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Von Kommunikation & Selbstreflexion in der Beziehung

Lara mit Blick in die Sonne in Thailand

Als ich den Themenblock „Sprich mit mir“ im Redaktionsplan gesehen habe, wusste ich sofort, dass ich dazu einen Artikel verfassen möchte. Fast simultan kamen mir die Erinnerungen an den Anfang meiner letzten und bislang einzigen festen Beziehung in meiner über 6-jährigen MS-Karriere in den Sinn. Warum? Das möchte ich dir jetzt erzählen:

Das männliche Geschlechtsteil

Ende 2017 kam ich mit meinem koreanischen (mittlerweile Ex-)Freund zusammen. Wir haben damals beide in Thailand gelebt und kannten uns bereits über ein Jahr, wobei wir nicht wirklich eng miteinander befreundet waren. Er wusste, dass ich MS habe, und fand es toll, wie ich damit umgehe und was ich so auf YouTube etc. mache. Ich glaube, vorher hatte er noch nie etwas über MS gehört. Kurz bevor wir anfingen, uns zu daten, haben wir durch Zufall zusammen im selben Restaurant Abendbrot gegessen (unsere Stadt ist sehr klein, haha). Bei diesem Abendessen haben wir unter anderem über meine MS gesprochen und ich habe ihm auf meinem Tabakbeutel aufgemalt, wie das mit der Myelinschicht und der Zerstörung dieser funktioniert. Aus meinem gemalten Nervenweiterleitungssystem hat er dann einen Penis gemalt – Red Flag, haha? Damals lachten wir allerdings beide darüber, er hatte ja vorher interessiert zugehört sowie nachgefragt und ein bisschen Spaß darf ja ruhig noch sein, nicht wahr? 😊

Die Vorwürfe

Wie das so ist, und grade am Anfang einer Beziehung, treten oftmals Missverständnisse auf, wenn man sich noch nicht so gut kennt und vor allem wenn man diverse Triggerpunkte in sich trägt, die einem gar nicht so bewusst sind. Komplizierter Satz – ganz einfache Erklärung: Wir fingen an zu streiten.

Er war oft sehr verwirrt, wenn ich in einem Moment voller Energie mit unseren Freunden und ihm Zeit verbrachte und dann müde war, wenn wir abends zusammen zu Hause waren. Er warf mir vor, dass ich keine Lust auf ihn hätte. Dass er mich langweilte. Dass ich nur bei ihm so energielos wäre und bei anderen nicht. Er bezog es damals sehr auf sich.

Ich habe ihm versucht zu erklären, dass das die Fatigue ist, die sich oftmals nicht steuern lässt. Dass ich auch Fatigue habe, wenn ich mit unserer gemeinsamen Freundin Zeit verbringe, und ich sie manchmal bitten muss, dass wir uns kurz ins Bett legen und da weiterschnacken, weil ich so müde bin (ein Sofa hatte ich damals nicht).
Es hat aber nicht viel gebracht, wir drehten uns wochenlang im Kreis und Vorwürfe, Frust und nicht funktionierende Kommunikation häuften sich.

Die rettende Lebensmittelvergiftung

Ein paar Wochen später bekam ich eine ziemlich schwere Lebensmittelvergiftung und bat ihn, mir nach der Arbeit ein paar Medikamente aus der Apotheke mitzubringen. Als er bei mir ankam, wirkte er sehr nachdenklich. Nachdem ich mich noch ein paar Mal übergeben musste und dann endlich etwas Ruhe fand, erzählte er mir, dass die Apothekerin ihn gefragt hat, ob ich noch weitere Krankheiten habe.

Er wollte ihr von meiner MS erzählen, wusste aber nicht mehr genau, wie es heißt und wie man es auf Englisch ausspricht. Er gab nachdenklich und traurig zu, dass er sich dafür sehr schämte und dass er jetzt selbst Recherche betreiben möchte, um mehr über meine Krankheit zu lernen. Ich fand das unfassbar stark und realisierte, dass wir zwar über die MS gesprochen hatten, aber nie wirklich in die Tiefe gegangen waren.

Lara beim thailändischen Essen mit ihrem (Ex-) Freund

Die Kommunikation

Mir fiel ein, dass ich noch ein kleines Aufklärungsbüchlein auf Englisch über die MS hatte, und gab es ihm. Ebenfalls bat ich ihn, mit mir zu sprechen, wenn er etwas über die MS gelesen hatte – wie wir alle wissen, ist das Internet manchmal keine so vertrauenswürdige Quelle, nicht wahr? Außerdem haben wir einen englischen Film über MS geschaut: „When I walk“ von Jason DaSilva.

Wir sprachen mehr und mehr über die MS und generell über unsere Triggerpunkte. Er bat mich zu versuchen, es sprachlich zu unterscheiden, wenn ich müde bin oder wenn ich Fatigue habe – also zu sagen „I’m tired“, wenn ich müde bin, und zu sagen „I have Fatigue“, wenn ich Fatigue habe.

Ich meinte zu ihm, dass ich es manchmal selber nicht weiß, aber es versuchen werde. Ebenfalls bat ich ihn, mich in Momenten, wo es mir nicht so gut geht, zu fragen „What do you need?“ („Was brauchst du?“), und ich habe ihm auch angeboten, dasselbe zu tun – jedem geht es mal schlecht, nicht wahr? Wir haben insgesamt an unserer Kommunikation gearbeitet und auch an uns selbst, denn wie soll man etwas kommunizieren, wenn man selbst nicht so richtig weiß, was los ist?

Die Selbstreflexion

Rückblickend hatte ich es definitiv unterschätzt, wie wichtig es ist, mit meiner/m Partner*in über meine MS zu sprechen, vor allem wenn die Person noch nie etwas von MS gehört hatte. Wie soll mein/e Partner*in wissen, was MS ist und wie es sich für mich anfühlt, wenn ich es nicht so ausführlich und tiefgehend wie möglich beschreibe? Wie soll mein/e Partner*in wissen, was in mir vorgeht, wenn ich nicht offen und ehrlich darüber kommuniziere?

Natürlich gilt das nicht nur auf die MS bezogen, sondern auf alle Bereiche meiner Person. Wichtig ist auch, kontinuierlich in der Kommunikation zu bleiben – ich lerne ja selbst, manchmal täglich, etwas Neues über meine MS und meinen Körper, meinen Geist und meine Seele dazu. Sich mit sich selbst zu beschäftigen, mit mir selbst im Dialog (oder vielleicht in diesem Fall Monolog, haha) zu bleiben und sich selbst zu erforschen sowie kennenzulernen, ist für mich die Grundvoraussetzung dafür, mit anderen dann in eine offene und ehrliche Kommunikation auf Augenhöhe, möglichst ohne Vorwürfe und Triggerpunkte, zu gehen. Das erfordert natürlich viel Mut, Selbstreflexion und ständige Arbeit an sich selbst – aber glaube mir, es zahlt sich aus! 😊

Wenn mein/e (potenzielle/r) Partner*in allerdings kontinuierlich gar kein Interesse auf die MS bezogen zeigen würde, nicht auf meine Kommunikationsversuche diesbezüglich reagieren würde oder mich deshalb eventuell sogar ablehnen würde, dann würde ich freundlich bestimmt den Mittelfinger hochhalten und mich ganz schnell von diesem Menschen zurückziehen – deren Verlust, nicht meiner!

Lara mit Blick über das Meer in Thailand

Vergiss bitte nie, dass du ein unfassbar toller Mensch bist, mit MS oder ohne, und dass du es mehr als wert bist, geliebt zu werden!
 
Ganz viel Liebe für dich! 😊

PS: Die Bilder in diesem Artikel mögen vielleicht nicht sehr passend erscheinen, aber ich habe sie gewählt, weil sie alle von meinem Exfreund gemacht worden sind. Außerdem möchte ich klarstellen, dass das nicht das Essen war, von dem ich eine Lebensmittelvergiftung bekommen habe!

MAT-DE-2103021-1.0-06/2021