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Von oben betrachtet ist alles gar nicht so schlimm

Suria mit Blick über das weite Meer

Es gibt Tage, an denen einfach alles schwer und schwierig ist. Das kennt vermutlich jeder Mensch. Aber für diejenigen, die vor einiger Zeit eine Diagnose wie MS bekommen haben und damit leben müssen, sind das Leben und der Alltag eben noch ein bisschen mehr von alledem: schwerer, schwieriger und manchmal kaum auszuhalten.

Ich selbst bin inzwischen 30 Jahre alt, lebe seit etwa neun Jahren mit dem Wissen, dass mit meinem Körper etwas nicht stimmt. Dass mein Immunsystem fehlgeleitet ist. Oft muss ich Pausen einlegen, Dinge nicht tun, die ich eigentlich total gern machen würde. Manchmal liege ich müde auf der Couch, obwohl der Tag gerade erst angefangen hat, und frage mich, ob das wirklich alles sein kann, was ich vom Leben bekomme. Und dann frage ich mich, was ist, wenn ich in solchen Situationen einfach mal meine Sichtweise ändere? Wenn ich versuche, innezuhalten und raus aus der Situation zu gehen, und alles von oben betrachte? Dann sieht alles gar nicht mehr so groß und beschwerlich aus, finde ich.

Kleine und große Konflikte in Sichtweite

Ganz oft habe ich das Gefühl, dass ich meinen Aufgaben nicht gerecht werden kann. Dass ich keine Kraft für die kleinsten Dinge habe: Die Wäsche muss gewaschen, das Bad dringend mal geputzt werden, die Freundin aus Schultagen wartet immer noch auf eine Antwort auf ihre SMS und was es heute zum Abendessen geben soll, weiß ich auch noch nicht – und dann ist da auch noch die Arbeit, mit der ich meinen Lebensunterhalt bestreiten muss.

Denn ich lebe allein, da ist niemand, den ich bitten kann, mir etwas davon abzunehmen. Manche Tage in meinem Leben sind so voll von – zugegeben kleinen – Aufgaben, die man eigentlich im Handumdrehen erledigen könnte. Aber ich? Ich liege auf der Couch, habe keine Kraft für all das und Angst, dass ich meinen Alltag nicht bewältigen kann. Jeder andere kann das doch problemlos. Meine Eltern haben sich noch dazu um zwei Kinder gekümmert. Aber sie haben eben nicht in ihren frühen Zwanzigern eine Diagnose bekommen, wie ich sie erhalten habe. Eine Autoimmunerkrankung. Multiple Sklerose.

Ich habe Glück, habe wegen ihr keine riesigen Einschränkungen wie andere. Aber dennoch habe ich mein Päckchen zu tragen und sehe mich ihr oft schutzlos ausgeliefert. Denn nicht immer bin ich in der Lage, mit Elan mein Leben zu bestreiten. Manchmal gehorchen mir meine Hände und Beine nicht wirklich und machen nicht das, was ich von ihnen verlange. Das alles passiert vor allem dann, wenn es auch an anderen Ecken und Enden hapert. Im Job, mit Freunden oder in der Partnerschaft. Tatsächlich merke ich oft nicht nur seelisch, sondern auch körperlich, wie mich kleine und vor allem große Konflikte im Leben mitnehmen. Dann beginnt sich mein Sichtfeld zu verschlechtern, ich habe nicht mehr so viel Kraft und ich kann mein Gleichgewicht nicht so gut halten.

Für mich selbst ist das dann furchtbar schlimm. Und dadurch wird alles noch schlimmer. Oft fange ich dann an zu zittern, schäme mich dafür, dass ich nicht hundertprozentig funktioniere, nicht das erbringen kann, was von mir erwartet wird. Aber ist das wirklich so schlimm? Und verändert es tatsächlich irgendwas auf der Welt, wenn ich mich aufraffe und unter Anstrengung etwas tue, was vielleicht nächste Woche gar nicht mehr so wichtig ist?

Flugzeugflügel über den Wolken

MAT-DE-2104199 -1.0-09/2021