Nach Deiner MS-Diagnose hast Du bestimmt viele Fragen. Was bedeutet das für Dein Leben? Welche langfristigen Auswirkungen kann die MS haben? Und wie schnell schreitet die chronisch entzündliche Erkrankung voran? MS verläuft bei jedem anders, deshalb sind Prognosen oft schwierig – doch es gibt gute Nachrichten: Dank aktuell verfügbarer Therapien kann die MS heutzutage gut behandelt werden und viele Betroffene können lange ohne größere Einschränkungen leben.
Der Verlauf der MS kann sich ganz unterschiedlich zeigen. Wie die entzündliche Autoimmunerkrankung bei Dir verlaufen wird, ist deshalb nach der Diagnose nicht einfach vorherzusagen. Für eine erste Prognose können Expert*innen verschiedene Faktoren heranziehen, wie Alter und Geschlecht, die ersten MRT-Befunde und den anfänglichen Krankheitsverlauf, etwa die Anzahl der Schübe im ersten Jahr. Die gute Nachricht: Die meisten Betroffenen haben auch 15 bis 20 Jahre nach der Diagnose nur wenige Einschränkungen. Etwa 20 Prozent entwickeln stärkere Beeinträchtigungen und nur eine kleine Minderheit ist nach dieser Zeit auf einen Rollstuhl angewiesen.1
Welche Verlaufsformen gibt es bei MS?
Bei der MS werden drei Verlaufsformen unterschieden:
Schubförmig-remittierende MS (RRMS)

Die Mehrheit der Menschen mit MS (rund 85 %) weist zunächst einen schubförmig-remittierenden MS-Verlauf (RRMS) auf.2 Dieser wird meist zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr festgestellt und kann sich durch ganz unterschiedliche Symptome äußern, wie beispielsweise Gefühlsstörungen, Lähmungen, Seh- und Gleichgewichtsstörungen und Fatigue.
Die Abkürzung RRMS stammt von der englischen Verlaufsbezeichnung „relapsing-remitting MS“. „Relapse“ heißt so viel wie „Rückfall“ oder „Verschlechterung“. Im Zusammenhang mit MS sind dabei die auftretenden Schübe gemeint. „Remittierend“ steht für „zurückbilden“. Der Name beschreibt also einen Verlauf, bei dem immer wieder Schübe auftreten, deren Folgen sich aber in der Regel weitgehend zurückbilden.
Der schubförmig remittierende Verlauf (RRMS) geht im Laufe der Zeit meistens in einen sekundär progredienten Verlauf (SPMS) über. Forscher*innen gehen davon aus, dass das bei 8 von 10 Betroffenen im späteren Krankheitsverlauf der Fall ist.2
Gut zu wissen: Was ist ein Schub?
Typisch für MS ist das Auftreten von sogenannten Krankheitsschüben. Man spricht von einem Schub, wenn sich bekannte Symptome verschlechtern, neue Symptome auftauchen oder bisher nicht erkennbare Nervenschäden offenkundig werden. Ein weiteres Merkmal eines Schubes ist, dass dieser Zustand über einen Zeitraum von mindestens 24 Stunden anhält und nicht durch Fieber, Infekte oder andere erkennbare Auslöser erklärbar ist.
Der Verlauf der RRMS ist individuell sehr verschieden. Manche Betroffene haben nur selten Schübe und wenige Beeinträchtigungen, während bei anderen die Krankheit schneller voranschreitet. Auch die Dauer einzelner Schübe kann individuell sehr unterschiedlich sein.
Dank Fortschritte in der Immuntherapie hat sich die Prognose für Menschen mit einem schubförmig-remittierenden Verlauf in den letzten Jahren deutlich verbessert. Viele Medikamente können die Schubrate senken, das Fortschreiten der Erkrankung verlangsamen und so langfristig die Lebensqualität erhalten.
Allerdings können Symptome beim Übergang in eine sekundär progrediente MS (SPMS) auch schleichend zunehmen und es kann eine fortlaufende Verschlechterung eintreten. Ursache dafür ist ein chronisch schwelender Entzündungsprozess im Gehirn, der derzeit noch nicht ausreichend therapierbar ist. Mehr zu dieser Verlaufsform findest Du im Kapitel weiter unten.
Sekundär progrediente MS (SPMS)1

Bei der sekundär progredienten MS (SPMS) beginnt die Erkrankung zunächst schubförmig. Mit der Zeit bilden sich die Symptome zwischen den Schüben nicht mehr vollständig zurück.
In einem schleichenden Prozess kommt es zu einer kontinuierlichen Verschlechterung der Symptome, unabhängig davon, ob gerade ein Schub auftritt oder nicht. Im späteren Verlauf der Erkrankung können Schübe dann sogar ganz ausbleiben, und die Verschlechterung wird ausschließlich durch diesen chronisch schwelenden Entzündungsprozess verursacht.
Bei vielen Betroffenen mit SPMS wird die Mobilität mit der Zeit eingeschränkt. Allerdings sind auch weniger sichtbare Symptome wie Fatigue, kognitive Beeinträchtigungen oder Blasen- und Darmstörungen häufig.
Dank fortschrittlicher Immuntherapien konnte die Zeit bis zum Übergang von der RRMS (relapsing-remitting MS) zur SPMS (sekundär progressiven MS) verlängert werden. Für die aktive Form der SPMS mit Schüben ist derzeit eine zugelassene Therapie verfügbar, die die Krankheitsaktivität kontrollieren kann. Allerdings ist es bisher nicht wirklich möglich, die Progression vollständig aufzuhalten. Mehr darüber kannst Du im Artikel „Immuntherapien bei MS“ nachlesen.
Aktiv vs. progredient – was ist der Unterschied?1
Bei den Verlaufsformen unterscheiden Mediziner*innen zwischen aktiven und inaktiven Phasen. Ist die MS aktiv, treten immer wieder Schübe auf oder es sind neue Läsionen im MRT erkennbar. Wenn neue Symptome auch ohne Schübe auftreten oder Beschwerden sich kontinuierlich verschlechtern, sprechen Mediziner*innen von einem progredienten Verlauf. Die Ursache dieser
schleichenden Krankheitsprogression ist nicht vollständig geklärt. Wissenschaftler*innen vermuten, dass chronisch schwelende Entzündungen die Ursache dafür sind. Sie sprechen in diesem Zusammenhang auch von „smoldering MS“ oder „schwelender MS“.
Gut zu wissen: Was bedeutet „hochaktiv“?
Vielleicht hast Du diesen Begriff schon mal gehört. Allerdings gibt es keine einheitliche Definition für einen „hochaktiven Verlauf“. Davon wird manchmal bei der Therapieplanung gesprochen, denn einige Medikamente sollten nur bei „hochaktiven Verläufen“ eingesetzt werden. Der Grund für diese Einschränkung sind die Nebenwirkungen, die diese Medikamente haben können. Neurolog*innen können einen „hochaktiven Verlauf“ anhand bestimmter Kriterien als wahrscheinlich einstufen. Dies gilt allerdings nur für Menschen, die noch keine Immuntherapie erhalten haben (therapienaiv).1

Die primär progrediente Multiple Sklerose (PPMS) ist eine seltenere Verlaufsform der MS, von der etwa 10 bis 15 Prozent aller Menschen mit MS betroffen sind. Es handelt sich um eine fortschreitende Form der MS, bei der die Einschränkungen von Anfang an zunehmen, ohne dass akute Schübe auftreten. Selten kommen diese im späteren Verlauf der Erkrankung hinzu.
Typischerweise tritt die PPMS im Alter von 35–49 Jahren zum ersten Mal auf – also später als die RRMS. Häufig äußert sie sich zunächst durch eine fortschreitende Muskelschwäche, die insbesondere das Gehen erschwert. Auch Spastiken, Koordinationsprobleme und Fatigue sind häufige Symptome. Im Vergleich zur RRMS sind Sehstörungen oder Gefühlsstörungen als Erstsymptome seltener.3
Um eine PPMS zu diagnostizieren, müssen für mindestens ein Jahr allmählich zunehmende Läsionen im MRT zu beobachten sein.
Der Verlauf der PPMS ist sehr unterschiedlich: Manche Betroffene erleben über Jahre hinweg nur eine leichte Verschlechterung, während bei anderen die Mobilität schneller eingeschränkt ist. Im Gegensatz zur RRMS stehen bei der PPMS nicht die akut entzündlichen Prozesse im Vordergrund, die Schübe auslösen, sondern ein chronisch schwelender Prozess. Dies erklärt, warum viele der für die RRMS entwickelten Medikamente bei der PPMS weniger wirksam sind. Welche Therapien den Verlauf von PPMS beeinflussen können und welche Patient*innen am ehesten davon profitieren, kannst Du in „Immuntherapien bei MS“ nachlesen.
Häufig gestellte Fragen
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Neuere Forschungen zeigen, dass dieser chronisch schwelende Prozess bereits früh im Krankheitsverlauf beginnen kann und möglicherweise sogar der eigentliche Treiber der Erkrankung ist.
Unter dem Begriff „smoldering MS“ oder „schwelende MS“ werden chronisch aktive Entzündungen zusammengefasst, die unabhängig von den verschiedenen Verlaufsformen bestehen können. Sie können dazu beitragen, dass sich Deine Beeinträchtigungen auch unabhängig von Schüben verschlechtern und sind nur mit den modernsten MRT-Geräten zu erkennen. Sie sind daher nicht in allen MRT-Bildern zu sehen. Wissenschaftler*innen gehen zunehmend davon aus, dass diese chronischen Entzündungen die eigentlichen Treiber der MS sind.
Mehr zu diesen spannenden neuen Erkenntnissen findest Du in dem Artikel „Smoldering MS – ist die „echte MS“ eine schwelende Erkrankung?“.
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So genau kann man das nicht sagen, denn die MS kann ganz unterschiedlich verlaufen. Es gibt Menschen, die selbst Jahrzehnte nach ihrer Diagnose kaum etwas von ihrer Erkrankung merken. Bei anderen verschlechtert sich der Zustand schneller. Es gibt dazu einige interessante Zahlen und Fakten:
- Bei etwa 85 % aller Betroffenen beginnt die MS als schubförmige Verlaufsform.1
- Menschen mit schubförmiger MS haben zu Anfang im Schnitt alle zwei bis drei Jahre einen Schub. Im Verlauf der Erkrankung sinkt die Schubrate.1 Viele der derzeit verfügbaren Medikamente können die Anzahl der Schübe verringern, bei manchen Patienten sogar vollständig unterdrücken.
- Bei 8 von 10 Betroffenen entwickelt sich im Krankheitsverlauf aus einer schubförmig- remittierenden MS eine sekundär progrediente MS. Dies geschieht im Schnitt nach 10 bis 15 Jahren.2
- Die primär progrediente MS (PPMS) ist recht selten und betrifft nur ca. 10 % aller MS-Patient*innen.2
- Bei etwa 85 % aller Betroffenen beginnt die MS als schubförmige Verlaufsform.1
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Das klinisch isolierte Syndrom (CIS) ist eine erste Episode neurologischer Symptome, die auf MS hindeuten kann, aber noch nicht die Diagnosekriterien für MS erfüllt. Es handelt sich dabei um eine einmalige Episode, die mindestens 24 Stunden anhält. Häufige Symptome sind Sehstörungen, Taubheitsgefühle, Muskelschwäche oder Gleichgewichtsprobleme. Ob aus einem CIS eine MS wird, lässt sich nicht sicher vorhersagen. Deshalb sind danach regelmäßige neurologische Kontrollen wichtig. Bei manchen Betroffenen bleibt es bei dieser einmaligen Episode.
Quellen:
1. DGN. Leitlinie Multiple Sklerose für Patientinnen und Patienten. https://hirnstiftung.org/wp-content/uploads/2023/09/DHS_Patientenleitlinie_MS_Stand-Maerz-2023.pdf, letzter Zugriff: 18.03.2025
2. Multiple Sclerosis International Federation. Atlas of MS 2013. www.msif.org/wp-content/uploads/2014/09/Atlas-of-MS.pdf, letzter Zugriff: 05.03.2025
3. Johns Hopkins Medicine. Primary Progressive Multiple Sclerosis. https://www.hopkinsmedicine.org/health/conditions-and-diseases/multiple-sclerosis-ms/primary-progressive-multiple-sclerosis, letzter Zugriff: 22.03.2025
4. AMSEL. Smoldering MS – Was ist das? https://www.amsel.de/multiple-sklerose-news/medizin/smouldering-ms-was-ist-das/, letzter Zugriff: 17.03.2025
MAT-DE-2502274-1.0-07/2025