
Ich bin mittelschwer beeindruckt davon, dass Lina schon unzählige Schübe durchgemacht hat. Und dass ich ihr davon beim ersten Treffen nichts anmerken kann. Es ist wieder ein neues Gesicht der Krankheit, das mir vor Augen geführt wird: Auch die Beschwerden durch eine große Anzahl an Schüben können sich wieder halbwegs zurückbilden.
Als wir einige Wochen später zum Interview verabredet sind, verrät mir Lina, welche Einschränkungen sie im Alltag so mit sich herumträgt, an was sie sich gewöhnt hat und was sie immer noch versucht zu vertuschen. Nachdem eineinhalbstündigen Gespräch gesteht sie mir, dass sie gegen Ende unseres Interviews immer mehr Konzentrations- und Wortfindungsschwierigkeiten hatte. Mir ist das gar nicht aufgefallen.
Sie bringt den Aspekt auf, dass man sich immer wieder neu an Dinge gewöhnen muss und dass jeder Schub sich irgendwie auch wie eine Neudiagnose anfühlt. Ja, genauso ist das bei mir auch. Es ist ein Punkt, über den ich schon lange nicht mehr geredet habe, fällt mir dabei auf. Vor allem, wenn man relativ wenig Probleme im Alltag mit der MS hat, passiert es nur allzu leicht, dass man sie „vergisst“ – so gut eben, wie man eine MS vergessen kann. Und dann beim nächsten Schub wird man mit der ganzen Härte der Unberechenbarkeit dieser Krankheit getroffen.
Wir begleiten Lina zum Joggen mit ihrer ungestümen aber dennoch bezaubernden Hündin Amy. Die Hamburger Wolken behalten ihren Regen für diese paar Stunden ausnahmsweise mal für sich. Und Lina macht nicht nur Sport, sie achtet auch besonders auf ihre Ernährung. Nach unserem kleinen Ausflug zaubert sie uns einen ihrer Smoothies mit viel Gemüse und anderen guten Sachen, wie z.B. Goji-Beeren. Der erste Drehtag ist danach vorbei, aber dieser Smoothie bringt mich für den Rest des Tages wieder richtig weit nach vorne.
Am darauffolgenden Tag nimmt Lina uns mit in ihren Yoga-Raum. Sie hat selbst vor Kurzem eine Yoga-Ausbildung angefangen und erzählt mir, dass sie später gerne Kurse für Menschen mit neurologischen Erkrankungen anbieten möchte. Das erinnert mich sofort an Inga, und ich finde es schön und faszinierend zugleich, dass es mehr und mehr MS-ler gibt, die anderen etwas von ihrem Erfahrungsschatz zurückgeben möchten.

Mit vielen guten Gedanken und nachdenklichen Worten endet unser gemeinsamer Dreh. Vor allem der Punkt, wie sich das Verhalten anderer dir gegenüber verändert hat durch die Krankheit, beschäftigt mich noch eine Weile. Je unsichtbarer die Krankheit, desto einfacher ist es für andere, damit umzugehen, MS kann man ja zunächst mal nicht sehen. Das ist zumindest mein Gefühl. Wie würde sich das verändern, wenn nun sichtbare Auswirkungen der MS nach außen dringen? Als jemand, bei dem die Krankheit genauso unsichtbar ist, wie bei Lina, würde ich nicht die Hand dafür ins Feuer legen, dass ihr Umfeld darauf eingestellt wäre.