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Hilfsmittel: Fluch oder Segen? Use it or loose it!

Christine unterwegs

Hilfsmittel sind Mittel zur Hilfe!

An diese Möglichkeiten habe ich am Anfang meiner MS-Karriere überhaupt nicht gedacht ... Das kam nicht in Frage.

Was soll ich mit Hilfsmitteln? Ich doch nicht. Ich werde schnell fit und mein normales Leben geht nach dem Schub weiter.
Aber: Leider falsch gedacht und meine MS hat mich eines Besseren belehrt.

Die ersten Gangunsicherheiten verstecke, vertusche ich geschickt mit meinen Walkingstöcken. Sie sehen definitiv sportlich, besser als ein Gehstock und nicht krank aus. Das System ziehe ich eine ganze Weile durch, aber es wird gehtechnisch schlechter.

Den ersten gut gemeinten Hilfsmitteltipp gibt es von meinem Schwager. Er empfiehlt mir einen anatomischen Gehstock. Bis ich mir diesen tatsächlich kaufe, vergehen Wochen und Monate. Aber: Ich selbst muss für den nächsten Schritt bereit sein. Ohne Drängen und Überreden. 

Die Gangstörungen verschlechtern sich weiter. Das Bein ist schwach, es sinkt ständig ein. Ich schaffe nur noch kurze Strecken. Mein Fuß bleibt hängen und ich stolpere häufig. Mein Fußheber ist mittlerweile defekt und ich kann den Fuß nicht mehr anheben. Die erste Rehabilitation steht an. Das auch noch …

Hilfsmittel, so weit das Auge reicht … Hilfe, ich will hier weg!

Im Speisesaal muss ich warten, sehr lange warten. Ich habe das Gefühl, aus allen Ecken und Kanten schauen mich die „bösen Dinger“ an. Hilfsmittel in allen Formen und Varianten: Stöcke, Rollatoren, Rollstühle und vieles mehr. Nein, das will ich nicht! Hilfe, ich will hier weg! Sofort!

Das brauche ich ALLES nicht.

In meinem Zimmer erwartet mich direkt der nächste Schock. Ein Duschstuhl mit Arm- und Rückenlehnen „lacht“ mich an. Ich lache nicht zurück und lasse den Stuhl – leicht hysterisch – entfernen. Das ist etwas für ganz kranke und alte Menschen. Hilfe, ich will nach HAUSE!

Dann habe ich das erste schöne Schlüsselerlebnis: In meiner ersten Reha mache ich Bekanntschaft mit einem kleinen, feinen und für mich sehr effektiven Hilfsmittel: eine Fußheberorthese. Dieses gleicht meine Fußheberschwäche aus und ich kann tatsächlich ohne Stock freihändig gehen. Ein Glücksgefühl sondergleichen kommt in mir auf. Die anfängliche Ablehnung gegenüber Hilfsmitteln schlägt ins Gegenteil um. Ich kann wieder gehen, vergesse meinen Stock im Therapieraum. Das ist der Wahnsinn schlechthin und das ist die beste Idee ever. Ich komme einige Jahre damit gut über die Runden und das Gehen funktioniert besser bis gut.

Hilfsmittel sind Mittel zur Hilfe

Ein weiteres Hilfsmittel begegnet mir in dieser Reha. Der Schrecken der Straße: der Rollstuhl

Und ja, es ist nicht Liebe auf den ersten Blick, das gebe ich zu. Ich will keinen Rollstuhl! Ein Rollstuhltraining sowieso nicht! Ich will GEHEND hier raus. Ende der Durchsage! Aber selbst hier mache ich meine eigenen Erfahrungen. Zu Demozwecken, wie gut ich den Rollstuhl im Griff habe, rolle ich mit einem fremden Rollstuhl durch die Gegend. Ich mache eine Drehung nach links, eine nach rechts und liege prompt auf der Nase. Dieses Exemplar hat es in sich.
So viel zum Thema: Ich kann Rollstuhl fahren. Nee, schon klar, Christine 🙈😉, du hast es drauf.

Zusätzlich sitze ich abends fast alleine im Speisesaal, da alle coolen Leute in der Pizzeria sitzen. Und die gehen wesentlich schlechter. Was ist hier los? Finde den Fehler! Sie sind mit ihrem Hilfsmittel, dem Rollstuhl, Pizza essen gefahren. Ihre Devise lautet: Kraft sparen, Hilfsmittel annehmen und Spaß haben. Nach dieser Aktion melde ich mich für ein Rollstuhltraining an.

Dies empfehle ich aus voller Überzeugung, besonders in Zeiten, in denen wir fitter sind. Warum? Weil wir dort, im geschützten Raum mit Gleichgesinnten und Experten, den Umgang mit diesem Hilfsmittel erlernen. Alltagssituationen wie zum Beispiel Bahnen fahren, Ankippen, Anfahren, Bremsen, den Berg hochfahren und und und erlernen wir hier. Zusätzlich macht es Spaß, mit Gleichgesinnten dies gemeinsam zu erlernen. Der verpönte Rollstuhl wird hier vom Feind zum Freund.

Gärtnern mit Hilfsmittel

Mein persönliches Fazit

Mittlerweile gehören mein Rollator und mein Rollstuhl zu meinen täglichen Begleitern. Den Rollator benutze ich überwiegend im Innenbereich oder im Garten. Der Rollstuhl kommt innen und außen zum Einsatz. Sie geben mir Freiheit, Mobilität, Sicherheit und enorm viel Lebensqualität zurück. Das habe ich mir vor Jahren in den kühnsten Träumen nicht erhofft. Eine kleine Liebesbeziehung ist nach anfänglichen Schwierigkeiten entstanden. 😉 

Klar finde ich den Zustand „Gesund sein“ definitiv besser, aber ich mache das BESTE aus meiner Situation. Im Laufe der Jahre schleicht sich das ein oder andere Hilfsmittel in den MS-Alltag ein. Die MS hat ihre Tücken und Facetten und viele unterschiedliche MS-Symptome. Diese gilt es auszugleichen und zu akzeptieren. 

Ich persönlich brauche immer sehr lange, bis ich den nächsten Schritt zum nächsten Hilfsmittel mache. Es kostet mich jedes Mal Überlegung und Überwindung. Ist der Leidensdruck endlich groß genug, bin ich bereit, weitere Hilfe in Anspruch zu nehmen.

Was ich aber überhaupt nicht leiden kann: gut gemeinte Tipps von Angehörigen und Freunden, die immer genau wissen, welche Hilfsmittel ich wann und wo brauche. Nein, das brauche ich nicht, denn ich alleine bestimme, wann ich das nächste Hilfsmittel in mein Leben lasse. Ratschläge sind in diesem Fall Schläge!

Es gibt aber auch Hilfsmittel, die keine große Überzeugung benötigen: wie mein Liegerad. Dieses bereitet mir stetig große Freude. Ich bin mobil, mein Aktionsradius erweitert sich enorm. Ich erkunde Ecken, die ich mit meinem Rollstuhl niemals erreichen kann.

Ein schönes Hobby, um den Kopf freizukriegen. Meinen Blog-Lesern zeige ich über Instagram, wo ich hinfahre, was ich erlebe und sehe. Perfekt! Hilfsmittel sind kein Teufelszeug, sie erleichtern das Leben! 

Use it or loose it, sagt

Deine Christine! 

❤️

Unterwegs mit Liegerad

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