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MS und die Balance zwischen Beruf und Alltag

Ronnie mit seinem Sohn

"Ich könnte das als Gibstafel darstellen"

Worte sind für einen Architekturstudenten nicht das Ausdrucksmittel der ersten Wahl, wenn er nicht nur den Schock der Diagnose, sondern auch den Alltag mit seiner an MS erkrankten Frau schildern soll. Mit zwei kleinen Kindern, zwei selbstständig Tätigen und fast keiner Unterstützung.

Die Gipstafel hätte schwache Spitzen und tiefe Gräben in breiten Lettern, damit wenigstens der Schatten schön fällt.

Stress soll wohl ein „Trigger“ sein, der Schübe auslösen kann. Also geht es darum, solchen Stress zu vermeiden. Gar nicht so einfach in unserer Konstellation: zwei Kinder (eineinhalb und sechs Jahre), ein Hund, meine Frau Gina und ich. Beide selbstständig, ein Präsenzstudium und ein Fernstudium. Keine Verwandtschaft in Reichweite. Also keine Oma oder keinen Opa, die sich einen Abend oder am Wochenende mal für einen Nachmittag um die Kinder kümmern könnten. Ein paar Freunde und Bekannte schon, aber die sind mit ihrem eigenen Tagesgeschäft ausgelastet genug. Zeit für Hobbys? Eher keine. Günstig, wenn man Teile früherer Hobbys in den Tagesablauf einbinden kann. Gerade in einer Stadt wie Hamburg macht es ja auch nur Sinn, mit dem Fahrrad ins Büro oder in die Uni zu fahren. Oder zwischen diesen zu pendeln.

Eine Diagnose

Als ich von der Diagnose erfuhr, war es schon für mich wie ein offener Schlag ins Gesicht. MS – eine wohl derzeit unheilbare Autoimmunerkrankung, bei der sich der Körper selbst angreift. Dann auch noch auf diese besonders perfide Art, dass das Immunsystem dem Nervensystem zusetzt. Und dazu besonders dem Rückenmark und vor allem dem Gehirn – so weit zumindest die erste Recherche. Und dann noch, dass der Krankheitsverlauf durch Medikamente zumeist „positiv beeinflusst“ werden kann. Und viele Patienten auch nach einigen Jahren noch gehfähig seien. Der zweite Schlag ins Gesicht. Was bedeutet das nun für Gina und unsere beiden Kinder? Das muss ich erstmal versuchen zu verdauen. Also, Tränen unterdrücken und versuchen, die Situation zu sortieren. Die Kinder sollten das so jetzt erst einmal nicht sofort zu spüren bekommen. Die muss und kann man ja langsam darauf vorbereiten. Wenn der Große zwei bis drei Jahre älter wäre, wäre das sicher schwieriger. Der Kleinste wird ohnehin damit aufwachsen. Für ihn wird es daher „normal“ sein. Ich finde es nur unfassbar schade für die beiden, dass es sein kann, dass sie ihre Mutter nicht so erleben könnten, wie sie eigentlich ist.

Für Gina finde ich es unglaublich schwierig, unfair und schade, dass sie dadurch nicht die Gelegenheit hat, ein einfaches und „normales“ Leben zu führen. Bisher hatte sie es auch durch andere Gründe nie besonders leicht. Ich glaube, was ihr am meisten Sorge bereitet, ist dabei auch nicht die körperliche Beeinträchtigung, die eintreten kann. Vielmehr die Sorge „zu verdummen“ und eventuell eine geistige Einschränkung zu erfahren. Dies wäre auch der Punkt, vor dem ich mich persönlich am meisten fürchte.

Ich?

Ich persönlich? Ich habe wohl die wunderbare Eigenschaft, mir in den meisten Situationen eine gewisse objektive Distanz wahren zu können. Das klingt zunächst vielleicht etwas kalt. Aber was bedeutet denn nun faktisch diese Erkrankung für mich? An unserem Verhältnis zueinander wird das nun sicher nichts ändern. Es wird uns wohl eher noch enger zusammenbringen. Körperlich werde ich mich sicherlich auf diese Situation vorbereiten müssen. Also, ich werde wohl mit einem gezielten Training beginnen müssen, um Gina unterstützen zu können, falls sie eventuell irgendwann nur noch eingeschränkt mobil sein sollte. Und mein Studium muss ich auf jeden Fall abschließen. Nachdem ich viele Jahre Soldat war, habe ich die Bundeswehr auf eigenen Wunsch verlassen, da ich finde, dass dieser Beruf nicht zu einer Familie passt. Nun studiere ich hier in Hamburg Architektur im Master. Nur leider eben auf Teilzeit, da neben dem Broterwerb und den Kindern nicht viel mehr drin ist. Gina ist zurzeit unsere Hauptverdienerin. Aufgrund mangelnder fachlicher Erfahrung kann ich gegenwärtig nur ein Studenten-Freelancer-Einkommen beisteuern. Das muss sich auf jeden Fall ändern, und ich muss mich wieder in die Lage versetzen, unter Umständen allein für unser Auskommen zu sorgen. Denn wer weiß schon, wie lange das noch so funktionieren kann, wie es gerade läuft.

Unsere Kinder versuchen wir so offen und selbstständig wie möglich zu erziehen, dem Alter entsprechend. Früher hat man diese Kinder wohl „Schlüsselkinder“ genannt. Im Moment heißt das Vollzeitbetreuung in der Kita, später Ganztagsschule. Und am Abend das letzte bisschen Energie aufbringen, damit die Kleinen von uns auch noch etwas haben. Na ja. Aber aus allen Schlüsselkindern, die ich kenne, ist etwas geworden. Das sollte funktionieren. Und neben all dieser Vollzeitbelastung (für uns beide) versuche ich, so weit es irgendwie geht, Gina zu entlasten, um zusätzlichen Stress zu vermeiden. Das will mir leider nicht immer so perfekt gelingen, wie ich es mir vornehme. Aber daran kann ich ja noch arbeiten. Im Gesamten kommt mir diese Situation allerdings wie ein Seiltanz auf Ginas Nerven vor. Hoffentlich geht das auf Dauer gut.

GZDE.MS.18.03.0180