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Wie ich die Angst vor meiner MS überwunden habe

Janine im Rollstuhl

Angst

Ein Gefühl, welches bei der Krankheit Multiple Sklerose dem Erkrankten oft als Erstes in den Sinn kommt. Vor allem dann, wenn man die Diagnose gerade erst bekommen hat. Bei mir ist das schon eine Weile her. 2001 wurde ich diagnostiziert.

Damals waren es unbekannte Welten für mich. Ich war 14 Jahre alt, in der Pubertät und hatte anderes im Kopf. Eine chronische Erkrankung passte gar nicht in mein Konzept, zumal ich nicht verstand, was MS überhaupt ist. Die Angst, die sich daraufhin in mir entwickelte, wurde jedoch im Laufe der Jahre immer schlimmer. Die Recherche im Internet machte es auch nicht besser, denn viele Geschichten, viele verschiedene Symptome, die auf verschiedenen MS-Foren benannt werden, machten das Bild komplett:

Das Bild eines
… bettlägerigen,
… kranken,
… einsamen
… und traurigen Menschen.

Zukunftsängste, Einsamkeit und Verzweiflung

Niemand in meinem Umfeld kannte sich damals mit der Krankheit aus. Meine Freunde waren viel zu jung und es war nicht die Aufgabe der Lehrer, in der Schule darüber aufzuklären. Zu meinen Eltern hatte ich kein gutes Verhältnis. Sie konnten nicht gut damit umgehen. Vielleicht wollten sie es auch nicht ...

Ich selbst war auf jeden Fall auch nicht großartig daran interessiert, noch mehr Horrorgeschichten über diese Krankheit zu erfahren. Sich als junges Mädchen allein damit auseinanderzusetzen, verursachte bei mir Albträume, die sich in täglichen Horror verwandelten, der mir nicht guttat und eine Depression auslöste. Das Gefühl, mein Umfeld damit zu nerven, war auch ein ständiger Begleiter.

Eine Zeit lang war auch alles zu viel für mich. Meine jahrelange Beziehung war zu Ende, ich blieb allein in der für mich zu großen Wohnung und meine Krankheit raubte mir die letzte Kraft. Ich lag tageweise auf dem Sofa, schaute unentwegt fern, war traurig und verzweifelt. Konnte nicht laufen, machte mir in die Hose und ins Bett. Nahrungsaufnahme? Weißbrot mit Tomatenmark (schmeckt im Grunde ganz gut, aber wenn man überhaupt keine andere Möglichkeit hat, macht es auf Dauer echt mürbe).

Da ich zu guter Letzt meinen Haushalt nicht mehr selbst führen und mich nicht mehr richtig pflegen konnte, tat ich das, was ich niemals für möglich gehalten hatte: Ich suchte im Internet nach Institutionen, die sich um solche Menschen wie mich kümmern.

Angst. Allein. Stürmische Zeiten ...

Ich zog in ein Pflegeheim. Gab mich hin, musste meinem Kater ein neues Zuhause suchen, verschenkte ein paar Möbel und so sollte mein Leben nun sein. 

Meine Atmung ging schwer. Auch Arme heben, Zähne putzen, Haare waschen – ich brauchte Hilfe. Ich nahm sie an, denn dafür war ich dort hingezogen. 

Ich fing jedoch an zu zweifeln. War es das Richtige für mich? Möchte ich das so? Und viel mehr noch: Muss es denn so sein?

Ich erinnerte mich an ein Buch, das ich mal geschenkt bekommen hatte. Dieses Buch war von zwei Frauen geschrieben, beide mit MS. Die eine war gehend und die andere bettlägerig, steif, bewegungsunfähig und pflegebedürftig. Sie entwickelten für sich ein System, um ihren Körper und sich selbst wieder aufzubauen, und konnten irgendwann wieder laufen.

Ich wollte das auch. Die Planung und die Entwicklung begannen. Ich nutzte die Hilfe im Heim, solange ich sie brauchte, versuchte vieles aber wieder selbst. Ich bemerkte eine Entwicklung zum Positiven. Ich lernte meinen Körper kennen und lernte dabei für mich, was die liebe Multiple Sklerose von mir will. Endlich.

Wie würde ich ein Bild malen für diese Zeit?

Das Meer. Rauschend und wild, stürmisch und wellenreich in harten Zeiten, während man am anderen Ende des Ufers einen Leuchtturm sieht, mit grünen Wiesen.

Ich weiß, klingt ziemlich abgeflacht. Aber so war es. Jetzt lebe ich ja auch an der See und es tut mir gut.

Janine mit MS Fighter T-Shirt

Angst macht krumm und schwächt …

… wenn man sich ihr nicht stellt.

Seit 3 Jahren entdecke ich die sozialen Netzwerke für mich, um die Menschen da draußen auf meinem Weg mitzunehmen. Viele meiner MS-Brüder und -Schwestern kennen die gleichen Ängste ... es ist schön, wenn man merkt, dass man nicht allein mit seinen Sorgen und Gedanken ist und verstanden wird.

Und ich habe durch meine Öffentlichkeitsarbeit in den sozialen Netzwerken öfter mal die Möglichkeit, mir ein kleines Taschengeld dazuzuverdienen. Ich kann mir die Arbeit selbst einteilen und schaffe mir dadurch Freiräume und Kraft, so wie ich sie benötige. Zum Beispiel bin ich Markenbotschafterin und werde ab und an gefragt, ob ich als Gastautorin etwas schreiben möchte. Das macht mich stolz und nimmt mir die Angst, zu nichts zunutze zu sein.

Wodurch entsteht Angst?

Nun, ich denke, es ist die Angst vor dem Ungewissen. Wenn man etwas nicht kennt, man nicht weiß, wohin etwas führt, dann bekommen wir Angst. Der Adrenalinspiegel erhöht sich, es wird einem heiß, manchmal kalt ... Man möchte weglaufen. Doch wir können nicht vor unserer Krankheit weglaufen. Ich denke, das ist es oft, was uns innerlich so zerreißt.

Es sind Gedanken wie …

Was ist, wenn mein Plan einer Eigentherapie schiefgeht?

Was ist, wenn ich meinen Verstand verliere?

Für mich persönlich ist das Wort Akzeptanz ein großer Helfer. Ich glaube auch daran, dass wir nichts in unserem Leben bekommen, ohne die Kraft zu besitzen, dies angehen zu können. Jeder von uns hat seine Geschichte. Und so akzeptiere ich auch meine und die dazugehörigen Ängste. Sie sind immer bei mir und sie machen mich zu einem Menschen.

Ich bin dankbar dafür, dass ich selbst Entscheidungen treffen kann, die mir helfen, diese Krankheit für mich greifbarer zu machen. Ich bin dankbar für das Wissen, das ich im Umgang mit meiner MS bis jetzt erreicht habe. Auch mein Partner ist mir diesbezüglich eine sehr große Unterstützung. Wenn es mir schlecht geht, macht er sich zwar Sorgen. Aber er kennt mich auch und sieht, was jeden Tag passiert, wie sich mein Körper, trotz meiner Diagnose, täglich auch verbessert.

So bin ich allgemein fitter geworden. Kann wieder alleine duschen, mir die Haare waschen, T-Shirts an- und ausziehen, ich kann mich im Bett drehen, alleine aufstehen, essen, stehen.

Es ist echt krass, aber es hat sich wirklich schon einiges getan.

Mein Ziel? Einen Schritt zu Fuß.

Anders sieht es aus, wenn ich Menschen treffe, die nicht sehr engen Kontakt mit mir haben, wenig Persönliches über mich wissen und nur Kenntnis darüber haben, dass ich Multiple Sklerose habe. In diesen Momenten kann ich deutlich deren Besorgnis bzw. auch Ängste erkennen. Da liegt es dann bei mir, wie ich damit umgehe. In den meisten Fällen nehme ich der Person die Besorgnis. Ich lächle und sage, dass es mir gut geht und dass ich auf einem guten Weg bin.

Und hier scheint mir der Zeitpunkt richtig, zu den Zukunftsängsten zurückzukehren.

Ich habe keine Angst mehr vor der Krankheit …

Ich lebe im Hier und Jetzt. Ich stehe jeden Morgen auf und freue mich über den neuen Tag. Abends liege ich im Bett und suche mir noch ein bis zwei Dinge raus, die mir an diesem Tag am besten gefallen haben, freue mich darüber und schlafe friedlich ein.

Jeden Tag? Hihihi, nein. Wie gesagt, ich bin ein Mensch und habe auch Gefühle …

Aber mein Mindset ist:

Ich bin glücklich, weil ich bin.

Ich möchte jedem das mit auf den Weg geben, ob neu diagnostiziert oder bereits langjährige Erfahrungen mit der Krankheit:

Angst ist normal und lebensnotwendig.

Angst vor Ungewissheit ist in Ordnung.

Aber:

Glaube immer an Dich und Deine innere Stärke!

Lass Dir durch Angst nicht Deinen Mut nehmen!

LEBE.

Janine mit buntem Oberteil

MAT-DE-2102943-1.0-06/2021