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Wenn aus Stolpersteinen ein Leuchtturm wird

Auf zu neuen Ufern

Warum soll es nicht wieder gut werden? Es gibt keinen Grund! Der Weg war so steinig bis hier – jetzt schnappen wir uns die Felsbrocken und bauen den größten Leuchtturm!

Mir ist etwas verloren gegangen. Das ist das Jahr 2017, in dem ich diese Diagnose, diese MS-Diagnose, erhalten habe. In diesem Jahr hatte ich außerdem einen schweren Autounfall, aber sonst? Sonst ist nichts gewesen, es war ein Jahr, das als Mensch eine typische Persona non grata wäre. Nicht gewünscht, also gar nicht da. Meine ganze Familie kann sich an dieses Jahr fast genauso wenig erinnern.

Dann kam das Jahr 2018, ein Jahr mit der MS wurde voll. Und jetzt begann langsam, ganz langsam, meine Realität zurückzukehren, denn mein großes Leugnen wurde immer kleiner. Ja, ich gehe jetzt in schöner Regelmäßigkeit bei der Neurologin ein und aus und das MRT ist auch schon zu einem unliebsamen und wiederkehrenden Standard geworden. Irgendwie ist es jetzt klar: Ja, ich habe MS, sie ist fortan im Gepäck.

Nur mit Regen kommen Regenbogen

Die Rückkehr

Doch die Erkenntnis ist nicht nur schlimm – sie sorgt auch für eine Art Ruhe, eröffnet einen Weg zurück in die Normalität. Jeder Monat in diesem Rekonvaleszenzjahr brachte mich wieder einen Schritt näher an meinen eigentlichen Lebensstrom. Noch schwimme ich nicht, aber ich gehe am Ufer spazieren. Und da ist es eigentlich schon ziemlich schön. Akzeptanz bringt eine Ruhe, die mir in diesem vorletzten Jahr vollkommen abhandengekommen ist. 2018 zeigte sich hingegen als eine Art Zielgerade, ich konnte ganz viele Vorbereitungen treffen, mit denen ich mich möglichst lange in der privilegierten Position halten kann, die mir meine MS derzeit einräumt.

Denn wenn ich es nicht wüsste und mich nicht Arztbesuche und Medikamente regelmäßig daran erinnern würden, dann wäre ich gefühlt gesund im Moment. Dafür empfinde ich wahre Dankbarkeit. Übrigens wusste ich eigentlich vorher noch nie, was die Floskel „Dankbarkeit empfinden“ bedeutet. Jetzt weiß ich das. Hätte ich das ohne die MS sonst jemals wirklich erfahren?

Jetzt, in dieser stillstehenden Zeit kurz nach dem Jahreswechsel, fühle ich die Ruhe und eine Art von Frieden in mir. Und dann ist da noch diese Aufregung, diese Vorfreude auf all die tollen Sachen, die ich in diesem neuen Jahr wieder ganz bewusst erleben kann, die nicht einfach vorbeiziehen wie ein tonloser Film. Nein, alles was kommt, ist jetzt laut und bunt und da. Es hat einfach seine Zeit gebraucht, an diesen Punkt zu gelangen, es war ein Prozess, der seine Berechtigung hatte. Es gab ganz am Anfang, kurz nach der Diagnose, einen Spruch, der mich getragen hat. Damals war es ein diffuses Gefühl und ich wusste gar nicht wirklich, was er bedeutet:

"Wer viele Steine im Weg hat, kann was Schönes draus bauen. (unbekannt)"

Und ja, das kann ich jetzt. Zumindest fühle ich mich stark und sicher genug dafür und wenn ich auch nicht gleich baue, so zeichne ich doch Entwürfe mit Hand und Fuß und kann an ihre Umsetzung glauben. Ich glaube einfach daran, dass es mir noch lange so gut geht, ich glaube so fest, dass ich eigentlich überzeugt bin davon.

Im kommenden Jahr passiert nichts mehr, nichts, das schrecklich ist. Alles ist bestmöglich vorbereitet, wir wissen, was kommen kann und was nicht. Und selbst wenn etwas nicht ganz rund läuft, ist uns dann klar: Nach dem Sturm kommt die Ruhe, Angst müssen wir als Letztes haben. Unsere Fahrt auf neuem Kurs beginnt schließlich erst und die Steuermänner sind zwei und sieben Jahre alt. Sie geben die Richtung vor, denn sie wissen, was wirklich zählt:

“Das haben wir noch nie probiert, also geht es sicher gut. (Pippi Langstrumpf)”

GZDE.MS.18.12.0943