptome begannen vor fast zwei Jahren mit einem Kribbeln in den Füßen, welches im Laufe der Wochen bis zum Rumpf stieg. Es kamen Taubheitsgefühle von den Zehen bis zum Rumpf hinzu und später auch Probleme in einem Knie. Ich konnte einige Monate dadurch nicht so gut laufen. Meine Taubheitsgefühle sind nach zwei Kortison-Stoßtherapien fast komplett weggegangen. Mein Knie merke ich manchmal noch ein bisschen und in manchen Hosen habe ich ein komisches Gefühl. Das Kribbeln ist nur noch in den Füßen – dort spüre ich es mal mehr, mal weniger oder gar nicht. Bei einem Infekt wandert das Kribbeln aber manchmal wieder ein bisschen auch zu anderen Stellen. Ich brauche allgemein mehr Ruhepausen seit der Diagnose, würde aber nicht sagen, dass ich unter einer Fatigue leide. Aufgrund einer Studienteilnahme habe ich in der Schwangerschaft regelmäßig neurologische Untersuchungen, die bisher sehr gut ausfielen. In der Schwangerschaft gab es weder Verbesserungen noch Verschlechterungen und es geht mir meistens gut. Man hat so viele andere Gedanken in der Schwangerschaft, sodass man weniger als vorher an die MS denkt.“
Bianca:
„Ich habe die Diagnose im Juni 2015 erhalten, neun Monate nach der Geburt meines ersten – tollen – Kindes. Ich hatte eine Sehnerventzündung. Diese ist mittlerweile vollständig zurückgegangen. Aber laut MRT muss in meinem Kopf wohl schon länger etwas los sein … Dort habe ich viele Herde. Allerdings macht keiner Probleme. Ich habe keinerlei Einschränkungen und spüre nichts von der MS – auch nicht jetzt in meiner Schwangerschaft.“
Sanne:
„Meine ersten Symptome begannen schon mit Mitte 20. Das ist nun über 15 Jahre her und begann ganz typisch mit Doppelbildern, die ich gesehen habe. Nach einer Odyssee zu verschiedensten Ärzten bekam ich dann die Diagnose „MS“. Heute geht es mir relativ gut, ich habe leichte motorische Einschränkungen, die sich in der Schwangerschaft aber sogar etwas verbessert haben.“
DIE WIEVIELTE SCHWANGERSCHAFT IST ES FÜR EUCH? NATÜRLICH GRATULIERE ICH EUCH GANZ HERZLICH DAZU!
Sanne:
„Das ist meine dritte Schwangerschaft, aber es ist das erste Kind, das es über die 12. Schwangerschaftswoche hinausgeschafft hat.“
Kati:
„Ich bin zum ersten Mal schwanger.“
Bianca:
„Ich erwarte mein zweites Kind.“
Seid ihr geplant schwanger geworden?
Sanne:
„Ich habe mich lange nicht getraut, schwanger zu werden, weil bei mir die MS so aktiv war. Aber mein Mann hat mich in meinem Wunsch bekräftigt. Und ja, nach den zwei Fehlgeburten ist auch dieses Kind ein absolutes Wunschkind.“
Bianca:
„Ja. Es hat diesmal auch ganz im Gegensatz zu meinem ersten Kind sofort geklappt.“
Kati:
„Wir haben uns ein Kind gewünscht und haben auf meinen Zyklus geachtet (ohne technische Hilfsmittel). Das klappte glücklicherweise recht schnell.“
WIE WAR DAS MIT EUREN NEUROLOGEN – HABEN SIE EUCH BEZÜGLICH DER SCHWANGERSCHAFT BERATEN?
Kati:
„Ja, meine Neurologin hat von Anfang an meinen Kinderwunsch unterstützt und ist auf MS und Schwangerschaft spezialisiert.“
Bianca:
„Meine erste Frage nach der Diagnose war, wie es mit weiteren Kindern aussieht. Ich bekam direkt Zuspruch, gleich von zwei Neurologen. Denn meinem Mann und mir war immer klar, dass wir einmal zwei Kinder haben wollen.“
Sanne:
„Mein Neurologe meinte, dass das keine einfache Entscheidung ist, da Kinder natürlich auch anstrengend sind. Schließlich kann sich Stress negativ auf die Multiple Sklerose auswirken. Aber er sagte auch, dass es sich sicherlich negativer auf die Erkrankung auswirke, diesen Traum von einer Familie mit Kindern nicht zu verwirklichen. Daher begleitet er mich auch weiterhin auf meinem Weg.“
WIE WAREN EURE GEDANKEN ZUM THEMA SCHWANGERSCHAFT? HATTET IHR BEDENKEN ODER ÄNGSTE?
Bianca:
„Keineswegs, zumindest nicht mehr als alle werdenden Mamas. Ich habe mich lange und ausgiebig informiert. Wegen Medikamenten musste ich mir ja keine Gedanken machen, da ich keine nehme. Meiner Erfahrung nach verläuft bei MS-Patientinnen eine Schwangerschaft normalerweise sehr gut. Meines Wissens nach gehen durch die Hormone manchmal sogar Beschwerden zurück und/oder Schübe bleiben aus. Daher hat mir das keine Angst gemacht.Die größere Gefahr besteht nach der Schwangerschaft (oder dem Abstillen), wenn die Hormone sich wieder umstellen. Dann kommt es wohl statistisch gesehen häufiger zu einem Schub. Das macht mir ein wenig Sorge. Aber da habe ich einen tollen Mann, der mir unter die Arme greift.“
Kati:
„Schon als ich die Diagnose inoffiziell vom Radiologen bekam, war meine erste Frage, ob ich mit dieser Krankheit überhaupt Kinder bekommen kann. Mein Freund und ich hatten zu diesem Zeitpunkt geplant, uns um unseren Nachwuchs zu kümmern. Die Diagnose hat mich natürlich anfangs umgehauen und ich beschloss erst einmal, mir den Verlauf weiter anzuschauen und abhängig davon zu entscheiden, ob wir unseren Wunsch wirklich erfüllen. Ich bin von Natur aus sehr optimistisch und habe zunächst versucht, so gut es ging weiterzuleben. Zum Beispiel habe ich auch während der Stoßtherapien weitergearbeitet. Denn ich finde, dass man sich zu Hause zu viele Gedanken macht. Ich habe aber zusätzlich versucht, meinen Stress zu reduzieren. Physiotherapie, Yoga und Meditation sowie mein positives Umfeld haben mir sehr dabei geholfen. Mit der Zeit wurden manche Symptome immer besser oder andere gingen ganz weg, sodass ich auf jeden Fall ein Baby bekommen wollte. Im letzten Winter haben wir uns dem Thema wieder gewidmet. Trotzdem bleiben Ängste bestehen, da ich nicht weiß, wie sich die MS weiterhin entwickelt und ob ich die Kraft und die Fitness für ein Kind haben werde, die ich mir wünsche. Auch die Vererbung der Veranlagung macht mir ab und zu Sorgen, aber da mir gesagt wurde, dass die Wahrscheinlichkeit eher gering ist, bin ich hier positiv gestimmt. Natürlich bin ich bei jeder Ultraschalluntersuchung sehr aufgeregt und habe manchmal Angst, dass sich meine Krankheit und auch die vorherige Medikamenteneinnahme auf die Gesundheit des Babys auswirken. Auch ich wurde sehr engmaschig in den letzten Wochen kontrolliert, da meine Kleine sehr zierlich ist und da bekommt man leider doch öfter mal negative Gedanken.“
Sanne:
„Meine Krankheitsgeschichte geht ja nun schon ein bisschen länger. Zwei bis drei Schübe habe ich durchschnittlich pro Jahr. Natürlich mache ich mir da Gedanken: Wie wird es sein, wenn ich für ein Kind verantwortlich bin und einen Schub haben werde? Wie werde ich meinem Kind die Krankheit erklären? Was mache ich, wenn ich vielleicht einmal nicht mehr mit meinem Kind toben und spielen kann? Aber auf der anderen Seite war der Gedanke, nicht Mama zu werden, sehr schlimm für mich. Ich konnte es mir einfach nicht vorstellen. Daher hoffe ich, dass alles gut wird, nun da es endlich geklappt hat. Irgendwie wird es gehen, auch mit Krankheit.“
WIE SIND EURE GEDANKEN ZUM UMGANG MIT DER MS BEZÜGLICH DES KINDES? SOLL ES VON DER KRANKHEIT ERFAHREN?
Kati:
Ich möchte meinem Kind von der Krankheit erzählen, aber ich weiß noch nicht, wann dies passieren wird – wahrscheinlich hängt dies auch vom weiteren Verlauf der Krankheit ab.“
Sanne:
„Darüber habe ich mir schon den Kopf zerbrochen und auch mit vielen MS-Eltern aus meiner Selbsthilfegruppe gesprochen. Mute ich meinem Kind nicht zu viel zu, es schon früh mit so einer Krankheit zu belasten? Aber ich denke, dass ich es gar nicht vor meinem Kind verheimlichen kann, insbesondere wenn die Multiple Sklerose genauso aktiv sein wird wie vor der Schwangerschaft. Dann werde ich versuchen, jeweils altersgerecht zu erklären, warum es mir so geht, wie es mir eben geht.“
Bianca:
„Wenn es alt genug ist, definitiv. Eventuell kommen Beschwerden hinzu oder mal ein Schub, der einen außer Gefecht setzt. Da muss man dem Kind erklären können, wieso Mama heute nicht so kann wie sonst (oder nicht so kann wie andere Mamas). Ich denke, ein unkomplizierter, offener Umgang mit der Krankheit ist nur fair.“
WIE REAGIERT DEIN PARTNER BZW. DER VATER DES KINDES AUF DIE MS UND DIE SCHWANGERSCHAFT?
Bianca:
„Die Diagnose war für ihn ebenso schockierend wie für mich. Glücklicherweise hat er einen netten Chef, der ihm spontan öfter schon freigegeben hat. Gerade als es um die Diagnosestellung und die ganzen Termine mit neun Monate altem Kind ging. Mein Partner sieht es genauso entspannt wie ich und freut sich riesig auf unseren Nachwuchs.“
Kati:
„Mein Partner ist immer sehr positiv und versucht, mir die Sorgen zu nehmen, wenn ich mir mal mehr Gedanken mache oder einen nicht so guten Tag habe. Er hat sich das Baby gewünscht und hofft, dass sowohl die Schwangerschaft als auch die Stillzeit einen positiven Effekt auf die MS haben. Er war wegen der Medikamentenabsetzung besorgt, da er den Eindruck hatte, dass es gut bei mir wirkt. Er ist sehr optimistisch, dass das Baby gesund ist und ist überzeugt von den Fortschritten in der Forschung, da in den letzten Jahren im Bereich „MS“ viel passiert ist und auch unternommen wurde. Er hat weniger Bedenken als ich, dass es doch wieder zu einem Schub kommen könnte.“
Sanne:
„Mein Partner steht voll hinter mir und sieht oft unbeschwerter in die Zukunft als ich. Er ist der festen Überzeugung, dass alles gut werden wird.“
WERDET IHR STILLEN?
Sanne:
„Ich weiß es noch nicht hundertprozentig. Mein Neurologe rät mir wegen des Stresses davon ab. Aber ich habe schon so viel über den positiven Effekt des Stillens gelesen, dass ich darüber nachdenke, zu stillen.“
Bianca:
„Wenn es klappt, auf jeden Fall!“
Kati:
„Auf jeden Fall! Ich hoffe sehr, dass das Stillen klappt und ich dies auch einige Monate durchziehen kann.“
HABT IHR BESONDERE VORKEHRUNGEN FÜR DIE ZEIT NACH DER GEBURT GETROFFEN, WEIL IHR MS HABT?
Bianca:
„Nein. Sollte ich?“
Kati:
„Nicht wirklich – mein Partner, meine Familie und meine engen Freunde wissen von der erhöhten Schubwahrscheinlichkeit und werden mich unterstützen, falls es mir schlechter gehen sollte. Meine Neurologin hat mich auch aufgeklärt. Im Moment möchte ich einfach optimistisch sein und hoffe sehr, dass ich keinen Schub bekomme. Ich werde auf jeden Fall schauen, dass ich mich in den ersten Monaten nicht so sehr mit Besuchen und Reisen stresse.“
Sanne:
„Meine Mutter wird für die ersten Wochen nach der Entbindung zu uns ziehen, um mich zu unterstützen. In den letzten Wochen vor der Entbindung werde ich schon vorkochen und einfrieren, sodass ich mir um das Essen dann keine Gedanken machen muss. Darüber hinaus habe ich mich schon bei der Krankenkasse informiert, wann ich eine Haushaltshilfe bekomme. Und mein Mann wird Elternzeit nehmen, sobald meine Mama nicht mehr bei uns ist. Da ist er zum Glück flexibel.“
WIE HAT DEIN UMFELD (FREUNDE, FAMILIE, KOLLEGEN USW.) AUF DEINE SCHWANGERSCHAFT REAGIERT?
Sanne:
„Ich weiß, dass meine Eltern sich Sorgen um mich machen. Natürlich haben sie Angst um ihr Kind. Aber sie freuen sich auch tierisch darauf, Großeltern zu werden.“
Bianca:
„Sie haben uns beglückwünscht. Die Reaktion ist dieselbe wie bei Nicht-MSlern.“
Kati:
„Alle freuen sich riesig und sind mit uns gespannt. Nicht alle wissen von meiner Krankheit, aber ich habe glücklicherweise keine negativen Erfahrungen mit den Menschen gemacht, die es wissen, und darüber bin ich sehr froh!“
Ich danke euch allen ganz herzlich für eure Bereitschaft, mir Rede und Antwort zu stehen. Ich wünsche euch und euren Familien alles Gute für die Zukunft!
GZDE.MS.18.01.0008