Tipps, die helfen unangenehme Themen anzusprechen

3 Min. Lesezeit

Die unangenehmen Themen ansprechen

Sexuelle Funktionsstörungen, eine zwangsweise veränderte Familienplanung, Schwierigkeiten, den Urin zu halten - Menschen mit MS sind nicht selten mit solchen unangenehmen Themen konfrontiert. Darüber mit anderen zu sprechen, kann eine Herausforderung sein. Im dritten Teil dieser Reihe zur Kommunikation nehmen wir uns diese unangenehmen Gesprächsstoffe vor.

Bei einem Essen unter Freunden griff der sechsjährige Sohn des Gastgebers in die Jackettasche meines guten Freundes Dieter. Dort fand er dessen Inkontinenzeinlage. Der Kleine wedelte vor unseren Augen damit herum und fragte, was das sei. „Das brauche ich, damit ich nicht Pipi in die Hose mache“, antwortete Dieter. Der Junge erwiderte „ach so“ und trollte sich.

Natürlich geht nicht jeder so gelassen mit Tabuthemen um. Es gibt jedoch keinen Grund, sich solcher mit der Erkrankung möglicherweise verbundenen Probleme zu schämen. Wenn das Thema ansteht oder direkt zur Sprache kommt, reagierst Du am besten mit Deinem Gefühl: „Es ist mir unangenehm das anzusprechen, aber ich möchte Dir etwas über mich sagen.“

Warum so peinlich?

Verstärkter Harndrang und Blasenschwäche (Inkontinenz) sind nicht selten Begleiterscheinungen der MS. Seltener kommt es zu Störungen der Darmfunktion, also zur Verstopfung oder auch zur Stuhlinkontinenz. Beide Begleiterscheinungen, vor allem die Stuhlinkontinenz bleiben häufig unbehandelt. Der Grund: Viele Betroffene schämen sich, mit ihrem Arzt über die Symptome zu sprechen, sodass diese gar nicht erst erkannt werden.

Warum genieren wir uns beim Ansprechen solcher gesundheitlichen Probleme? Auf diese Frage gibt es mehrere Antworten: Eine wichtige Entwicklungsstufe vom Kleinkind zum Kind ist das sogenannte Sauberwerden. Daher war es uns später als Kind sehr peinlich, wenn beispielsweise bei einem schlechten Traum „mal wieder was in die Laken“ ging. „Du bist doch kein kleines Kind mehr!“ – so oft die Reaktion der Eltern. Die „Stubenreinheit“ ist für uns damit ein wichtiges Merkmal des Erwachsenenlebens. Es ist uns verständlicherweise peinlich, wenn wir wieder „Windeln“ tragen. Außerdem möchten wir weiterhin attraktiv sein. Attraktivität aber lässt sich in unserem Denken nicht unbedingt mit einer Stuhl- oder Harninkontinenz verbinden.

Mut zum Gespräch mit dem Arzt

Bleiben die Gesundheitsstörungen jedoch im Verborgenen, so können sie nicht behandelt werden, die Situation bleibt folglich, wie sie ist. Daher tut ein wenig Mut not: „Mir geht es insgesamt ganz prima, aber jetzt fasse ich mir mal ein Herz und spreche etwas für mich sehr Peinliches an.“ So könnte man das Gespräch mit dem Arzt einleiten. Am besten übt man diesen Satz schon mal zu Hause. Sprich ihn dabei laut aus und nicht nur in Deinen Gedanken. Dann erschreckst Du Dich später nicht vor Deiner eigenen Courage beim Gespräch mit dem Arzt. Zur Verarbeitung von Sprache gehört zudem der aktive Sprechprozess dazu. Bereite Dich also auf die Kommunikationssituation aktiv vor.

Apropos Sexualität

Zu guter Letzt möchte ich ein Thema ansprechen, dass in unserem Kulturkreis auch unter Paaren oft angst- und schambesetzt ist: Die Sexualität. Sexuelle Funktionsstörungen, Veränderung hinsichtlich der Sensibilität, eine Verringerung der Fähigkeit zum Orgasmus werden vor allem von Frauen sehr oft nicht angesprochen. Männer sprechen hingegen leichter über das Thema Sexualität.

Die oftmals bei der MS veränderte Sensibilität kann andererseits auch zu einer gemeinsamen „Paarsache“ werden. Findet doch gemeinsam die neuen erogenen Zonen. Wer von Euch den Film „ziemlich beste Freunde“ gesehen hat, erinnert sich vielleicht an die Szene, in der sich der Rollstuhlfahrer mit Wonne die Ohrläppchen massieren lässt.

Ich möchte Euch nicht nur Mut machen, Eure Befürchtungen und Wünsche anzusprechen, ich kann Euch noch einen weiteren Schritt empfehlen. Neulich habe ich einen Vortrag einer Therapeutin gehört, die berufsbedingt offen und frei über Möglichkeiten von Analtampons bei Darminkontinenz, Nasenspray bei vermehrtem Harndrang und den Einsatz von diversem Sexspielzeug gesprochen hat. Vielleicht gehst Du mit Deinem Partner / Deiner Partnerin gemeinsam zu einer entsprechenden Beratung? Oder Du überrascht ihn / sie mit dem einen oder anderen unterstützendem Spielzeug? Ich wünsche Dir viel Mut und Freude. Werde aktiv.

Nimm Dir Zeit für Dich und Deine Wünsche. Gib den Menschen in Deiner Umgebung mit klarer Kommunikation die Chance, Dich zu verstehen. Das Wort Kommunikation kommt vom lateinischen Begriff Communicare. Und Communicare heißt, etwas zur gemeinsamen Sache zu machen.

Zur Person

Cäcilie Skorupinski ist Diplom-Sprechwissenschaftlerin und seit 1995 in der Wirtschaftsrhetorik freiberuflich tätig – als Coach, Moderatorin und Dozentin.

Cäcilie Skorupinski

Cäcilie Skorupinski

MAT-DE-2101382-1.0-06/2021