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Das bunt leuchtende Schild
Morgens schon verschlafen und dann noch total abhetzen, um zu seinem Neurologen zu kommen. Dann ist im Parkhaus auch noch der Fahrstuhl kaputt und man muss die vier Etagen bei 30 Grad im Schatten laufen oder eher kriechen. Wenn einem dann noch der Arzt schulterzuckend mitteilt, dass er gerade gar nicht weiß, was er für dich tun kann, ist der Tag morgens um 9 Uhr schon gelaufen!
So oder so ähnlich können Tage oft beginnen. Wenn man sich dann – wie meine Mutter – auch noch völlig bescheiden fühlt, da einem die anhaltende Hitze mal wieder das bunt leuchtende Schild vor die Nase hält, auf dem steht: „Du hast MS, die findet Hitze voll blöd“, ist das Fass direkt übergelaufen. Verständlich, wen nerven solche Tage nicht? Aber die eigentliche Krux an der Sache ist, dass man oft nur genau diese Tage anfängt zu sehen! Dass nachmittags ein tolles Paket mit deinen lang ersehnten Pastellkreiden kommt, mit denen du endlich malen kannst, geht dabei leider völlig unter. Die Balance zwischen schlechter Laune und sich auskotzen, um sich dann wieder auf etwas anderes mit totaler Überzeugung und genau der gleichen Inbrunst zu freuen, ist meist ein Drahtseilakt.
Ich bin dabei ein totaler Fan von kurzen Schreiattacken oder wenn etwas mal kurz den Weg gegen die Wand findet. Warum nicht, wenn es denn hilft? By the way, ich habe in meiner Küchentür auch ein Loch. Da hat es eine Tasse leider nicht überlebt … an einem guten Tag habe ich einfach einen bunten Aufkleber drübergemacht. Ich finde es schwierig, aus dem miesepetrigen Verhalten herauszukommen, wenn die doofe MS einem doch immer wieder diese wunderbaren, bunt leuchtenden Bilder vor die Nase hält.
Sie blinken so schön und zeigen dir immer wieder aufs Neue, dass du dieses und jenes nicht so machen kannst wie geplant. Dann sind wir als Angehörige oft gefragt, einen Weg zu finden, der den Stecker an dem bunt leuchtenden Schild zieht und Möglichkeiten aufzeigt, dass es vielleicht nicht auf dem gewünschten Weg funktioniert, aber möglicherweise auf einer Nebenstrecke.
Nun liegt es in meinem Fall an meiner Mutter selbst, Hilfe anzunehmen, auf welche Art und Weise auch immer. Sie selbst hat uns Kindern immer gepredigt, dass nach einem Unwetter auch wieder Sonnenschein folgt, nur selbst diese Lebensweisheiten anzunehmen oder zu leben, fällt doch schwer. Das ist immer das Schwere, wenn die Kinder auf einmal das Gleiche predigen wie die Mutter selbst, meine Mutter hasst das! Macht nichts, ich mache es trotzdem, denn es steckt immer etwas Wahres in diesen wunderbaren Weisheiten.
Darüber hinaus haben wir als Familie schon ganz schön viel Mist erlebt, sind ziemlich tief gefallen und sind dort gemeinsam immer wieder rausgekommen, nicht zuletzt wegen meiner Mutter, die vor ihrer Erkrankung eine hoffnungslose Optimistin war. Sie hat in allem immer das Gute, Positive und Richtige gesehen, hat versucht, jedem zu helfen, und hat sich immer getraut, etwas Neues auszuprobieren. Die MS hat ihr den Optimismus leider mehr und mehr genommen, deswegen folgen auch immer mal wieder diese Momente, in denen sie ihrer Erkrankung den Mittelfinger zeigt. (Nicht verraten, aber ich mache das auch andauernd.)
Oh Gott, wie sehr ich das vermisse, immer wieder aufs Neue, selbst beim Schreiben dieses Artikels kommen mir die Tränen. Es ist und bleibt eine fiese und hinterhältige Erkrankung, es gibt nichts daran zu beschönigen, dennoch reicht es jetzt mit der Auskotzerei, denn jetzt fährt meine Mutter erstmal fünf Wochen mit ihrem heißgeliebten Wohnwagen in den Urlaub und kann sich von den miesen und fiesen Angriffen der MS erholen.
Ich verfluche den Tag, an dem sie die Diagnose bekommen hat, ich verfluche es, dass sie nicht mehr der Mensch ist, der sie mal war, aber es nützt der beste Fluch nichts, es ist, wie es ist.
GZDE.MS.18.09.0681
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