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Kontrolletti, Kontrolletti: Auf einmal bist Du Dauergast beim Arzt

Kontrolluntersuchung

„Früher war ich eigentlich nie beim Arzt“ – diese Aussage wird mit der MS-Diagnose zur wehmütigen Erinnerung. Denn wer eine chronische Erkrankung wie zum Beispiel Multiple Sklerose hat, handelt mit dem Verweigern von Kontrolluntersuchungen beim Neurologen wenig verantwortungsvoll.

Die MS ist oft vor allem zu Beginn oft sehr aktiv und zudem fühlen sich Neudiagnostizierte verunsichert angesichts der unbekannten Situation. Daher sind sie – so auch meine Erfahrung – im ersten Jahr sehr oft beim Neurologen. So viele Fragen sind ungeklärt und jedes Unwohlsein löst die Angst vor einem Schub aus. Doch irgendwann stellt sich eine gewisse Gewohnheit ein und die Termine beim Neurologen beschränken sich auf das Nötigste.

Wer Basismedikamente nimmt, muss zum Beispiel in regelmäßigen Abständen zum Blutabnehmen erscheinen oder sich sein Rezept abholen. Möglicherweise fragt die Neurologin dann im Vorbeigehen, ob alles in Ordnung ist. Das kann ich dann bestätigen oder sie bitten, doch noch „kurz reinkommen“ zu können, wenn ich einen ärztlichen Rat benötige. Es entsteht mit den Jahren eine vertraute Atmosphäre in der Neurologiepraxis. Mit der einen Arzthelferin bin ich per Du und ein kurzer Schnack über die Kinder ist immer drin. Man kennt sich einfach irgendwann.

Was der Neurologe beim Kontrolltermin prüft

In meinem Fall läuft der Kontrolltermin üblicherweise einfach als Gespräch ab. Meine Neurologin fragt mich, wie sich verschiedene Beschwerden im Vergleich zum letzten Termin darstellen oder ob es etwas Neues gibt. Außerdem geht es oft um weitere Facharzttermine, um beispielsweise meine ausgeprägte Blasenproblematik abzuklären.

Neben Gesprächen sind allerdings noch weitere neurologische Untersuchungen möglich. In seiner Praxis kann der niedergelassene Neurologe einige Tests des Nervensystems durchführen. Dazu gehört das Prüfen der Reflexe, der Sensibilität oder des Schmerzempfindens. Auch Muskelkraft und -funktionen sowie der Gleichgewichtssinn lassen sich ohne zusätzliche Technik prüfen. Anhand von Skalen kann der Neurologe dann ablesen, wie stark eine mögliche Beeinträchtigung ausgeprägt ist.

Regelmäßig zu einer bestimmten Zeit im Jahr, bei mir ist es der Herbst, erinnert meine Neurologin mich an den alljährlichen MRT-Termin. Da gibt es wirklich Schöneres, aber ich sehe die Notwendigkeit: Wie sonst lässt sich die Aktivität meiner MS feststellen?

Die Pflichtuntersuchung im MRT: Ein vertrauter, lauter und enger Ort

Ich habe den Vorteil, in einer Großstadt zu wohnen und für die MRT-Untersuchung gleich unter mehreren Radiologiepraxen wählen zu können, die über ein MRT-Gerät („die Röhre“, Magnetresonanztherapie) verfügen. Für die Untersuchung muss ich also in keine Klinik fahren.

Meine Praxis des Vertrauens ist sogar in Fahrraddistanz – dennoch fahre ich zu den Terminen immer mit dem Auto, um bei möglicherweise unschönen Ergebnissen im Anschluss einen Schutzraum zu haben. Denn ich empfinde nicht die Untersuchung und die Zeit in der Röhre als besonders unangenehm. Vielmehr ist es das Sichtbarwerden des Unsichtbaren, das mir etwas Angst macht.

Das Liegen im MRT-Gerät ist gar nicht so schlimm. Die Liegefläche ist beheizt und die Kopfhörer blenden die lauten Klopfgeräusche weitgehend aus. Es läuft sogar Radio – leider hat mein Neurologe ein Faible für einen ausgesprochen schlechten Sender. Irgendwann kommt der Helfer rein und spritzt ein Kontrastmittel. Das fühlt sich anfangs etwas kalt an, was aber schnell nachlässt.

Nach der Untersuchung erhalte ich – je nach behandelndem Radiologen – eine kurze Aussage, ob es „etwas Neues“ seit dem letzten Jahr gibt oder ob sich das Bild unverändert zeigt. Die vollständige Besprechung der Ergebnisse findet aber an einem weiteren Termin bei meiner Neurologin statt. Sie erhält den Bericht der Radiologiepraxis und übersetzt ihn für mich in eine laienverständliche Sprache. Wir besprechen dann auch sofort, ob jetzt irgendwelche Maßnahmen notwendig sind und falls ja, welche. Die regelmäßige MRT-Untersuchung ist ein Prozess, der zur MS-Erkrankung dazugehört. Auch dies wird schnell zu einem ganz normalen Vorgang.

Es bleibt nicht beim Neurologen: Mit der MS neue Fachärzte kennenlernen

Da unsere Krankheit der 1.000 Gesichter eine bunte Palette der Beschwerden und Störungen bereithält, lernen wir schnell auch das große Spektrum der Fachärzteschaft persönlich kennen. Ich selbst kann an dieser Stelle vom Urologen berichten. Denn eine MS-Blase kann man nicht einfach sich selbst überlassen! Sie gibt mal zu viel ab und mal zu wenig und die Blasenentzündung ist bei mir demzufolge ein Dauergast.

So sitze ich also als Frau Mitte Dreißig mindestens alle paar Monate im Wartezimmer des Urologen – zwischen vielen Männern fortgeschrittenen Alters. Mein Urologe selbst ist aber geradezu als innovativ zu bezeichnen: Bei ihm gibt es – im Gegensatz zu seinem Vorgänger – auch Urinproben-Gefäße, die mit der weiblichen Anatomie zu handhaben sind … ist ja kein Standard!

Am Anfang hatte ich etwas Angst vor dem Urologenbesuch, weil ich nicht wusste, was mich erwartet – ist das wie beim Frauenarzt nur, naja, noch unangenehmer? Die Sorge war zum Glück unbegründet. Unschöne Untersuchungen wie auf dem Gyn-Stuhl gibt es zwar beim Urologen auch, aber meine Kontrolluntersuchungen beliefen sich bis jetzt auf eine nicht invasive Ultraschalluntersuchung von Blase und Nieren. Hier schaut der Urologe, ob Restharn (ja, ein neuer Begriff aus dem MS-Umfeld, den man eigentlich eher einer Zielgruppe Ü80 zuordnen würde!) vorhanden ist und falls ja, wie viel. Ist die Blase leer, findet mein Urologe, dass sie mit ihrer Form den lachenden Mund eines Gesichtes, dessen Nase meine darüberliegende Gebärmutter ist, bildet. Der gute Mann hat es verstanden: Ohne Humor geht es nicht!

Warum ich einmal trotz Symptomen nicht zur Neurologin gegangen bin

Es klingt plausibel und sinnvoll, sich bei Problemen vertrauensvoll an seine neurologische Praxis zu wenden. Aber so einfach ist es nicht. Denn eine chronische Erkrankung zu haben, macht angreifbar und verletzlich. So geht es jedenfalls mir. Daher habe bin ich vor Kurzem, als ich große Probleme beim Gehen hatte, meine Neurologin nicht konsultiert. Das Ganze hatte eine Vorgeschichte.

Der Grund war ein vorhergehender Termin. An diesem habe ich sie als wenig wertschätzend und sogar abweisend erlebt. Ich hatte den Eindruck, nicht ernst genommen zu werden und dass sie mich wehleidig fand. Bei jenem Termin habe ich mein Empfinden allerdings nicht direkt angesprochen, da mein Selbstbewusstsein gerade tief im Keller war (noch ein Teil des großen MS-Puzzles: eine angekratzte Psyche).

Da dieses Gefühl in einem Schub noch viel stärker ist, habe ich sie trotz meiner Probleme nicht kontaktiert. Mein Gehen hat sich zum Glück von allein wieder gebessert, aber das hätte auch anders kommen können.

Mein Tipp ist daher: Auch wenn Ihr in einer miesen und kraftlosen Phase seid: Sprecht bei Eurem Neurologen an, wenn Ihr Euch bei ihm unwohl oder unverstanden fühlt! Das ist schwer, aber wichtig. Denn Euer Neurologe ist Euer Ansprechpartner rund um die MS, er kennt Euch und Eure Krankheitsgeschichte. Daher sollte das Vertrauensverhältnis zu Eurem Neurologen so gut wie möglich sein – das bedeutet Arbeit von beiden Seiten.

MAT-DE-2002224 v1.0 (09/2020)