Die Macht der Musik oder was Musik mit uns macht

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Die Macht der Musik

Heavy Metal oder Easy Listening, deutscher Schlager oder Weltmusik: Dass die Geschmäcker verschieden sind, zeigt sich auch beim Thema Musik. Was dem einen ein glückliches Lächeln ins Gesicht zaubert, sorgt bei anderen für Ohrenschmerzen. So unterschiedlich der Musikgeschmack auch ist, eines ist fast immer gleich: Musik macht etwas mit Dir. Sie kann Dich glücklich stimmen oder traurig, sie kann Dir Schwung geben oder Dich entspannen, sie kann trübe Gedanken verscheuchen oder schöne Erinnerungen wachrufen.

Rein physikalisch gesehen ist Musik wie jedes andere Geräusch auch einfach nur Schall. Wir erkennen jedoch, dass es sich bei bestimmten Tönen um Musik handelt und sind in der Lage, sie von anderen Geräuschen zu unterscheiden. Warum das so ist, ist bis heute rätselhaft. Forscher vermuten, dass Musik unabhängig von kulturellen Unterschieden bestimmte universelle Merkmale besitzt, die wir erfassen können.1

Was passiert in unserem Gehirn, wenn wir Musik hören?

Wie jedes Geräusch kommt auch Musik zunächst in unserem Trommelfell an und wird in einem Teil des Innenohrs – der sogenannten Cochlea – in elektrische Nervenimpulse umgewandelt. Über den Hörnerv gelangen diese Signale in die primäre Hörrinde in unserem Gehirn. Hier findet eine erste Verarbeitung der Musiksignale statt. Das ganze Hörerlebnis von Musik entsteht dann durch ein fein abgestimmtes Zusammenspiel vieler Hirnareale.

Studien zeigen, dass  je nach Musikart der Schwerpunkt dieser Verarbeitung in unterschiedlichen Arealen liegen kann. An unserer Hirnaktivität lässt sich also ablesen, ob wir eine klassische Symphonie hören oder einen Schlager.2  Sogar der Bereich, der normalerweise Muskelbewegungen steuert, wird beim Musikhören aktiv. Deshalb gehen uns einige Musikstücke wohl direkt „in die Beine“. Musik regt uns aber nicht nur zum Tanzen an, sie aktiviert auch Zentren der Gefühlsverarbeitung wie unser Belohnungssystem. Wenn wir Musik hören, die wir mögen oder die wir gut kennen, wird Dopamin ausgeschüttet und die Neuronen im sogenannten Nucleus accumbens sind besonders aktiv. Das sorgt dafür, dass wir uns wohlfühlen.3

Weil Musik so vielfältige Reaktionen in uns auslöst, liegt es nahe, bestimmte Effekte auch therapeutisch zu nutzen. Wie Musik uns helfen kann, haben deshalb viele Forscher untersucht. Wir haben einige interessante Erkenntnisse zusammengestellt:

Musik hat einen positiven Effekt auf das Gehen von Menschen mit Multipler Sklerose4

Ob Musik das Gehen bei Menschen mit Multipler Sklerose unterstützen könnte, untersuchten belgische Forscher. An ihrer Studie nahmen 27 Menschen mit MS und 28 gesunde Kontrollpersonen teil. Alle Teilnehmer gingen zwölf Minuten lang unter drei verschiedenen Bedingungen: Sie hörten Musik als Taktgeber, dann ein Metronom und sie gingen ohne akustisches Taktsignal. Dabei wurde untersucht, inwieweit die Teilnehmer ihren Gang mit dem Takt synchronisieren können und welche Auswirkungen Musik bzw. das Metronom auf die wahrgenommene Müdigkeit beim Gehen hatten.

Alle Teilnehmer synchronisierten ihren Gang gut zur Musik und zu den Taktimpulsen des Metronoms. Im Vergleich zu den übrigen Testbedingungen konnten MS-Patienten ihren Gang mit Musik besser mit dem Takt synchronisieren, sie waren motivierter und empfanden weniger geistige Erschöpfung. Einen Einfluss auf die körperliche Erschöpfung ließ sich jedoch nicht beobachten.

Unser Tipp: Ob beim Jogging, beim Nordic Walking oder einem Spaziergang – Musik kann Dir helfen, motiviert zu bleiben.

Musizieren als Gedächtnisstütze5

Eine Studie von Jaak Panksepp zeigte schon Ende der 1990er-Jahre, dass Musik die Gedächtnisleistung verbessern kann. In seinem Experiment sollten Medizinstudenten Begriffe aus der Neuroanatomie auswendig lernen. Der Hälfte der Versuchsteilnehmer wurden die Begriffe vorgelesen, der anderen Hälfte vorgesungen. Nach einem und nach acht Tagen wurde überprüft, an wie viele Begriffe sich die Studenten noch erinnern konnten. Das Ergebnis war erstaunlich: Die Probanden, denen man die Begriffe vorgesungen hatte, konnten sich an mehr Begriffe erinnern als diejenigen, denen man die Begriffe nur vorgelesen hatte. Ihre Gedächtnisleistung war also besser.

Unser Tipp: Wenn Du Dir eine Telefonnummer, deine Einkaufsliste oder etwas anderes merken möchtest, könntest Du sie Dir vorsingen. Das macht sehr wahrscheinlich Spaß und kann Dir helfen, Dich besser zu erinnern.

Musik hilft uns, zu entspannen6

Musikhören kann Stress reduzieren. Das zeigten Psychologen der Universität Marburg. Die Forscher untersuchten 55 Studenten in unterschiedlich stressigen Phasen während eines Semesters. Eine Befragung fand zu Beginn des Semesters statt. In der Regel ist diese Studienphase weniger stressig. Im Gegensatz dazu ist die Klausurenphase am Ende des Semesters meist sehr stressig. In dieser Zeit fand eine zweite Befragung statt. Die Studenten füllten Fragebögen zu ihrem subjektiven Befinden und ihrem Musikhörverhalten aus. Eine Teilgruppe von 25 Probanden sammelte außer- dem Speichelproben von sich selbst. Diese wurden auf zwei Werte geprüft, die Hinweise für Stress liefern: den Kortisol- und Alpha-Amylase-Spiegel.

Die Daten zeigten, dass sich die Studenten immer dann, wenn sie Musik zur Entspannung hörten, weniger gestresst fühlten – egal welche Art von Musik sie hörten. Die Kortisolwerte in ihrem Speichel bestätigten dieses subjektive Emp- finden. Hörten die Studenten Musik, die sie als beruhigend beschrieben, hatten sie eine geringere Alpha-Amylase- Konzentration im Speichel – egal aus welchem Grund sie Musik hörten. Diese Zusammenhänge waren vor allem in der weniger stressigen Woche zu Beginn des Semesters zu erkennen. In dieser Phase hatten die Studenten deutlich mehr Musik gehört als in der stressreichen Woche.

Unser Tipp: Höre Musik! Auch oder gerade, wenn es stressig wird. Zur Entspannung Musik zu hören ist eine gute Möglichkeit, Stress zu reduzieren.

Es ist nie zu spät, um anzufangen7

Nicht nur Musikhören kann sich positiv auf die Gedächtnisleistung auswirken, sondern auch Musikmachen. Selbst wenn man erst später im Leben ein Instrument erlernt. Die Musikprofessorin Jennifer Bugos von der University of South Florida untersuchte, welche Auswirkungen Klavierunterricht auf Erwachsene im Alter von 60 bis 85 Jahren hat. Nach sechs Monaten regelmäßigen Unterrichts zeigten die Teilnehmer Verbesserungen bei der Gedächtnisleistung, der Wortfindung, der Informationsverarbeitung, der Planungsfähigkeit und anderen kognitiven Funktionen. Eine Kontrollgruppe, die keinen Musikunterricht erhielt, schnitt im Vergleich deutlich schlechter ab.

Unser Tipp: Musikunterricht kann ein effektives Kognitionstraining sein, ganz egal, in welchem Alter man damit beginnt. Also, worauf wartest Du?

Lies dazu auch den Blogbeitrag von Gina: „Was ein Cello mit der MS zu tun hat“

Quellen:
1 www.wissenschaft.de/gesellschaft-psychologie/wie-kulturuebergreifend-ist-die-wirkung-von-musik (letzter Zugriff: 21.10.2020).
2   Alluri V et al. Neuroimage. 2013; 83: 627–636.
3 Zatorre RJ et al. PNAS 2013; 110 (Suppl 2): 10430–10437.
4 Moumdjian L et al. Mult Scler Relat Disord. 2019; 35: 92–99.
5 Panksepp J, Bernatzky G. Behavioural Processes 2002; 133–155.
6 Linnemann A et al. Psychoneuroendocrinology. 2015; 60: 82–90.

7 Bugos J. Ann N Y Acad Sci. 2018; 1423: 360–367.

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