MS und Frau sein

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Multiple Sklerose bei Frauen

An einer Multiplen Sklerose erkranken weit mehr Frauen als Männer. Sie haben zur MS oft andere Fragestellungen als Männer und auch andere Herausforderungen in ihrem Alltag zu meistern. So haben Frauen bei der Familienplanung, der Kinderbetreuung und dem Management des familiären Alltags immer noch eine besondere Rolle. Hormonelle Schwankungen können bei ihnen zudem einen Einfluss auf die Symptome der MS haben.

Frauen im mittleren Lebensalter stehen oft vor enormen Herausforderungen in ihrem Alltag: „Viele Frauen kämpfen in dieser Lebensphase mit einer Doppel- und Dreifachbelastung“, erklärt Dr. Birte Elias-Hamp aus Hamburg. „Die Frauen sind maßgeblich für die Versorgung der Kinder verantwortlich, managen den Familienalltag, haben häufig ihre Berufstätigkeit zumindest in Teilzeit wieder aufgenommen und organisieren die Betreuung ihrer nicht selten pflegebedürftigen Eltern“. In einer solchen Situation bleibt wenig Zeit, sich um die eigenen Bedürfnisse zu kümmern. Das ist schon für gesunde Frauen eine große Belastung. Für Frauen mit einer Erkrankung wie der MS, die dazu führen kann, dass man seine Kraft sehr gut einteilen muss und schneller müde und erschöpft ist, verschärft sich die Situation: „Dann ist viel Organisationstalent gefragt, um allen Aufgaben und den eigenen Ansprüchen gerecht zu werden“, sagt Dr. Elias-Hamp.

„Nimm Deine eigenen Bedürfnisse wahr“

Ihren Patientinnen rät die niedergelassene Neurologin, auch einmal „fünf gerade sein zu lassen“. Nach ihrer Erfahrung stellen viele Frauen hohe Anforderungen an sich selbst und versuchen stets, alle Aufgaben perfekt zu managen. „Kein Wunder, dass die Frauen selbst dabei oft zu kurz kommen“, erklärt Elias-Hamp. „Bei der Beratung versuchen wir deshalb, die Frauen dazu zu motivieren, sich nicht immer hinter den anstehenden Aufgaben zurückzunehmen, sondern ihre eigenen Bedürfnisse wieder stärker wahrzunehmen und diesen auch nachzugehen“.

"Wie soll ich das nur alles schaffen?"

Das bedeutet keinesfalls, dass Frauen mit MS sich ständig schonen sollen. Sie können, so Elias-Hamp, in aller Regel ein ganz normales Leben führen. Es sollte ihnen aber bewusst sein, dass es auch Phasen geben kann, in denen sie in ihrer Leistungsfähigkeit eingeschränkt sind und vielleicht auch einmal einen Gang herunterschalten müssen.

Ganz abgesehen davon ist es ratsam,

  • sich um ein ausgewogenes Leben zu bemühen,
  • Phasen mit besonderen Anforderungen anschließend Phasen mit mehr Ruhe folgen zu lassen,
  • regelmäßige Pausen im Lebensalltag einzuplanen,
  • seinen Hobbys weiter nachzugehen,
  • regelmäßig Sport zu treiben und
  • ab und an auch einfach einmal nichts zu tun.

Das gilt laut Elias-Hamp letztlich für alle Menschen, ist aber für Menschen mit MS besonders wichtig. Dabei kann es auch helfen, sich einen „Plan B“ zurechtzulegen, so dass Kinder und Familie auch dann gut versorgt sind, wenn man   durch einen akuten Schub vorübergehend deutlich eingeschränkt sein sollte. So kann zum Beispiel in Zeiten ohne besondere Krankheitsaktivitäten mit den Großeltern der Kinder, mit Nachbarn sowie mit Freunden und Bekannten besprochen werden, wie im Falle eines Falles Unterstützung gewährt werden kann. Auch können Betroffene mit der Krankenkasse klären, wann eine Familienhilfe gestellt wird und was im Bedarfsfall hierzu unternommen werden muss. Steht „Plan B“ erst einmal, so wirkt allein das Wissen um die mögliche Unterstützung oft schon entlastend. 

Hormonelle Schwankungen bedenken

Durch die hormonellen Schwankungen, denen Frauen unterliegen, können sich besondere Probleme ergeben. So kann die MS zum Beispiel in der Zeit vor der Monatsblutung zu verstärkten Symptomen und zu mehr Müdigkeit und Erschöpfung führen. Oft stellt sich dann die Angst ein, es drohe ein erneuter akuter Krankheitsschub. Das ist im Allgemeinen nicht der Fall. Frauen, die besonders stark unter Hormonschwankungen leiden, rät Dr. Elias-Hamp, mit ihrem Neurologen und auch ihrem Gynäkologen das Thema zu besprechen. Liegt kein aktueller Kinderwunsch vor, so kann die Situation eventuell durch die Einnahme oraler Kontrazeptiva deutlich entspannt werden. Oft treten Symptome in den Wechseljahren auf, in einer Zeit also, in der Frauen sowieso häufig von Hitzewallungen, Stimmungsschwankungen, Schlafstörungen oder einer eingeschränkten Leistungsfähigkeit geplagt werden. Dann ist häufig unklar, ob die Wechseljahre oder die MS für die aktuellen Beschwerden verantwortlich sind und es kann versucht werden, die Situation durch Einnahme von Hormonpräparaten in den Griff zu bekommen.

„Let’s talk about Sex“

Sex mit Multiple Sklerose

Auch das Sexualleben kann unter der Erkrankung leiden, ein Thema, das laut Dr. Elias-Hamp oftmals tabuisiert wird: „Es ist wichtig, dass die betroffenen Frauen mit ihrem Arzt darüber sprechen, wenn sie Schwierigkeiten beim Geschlechtsverkehr haben“, sagt die Neurologin. Denn je nach Ursache der Probleme lassen sich diese zum Teil mit einfachen Hilfsmitteln, wie zum Beispiel Gleitcreme oder Hormonzäpfchen beheben. Eventuell können auch wiederholt auftretende Harnwegsinfekte oder eine Blasenschwäche den Spaß am Liebesleben verderben. Es ist deshalb ratsam, bei entsprechenden Schwierigkeiten nicht nur den Neurologen, sondern auch den Gynäkologen oder den Urologen zu konsultieren. Ist die Libido eingeschränkt, so ist zudem zu klären, ob sich hinter dieser Reaktion möglicherweise eine Depression verbirgt, die dann behandelt werden sollte.

Apropos Kinderwunsch

Eine besondere Rolle kommt Frauen zu, wenn ein aktueller Kinderwunsch besteht. Längst passé ist die früher vorherrschende Ansicht, Frauen mit MS sollten nicht schwanger werden. „Das sehen wir heutzutage grundsätzlich anders und motivieren die Frauen geradezu zu einer ihren Wünschen entsprechenden Familienplanung“, betont die Hamburger Neurologin. Selbstverständlich sollte die Schwangerschaft möglichst geplant werden. Ratsam ist es, für den Eintritt der Schwangerschaft einen Zeitpunkt ohne große allgemeine Belastungen zu wählen und auch eine Zeit ohne erkennbare Krankheitsaktivität. Mit dem Neurologen ist zudem eine eventuell im Vorfeld erforderliche Umstellung der medikamentösen Therapie zu besprechen. Während der Schwangerschaft kommt die MS üblicherweise zur Ruhe, die Symptome können sich sogar bessern. Man sollte jedoch wissen, dass nach einer Entbindung das Risiko für einen erneuten Krankheitsschub erhöht ist. Paare, bei denen einer der Partner an der MS leidet, machen sich häufig Sorgen, die Erkrankung an das werdende Kind weiterzugeben. Nach Dr. Elias-Hamp besteht für Kinder mit einem an MS erkrankten Elternteil im Vergleich zu Kindern mit Eltern ohne MS tatsächlich ein leicht erhöhtes Risiko, an der Multiplen Sklerose erkranken. „Das ist bei der MS aber genauso wie beispielsweise bei Familien, in denen Brustkrebs oder auch Bluthochdruck vorkommen. Meiner Meinung nach ist es aber kein Grund, auf das Gründen einer Familie zu verzichten“, betont die Neurologin.

GZDE.MS.19.08.0535