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Der Tag, an dem nichts mehr ging

Depression und Multiple Sklerose

An dieser Stelle möchte ich zuerst einmal betonen, dass ich keine Ärztin bin, keine Krankenschwester, keine medizinische Ausbildung habe. Ich möchte auch keinesfalls sagen, dass meine Art, mit MS oder auch wie ich mit meinem Körper im Gesamten umgehe, der richtige Weg für alle Menschen ist. Wir alle sind so verschieden, ganz individuell. Nicht umsonst wird die MS ja auch als die Krankheit der 1000 Gesichter bezeichnet. Was ich machen kann und möchte, ist, in diesen Tagebucheinträgen von meinen ganz persönlichen Gedanken, Erlebnissen und Erfahrungen mit Multipler Sklerose zu erzählen. Von meiner Reise mit meiner MS. Liest du mit?

Liebe MS, …

… wie du weißt, ist im Juli in Thailand Regenzeit. Für 5 ganze Monate (Ende Mai/Anfang Juni bis Ende Oktober/Anfang November) ist es grau, nass und es regnet den ganzen Tag. Zumindest in meiner Stadt. 2016 habe ich das gar nicht so sehr auf‘m Schirm gehabt, da ich in dem Jahr Ende Juni/Anfang Juli auf Bali und den Gili Islands war, im August in Vietnam und im Oktober dann in Deutschland. Ich hatte also genug sonnige Pausen vom Dauerregen, der damals fast dafür gesorgt hatte, dass mein Haus unter Wasser gestanden hätte, wären da nicht die Stelzen gewesen, die es tragen. 2017 war ich in Deutschland. 2018 allerdings traf mich die Regenzeit dann härter, als ich es erwartet hatte. Ich habe nicht gelogen, als ich geschrieben habe, dass es jeden Tag grau und nass ist. Es hat wirklich jeden Tag von Ende Mai, bis ich Anfang Oktober nach Deutschland geflogen bin, geregnet. Die 10 Tage Japan mittendrin waren zwar sehr hilfreich für meine mentale Gesundheit, leider hielt dieses Hoch aber nicht besonders lange an.

Da waren sie dann also wieder. Depressive Verstimmungen. Sie trafen mich mit einer Wucht, mit denen sie mich bislang noch nie getroffen hatten. Wieder stellte sich mir die Frage, welche Rolle du in diesem ganzen Szenario spielst. Ich kann mich gar nicht mehr so richtig erinnern, was zuerst da war – du oder die dunklen Gedanken. Manchmal frage ich mich, ob das überhaupt eine Rolle spielt. Ihr seid beide da und wollt beide – mal mehr, mal weniger – bedient werden. Ganz schön viel Arbeit für eine Person. Ich kam an einen Punkt, an dem ich nicht mehr ohne Hilfe weiterkam. Allerdings befand ich mich im Ausland und alle Online-Hilfsangebote waren entweder mit (teilweise viel) Geld verbunden oder erschienen mir nicht wirklich seriös. Also schob ich es immer weiter vor mir her, mir die Hilfe zu holen, die ich so dringend gebraucht hätte.

Bis dann dieser eine Tag kam, an dem gar nichts mehr ging. Kannst du dich noch daran erinnern? Ich bin rausgegangen, ins Café, um zu arbeiten. Natürlich ging das nicht. Ich war zu tief drin. Also bin ich geflüchtet, ab auf den Roller, und nach Hause gefahren. Ich habe so stark mit den Tränen gekämpft, damit sie mir nicht die Sicht beim Fahren versperren. Zu Hause angekommen konnte ich mich endlich fallen lassen, buchstäblich. Weinen. Gleichzeitig habe ich aber auch den Laptop aus der Tasche gekramt, um wieder einmal nach der Hilfe zu suchen, nach der ich mich so gesehnt hatte. Ein gutes Zeichen.

Nach einigem Überlegen habe ich mich auf der Website der deutschen Botschaft in Thailand wiedergefunden, die eine Ärzteliste von deutsch- bzw. englischsprechenden Ärzten und Krankenhäusern zusammengestellt hat. Nach drei Anrufen und 20 Minuten später, in denen ich von Thaikrankenhaus zu Thaikrankenhaus weitergeleitet wurde, entschloss ich mich, eine E-Mail zu schreiben. Wieder ein gutes Zeichen. Ein Zeichen, dass ich noch kämpfte.

Dunkle Phasen & Lichtblicke bei Muktipler Sklerose

Ich habe schlussendlich die Hilfe bekommen, die mir zustand. Ich möchte an dieser Stelle keine Details oder Namen nennen. Ein paar Dinge sind mir doch noch zu persönlich, um sie zu teilen – man mag es kaum glauben, haha. Was ich aber teilen möchte, sind noch ein paar Gedanken. Eigentlich schreibe ich in diesem Tagebuch an dich, meine MS. Heute möchte ich aber meine Worte an all die stillen Mitleser richten, denen diese Worte vielleicht Mut und Stärke geben könnten:

Leider wird mentale Gesundheit immer noch sehr kleingeschrieben, obwohl sich über die Jahre schon Fortschritte gezeigt haben, und hoffentlich ist sie eines Tages in der Mitte der Gesellschaft angekommen. Es ist eben einfacher, ein Pflaster über ein blutendes Knie zu kleben als unsichtbar über eine blutende Seele. Ich möchte das Stigma, das sie umschwebt, brechen.

Du bist nicht verrückt. Du bist nicht allein. Du bist nicht schwach. Du bist nicht klein. Du bist kein Versager. Du bist kein schlechter Mensch. Du hast es mehr als verdient, Hilfe zu bekommen. Ich würde so weit gehen und behaupten, dass jeder von uns mal an einen Punkt kommt, an dem er oder sie nicht weiterweiß. Verzweifelt. Sich alleine fühlt. In meinen Augen ist es so so so so so stark, zu realisieren, dass man an einem Punkt ist, an dem man Hilfe braucht, und sich diese dann aktiv sucht.

Du wirst aktiv. Du bist aktiv. Du kümmerst dich um dich selbst. Du liebst dich selbst so sehr, dass du dir helfen willst. An diesen Punkt zu kommen kann manchmal etwas dauern, aber das ist vollkommen okay. Alles zu seiner Zeit. Das hier ist kein Rennen. Es ist dein Weg zu einem glücklicheren Leben. Weil du es dir verdient hast. Weil du es dir wert bist. Weil du es wert bist. Weil du stark bist. Weil du unfassbar wundervoll bist. Ich glaube an dich – du schaffst das!?

GZDE.MS.19.06.0380