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Stark zu sein, ist nicht immer der beste Weg – ein Plädoyer fürs Schwachsein
Ich bin gern stark, ich lasse mir ungern anmerken, wenn etwas nicht in Ordnung ist oder es mir nicht so gut geht. Das habe ich früher einfach so hingenommen – bis ich mich mit meiner Krankheit auseinandergesetzt habe. Sie zeigt mir, dass ich auch mal schwach sein darf. Und sollte.
MS ist die Krankheit der tausend Gesichter, heißt es oft. Für mich war sie bei meiner Diagnose vor etwa fünf Jahren aber auch die Krankheit der tausend Fragen. Ich glaube, ich spreche vielen Betroffenen aus der Seele, wenn ich sage, dass ich damals überhaupt nichts mit der Diagnose anzufangen wusste. Eine Autoimmunerkrankung, so viel konnte ich aus dem Gespräch mit dem Neurologen mitnehmen. Aber was das für mich und mein zukünftiges Leben hieß, konnte mir natürlich niemand so ganz genau sagen. Deswegen wurde ich in all den Jahren zur Spezialistin. Nicht in medizinischer Hinsicht oder so, sondern darin, was diese Diagnose für meinen Geist und meinen Körper bedeutet.
Für Außenstehende wirke ich wahrscheinlich ganz normal. „Was, du hast MS? Das sieht man ja gar nicht“ hab ich mir schon mehr als einmal sagen lassen. Ich als Spezialistin weiß das inzwischen. Und ich bin auch niemand, der mit dieser Diagnose hausieren geht. Nur mein engstes Umfeld weiß darüber Bescheid. Das ist auf der einen Seite Schutz für mich, weil ich mir nicht ständig Horrorgeschichten über die MS anhören muss und beispielsweise bei der Arbeit auch nicht anders behandelt werde als andere. Auf der anderen Seite stelle ich mir mit dieser Geheimnistuerei aber auch selbst ein Bein.
Warum spiele ich immer die Starke?
Denn wenn sich zum Beispiel jemand besagtes Bein gebrochen hat, dann bekommt er im Bus einen Platz angeboten. Jeder sieht ja, dass er nicht gut stehen kann. Wenn jemand hingefallen ist und blutet, dann wird ihm geholfen. Sogar von Menschen, die er gar nicht kennt. Denn es ist ja offensichtlich, dass er sich wehgetan hat. Und wenn jemand blind ist, dann bekommt er auf der Straße Platz gemacht. Tja, und ich werde eben oft mit Unverständnis behandelt, wenn ich sage, dass ich etwas nicht gut sehen kann, nach einigen Schritten eine Pause bräuchte, öfter mal darum bitte, dass etwas wiederholt wird, weil ich es nicht gehört habe oder mein Gleichgewicht nicht ganz so gut halten kann. „Du brauchst eine Brille“ oder „Du musst mal mehr Sport machen“, „Putz dir mal die Ohren“ sind dann oft die Reaktionen – sogar von denen, die um die MS wissen. Und ich, ich sitze dann da, frage mich, warum ich nicht einfach sage, woran es liegt, dass ich nicht so gut höre oder sehe.
Aber bin ich nicht selbst schuld daran, weil ich nach außen immer die Starke spiele, die, der nichts etwas anhaben kann, und die, die sich von nichts einschüchtern lässt. Irgendwie schon, oder? Die MS ist tatsächlich die Krankheit der tausend Gesichter. Wie soll jemand, der nicht selbst Spezialist ist, verstehen, wie es mir geht, wenn ich es nicht laut und deutlich ausspreche?
Genug Stärke gezeigt
Und deswegen soll dieser Artikel hier auch ein Plädoyer für etwas sein, dass viele von uns sich nicht eingestehen wollen: Wir dürfen schwach sein! Immerhin haben wir vor einiger Zeit eine Diagnose von einem Neurologen erhalten, bei der andere zusammengebrochen wären – und wir haben weitergemacht. Reicht das nicht an Stärke für ein ganzes Leben?
Wir sollten es uns also erlauben, mal müde, nicht so leistungsfähig wie andere oder irgendetwas anderes zu sein. Und damit uns das auch andere erlauben, sollten wir zumindest mit den Menschen, denen wir vertrauen können, offen über unsere Symptome sprechen – auch über die, die man nicht auf den ersten Blick sieht. Ich für meinen Teil betrachte die MS manchmal sogar als ein Geschenk, das mir gemacht wurde, damit ich mehr über mich selbst lerne. Vielleicht vor allem darüber, dass ich nicht um jeden Preis stark sein muss. Denn das kann dazu führen, dass man im Inneren verhärtet. Und wer will das schon…
GZDE.MS.19.04.0282
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