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Meine unsichtbare MS – ihre Perspektive

MS, unsichtbar?!

Wenn mein Freund und ich gemeinsam unterwegs sind, sieht keiner, wie grundverschieden wir doch sind. Meine bisherigen Handicaps sind einfach unsichtbar und somit für andere nicht zu erahnen.

Meine Aufgabe ist es dann unter anderem, andere Menschen dafür zu sensibilisieren und sie heranzuführen. Mein Freund ist ein Partymensch und – überspitzt gesagt – am liebsten von Freitagnachmittag bis Sonntagabend auf Achse. Es dauerte etwas, bis er verstanden hatte, dass mir, wenn ich kurz nach Mitternacht schlapp machte, nicht die Laune verging, sondern ich einfach nur k. o. war. Alkohol kann dabei die Schnelligkeit, wie die Fatigue kommt, nur noch erhöhen. Da ich sowieso wenig Alkohol trinke, trug das nicht dazu bei.

Wir sprachen mehrere Male sehr offen darüber und ich erklärte es ihm. Seitdem ist es kein Thema mehr, wenn wir beim Feiern früher abhauen oder ich mich allein eher auf den Heimweg mache.

Einer meiner Schübe wirkte sich auf mein Gleichgewicht aus, ich nenne es liebevoll „meinen Seegang“. Mir selbst kommt es zum Teil vor, als würde ich wanken und taumeln, andere merken davon nicht viel. Manche Menschen verdrehen die Augen, wenn ich die Treppe zur U-Bahn nicht schnell genug hinuntersprinte, sondern mich darauf konzentrieren muss, nicht zu stolpern. Auch dieses Handicap bleibt vielen verborgen.

Ebenso wie meine Sensibilitätsstörungen an den Handinnenflächen und Fingern. Wenn ich es beschreiben möchte, vergleiche ich es mit dem Fühlen wie durch über die Hände gezogene Frischhaltefolie. Just gestern gab es wieder den Fall, dass ich versuchte, mit Stäbchen zu essen. Versuchte! Die Stäbchen waren sehr hochwertig, aber glatt. Es misslang und ich warf das Essen mehrere Male durch die Gegend. Ich bestellte dann für mich reguläres Besteck und drei andere meiner „Mitesser“ taten es mir nach.

Das größte unsichtbare Relikt, das mir die MS bisher vermacht hat, ist seit ein paar Jahren meine Blasenstörung. Dabei meldet sich meine Blase nicht, wenn sie „voll“ ist und entleert werden möchte. Ein manuelles Entleeren funktioniert dann leider auch nicht optimal von selbst, sondern nur mit Pressen und auch dann nicht komplett. Im verbliebenen Restharn vermehrten sich dann munter die Bakterien und ein Harnwegsinfekt entwickelt sich. Bis ich mich damit abgefunden hatte, mir bei jedem Toilettengang einen Katheter zu setzen, dauerte es eine längere Zeit. Ich fand Gott sei Dank einen kompetenten Ansprechpartner in einer Urologenpraxis. Dort ging es vom Erstgespräch bis zur fertigen Diagnose und der Lösung sehr schnell. Mein Verstand brauchte allerdings viel länger, bis er das damit angefachte Gefühlschaos verarbeitet hatte.

Inzwischen überwiegen aber die Akzeptanz und vor allem mein Pragmatismus! Ich habe in jeder Tasche, in jeder Jacke meine kleinen „Helferchen“, um gerüstet zu sein. Auf der Arbeit habe ich inzwischen eine größere Packung auf Lager, was es für mich einfacher macht. Die entsprechenden Hygieneartikel sind selbstverständlich auch immer dabei.

Am Anfang war es abstrus, nicht wirklich greifbar und auch demütigend. Aber seien wir doch ehrlich: Was bringt das? Mich gibt es eben nur in dieser Ausführung!

Vor meiner Diagnose war ich selbst nicht sensibel gegenüber unsichtbaren Beschwerden, egal welcher Natur. Ob jemand psychische Probleme hatte oder sich einfach unwohl fühlte. Es war nicht zu sehen und für mich damit nur schwer zu greifen. Das gebe ich ganz offen zu!

Die Erkrankung und meine Auseinandersetzung mit ihr hat mich gelehrt, über den Tellerrand hinauszublicken und Dinge zu hinterfragen – einfach sensibel zu sein, aber auch auf andere zuzugehen und mich zu erklären und in den Dialog zu treten.

GZDE.MS.19.04.0282