Hast Du Dich schon mal gefragt, woher Medikamente „wissen“, wo sie wirken sollen? Warum müssen manche Medikamente gespritzt oder langwierig als Infusion gegeben werden, während andere bequem als Pille geschluckt werden können? In diesem Artikel erklären wir anhand von den Medikamenten, die langfristig den Krankheitsverlauf der Multiplen Sklerose positiv beeinflussen sollen, warum eine Tablette nicht das gleiche ist wie eine Kapsel und wieso es manchmal pieksen muss.

Medikament ist nicht gleich Medikament – unterschiedliche Wirkstoffe können chemisch ganz unterschiedlich aufgebaut sein. Auch der menschliche Körper ist chemisch gesehen nicht überall gleich. Deshalb ist es manchmal gar nicht so einfach, den Wirkstoff dorthin zu bekommen, wo er wirken soll. 

Grundsätzlich unterscheidet man zwischen lokal wirksamen und systemischen Medikamenten. Stell Dir vor, Du sitzt beim Zahnarzt. Der spritzt ein Betäubungsmittel direkt an den Zahn, den er gerade behandeln will. Hier ist der Anwendungsort auch der Ort, an dem das Präparat wirken soll. Das ist dann eine lokale Wirkung. Systemisch bedeutet dagegen, dass der Wirkstoff im ganzen Körper verteilt wird – also im gesamten System. 

Welche Darreichungsformen gibt es bei der MS-Therapie?

Bei der Medikamentengabe bei MS verfolgt man unterschiedliche Ziele:

  • Bei der medikamentösen Schubtherapie ist eine schnelle Aufnahme und Wirkung notwendig. Meist wird dafür Kortison als Infusion über die Vene verabreicht. Alternativ werden aber auch Tabletten oder Trinklösungen eingesetzt. 
     
  • Bei der langfristigen Immuntherapie will man dauerhaft einen möglichst gleichmäßigen Wirkstoffspiegel im Blut erreichen. Sie gehört zu den systemischen Therapien und zielt darauf ab, das Immunsystem positiv zu beeinflussen und entzündliche Prozesse im Körper zu reduzieren. Dabei kommen Tabletten, Spritzen oder Infusionen zum Einsatz.
     
  • Die unterstützende Therapie soll die Begleiterscheinungen der MS lindern und die Körperfunktionen erhalten. Hierfür können ebenfalls Medikamente in verschiedenen Darreichungsformen eingesetzt werden.  

 

Darreichungs- und Applikationsform – was ist der Unterschied?

Die Darreichungsform bezeichnet den Zustand des Arzneimittels, also Tablette oder Infusion. Die Applikationsform sagt, wie das Arzneimittel in Deinen Körper gelangt, also über den Mund (oral) oder als Injektion.

Tabletten

Viele Medikamente werden als Tabletten produziert, die man ein- oder mehrmals am Tag einnimmt. Tabletten bestehen aus portioniertem und zusammengepresstem Pulver, Granulat oder Substrat. Sie lösen sich meist im Magen auf und der Wirkstoff wird genau wie Nahrungsstoffe über die Magenschleimhaut aufgenommen und über den Blutkreislauf im Körper verteilt. 

Gut zu wissen: Tabletten sollten mit reichlich Flüssigkeit eingenommen werden, damit sie nicht in der Speiseröhre kleben bleiben. Das kann zu einem unangenehmen „Kloß-im-Hals-Gefühl“ führen und der Wirkstoff wird möglicherweise nicht dort freigesetzt, wo es vorgesehen ist.
Gerade bei der Einnahme von MS-Medikamenten über einen längeren Zeitraum, sind Tabletten recht einfach anzuwenden. Sie werden aber auch zur Akutmedikation eingesetzt. Da der Wirkstoff über die Verdauung aufgenommen wird, tritt die Wirkung jedoch meist nicht sofort ein.

Welche MS-Medikamente gibt es als Tablette?

* Aktuelle Gebrauchsinformation der jeweiligen Präparate zum Stand vom 04.03.2025.

Besondere Tabletten

Die folgenden Darreichungsformen werden in der Immuntherapie der Multiplen Sklerose nicht eingesetzt, kommen aber sonst oft zum Einsatz, möglicherweise auch bei der Therapie der MS-Symptome. Deswegen beschreiben wir sie hier kurz:

  • Lutsch- oder Kautabletten lösen sich schon im Mund auf. Bei ihnen wird der Inhaltsstoff direkt über die Schleimhäute im Mund- und Rachenraum aufgenommen.
     
  • Wasserlösliche Brausetabletten sind eine weitere Sonderform der Tablette. Sie wird zuerst in Wasser aufgelöst und dann getrunken. Brausetabletten wirken meist schneller, da der Inhaltsstoff schon in gelöster Form im Magen ankommt.
     
  • Dragees sind mit einer glatten Schutzhülle überzogen, die unterschiedlich dick sein kann. Deshalb können Dragees meist einfacher geschluckt werden. Der Überzug schützt die Tablette vor äußeren Einflüssen. Manchmal überdeckt er auch den möglicherweise unangenehmen Geschmack oder Geruch der Inhaltsstoffe. Häufig ist die Schutzhülle zudem magensaftresistent, damit der Wirkstoff erst im Dünndarm freigesetzt wird.
     
  • Magensaftresistente Hüllen sorgen dafür, dass eine Tablette oder Kapsel den Magen unbeschadet passiert und sich erst im Darm auflöst, denn der Magen ist durch die Magensäure sehr sauer und nicht alle Wirkstoffe vertragen das. Im Darm ist es deutlich neutraler. Der Wirkstoff wird dann über die Darmschleimhäute aufgenommen und über den Blutkreislauf an seinen Bestimmungsort transportiert.
     
  • Kapseln bestehen aus einer Hülle, die meistens aus Gelatine ist, und einer Füllung, die den eigentlichen Wirkstoff enthält. Ähnlich wie bei Dragees handelt es sich bei Kapseln meist um Medikamente, bei denen der Wirkstoff erst im Dünndarm freigesetzt und aufgenommen werden soll. Die Kapselform wird meist gewählt, wenn der Wirkstoff nicht gepresst werden kann oder wenn das Medikament unangenehm riecht oder schmeckt.

Injektionen

Eine Injektion besteht üblicherweise aus einer kleinen Menge Flüssigkeit, in der der Wirkstoff gelöst ist. Man unterscheidet verschiedene Arten von Injektionen:

  • Die subkutane Injektion wird direkt unter die Haut ins Unterhautfettgewebe gegeben.
  • Die intramuskuläre Injektion wird in einen großen Muskel gegeben.
  • Die intravenöse Injektion wird in eine Vene verabreicht.
     

Es gibt auch andere Injektionsarten, die aber nur in Spezialfällen angewendet werden. Bei der MS-Therapie werden hauptsächlich subkutane Injektionen angewendet, gelegentlich auch intramuskuläre.

Injektionen in den Muskel und in die Vene müssen von ausgebildeten Personen durchgeführt werden. Da die subkutane Injektion sehr risikoarm ist, können auch Laien sie erlernen. Intravenöse Injektionen finden meist im Krankenhaus statt, wenn bereits ein sogenannter venöser Zugang vorhanden ist.

Der Hauptgrund für die Anwendung von Injektionen oder auch Infusionen ist, dass Wirkstoffe, die über den Mund in den Körper gelangen, über die Schleimhäute des Verdauungstraktes aufgenommen werden müssen. Dafür sind nicht alle Wirkstoffe geeignet. Vor allem sehr große Moleküle wie Antikörper sind zu groß oder zu empfindlich für diese Verabreichung.

Ein Vorteil von Injektionen ist, dass der Wirkstoff sehr genau dosiert werden kann, zum Beispiel je nach Alter oder Gewicht. Tabletten lassen sich höchstens halbieren, Kapseln kann man meist gar nicht teilen.

Subkutane Injektionen

Beta-Interferone, wie sie in der Therapie der Multiplen Sklerose eingesetzt werden, gehören zu den zu großen Molekülen, die subkutan injiziert werden müssen. Die Injektionsflüssigkeit bildet dann im Unterhautfettgewebe ein kleines Depot. Daraus verteilt sich der Wirkstoff langsam in die kleinen Blutgefäße und wird schließlich über das Blutgefäßsystem im gesamten Körper verteilt. Diese Depotwirkung ist oft beabsichtigt, um eine gleichmäßige Freisetzung über einen längeren Zeitraum zu erreichen.

Heute verwendet man für die subkutane Injektion so feine Nadeln, dass man den Einstich meist gar nicht spürt. Dazu sind viele Injektionen in sogenannten Fertigpens erhältlich. Sie machen die Handhabung so leicht, dass sich Patient*innen Medikamente selbst injizieren können. Trotzdem bevorzugen viele Menschen eine Tablette oder Kapsel, deshalb versuchen Forscher*innen oft die Medikamente in eine Form zu bringen, die oral eingenommen werden kann. Dies ist aber nicht bei allen Wirkstoffen erfolgreich.

Welche MS-Medikamente werden injiziert?

* Aktuelle Gebrauchsinformation der jeweiligen Präparate zum Stand vom 04.03.2025.

Infusionen

Hierbei handelt es sich um verdünnte Lösungen von Wirkstoffen, die über einen Zeitraum von meist 0,5–2 Stunden über einen venösen Zugang in den Blutkreislauf getröpfelt werden. Diesen Weg wählt man für besonders große, empfindliche Moleküle, zu denen die Antikörper in der Therapie der Multiplen Sklerose gehören.

Die Infusion ist zusammen mit der intravenösen Injektion die schnellste und direkteste Applikationsform. Da der Wirkstoff direkt ins Blut gelangt, wird er sofort an die Wirkorte verteilt. Deswegen muss man vorsichtig sein, dass nicht plötzlich zu viel Wirkstoff ankommt. Deshalb werden Infusionen oft über einen längeren Zeitraum und unter ärztlicher Kontrolle verabreicht.
 

Welche MS-Medikamente werden als Infusion verabreicht?

* Aktuelle Gebrauchsinformation der jeweiligen Präparate zum Stand vom 04.03.2025.

Apropos: „Fragen Sie Ihren Arzt, Ihre Ärztin oder in der Apotheke!“

Damit MS-Medikamente optimal wirken können, müssen sie richtig verabreicht oder eingenommen werden. Im Beipackzettel ist dies jeweils genau beschrieben. Falls Du Fragen hast oder etwas nicht ganz klar ist, frag Deinen behandelnden Arzt oder Deine Ärztin. Auch in der Apotheke kann man Dir Auskunft geben.

Häufig gestellte Fragen

  • Im Gegensatz zur oralen Verabreichung steht bei intravenöser Gabe der gesamte Wirkstoff dem Körper zur Verfügung. Dies bezeichnet man als „100 % Bioverfügbarkeit“. Wirkstoffe in Tabletten- oder Kapselform müssen im Magen oder Darm durch die Schleimhäute aufgenommen werden. Dabei gelangt nicht der gesamte Wirkstoff ins Blut. Die Bioverfügbarkeit ist dann kleiner als 100 %. Sie ist für jeden Wirkstoff und jede Zubereitung unterschiedlich. Manchmal hängt die Bioverfügbarkeit auch davon ab, wie gut Dein Verdauungssystem funktioniert. Aber keine Sorge, bei der Berechnung der Dosierung wird dies berücksichtigt, so dass kein Risiko besteht, dass Du zu wenig Wirkstoff erhältst.

  • Eine allgemeingültige Antwort darauf gibt es nicht. Dein Arzt oder Deine Ärztin wird aus dem breiten Spektrum an MS-Medikamenten Präparate auswählen, die gut zu Deiner Situation passen, und die Entscheidung, welches Medikament für Dich optimal ist, mit Dir besprechen. 

    Es ist wichtig, regelmäßig mit Deinem Arzt oder Deiner Ärztin über Deine aktuelle Situation, Deine Erwartungen und die Herausforderungen der Therapie zu sprechen. Dein Leben, Deine Wünsche und Deine Bedürfnisse können sich verändern, außerdem kann es auch neue Behandlungsmöglichkeiten durch Fortschritte in der Medizin geben. Wenn Dein Neurologe oder Deine Neurologin umfassend über Deine Lebensumstände informiert ist, kann Deine Therapie jederzeit optimal auf Dich abgestimmt werden.

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