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Egal was kommt, meine Tochter wird es meistern. Und sollte sie mich brauchen, dann werde ich für sie da sein
Gestern habe ich meine Tochter gefragt. Ob sie Träume hat.
Zwischen Essen machen und Kindergeplapper kam folgende Antwort: „ Ja, schon, aber es geht ja alles nicht.“ Durch die Krankheit ginge dies, das und jenes nicht. Eigentlich wünsche sie sich Unterstützung im Alltag mit den zwei Kindern und der Arbeit. Meine Tochter Gina hat die Diagnose MS seit anderthalb Jahren. Sie ist selbstständig und verdient den Löwenanteil zum Familienunterhalt in Hamburg, was nicht wenig ist.
Dann wünscht sie sich vielleicht auch mal richtigen Urlaub, das heißt etwas länger als nur eine Woche auf Kreta. Auf Kreta haben wir früher, als meine drei Töchter klein waren, jeden Sommer verbracht und die Mädchen haben eine sehr enge Bindung durch ihren Vater an die griechische Insel und fahren alle auch heute so oft es geht hin.
Gestern habe ich sie zu mehr gedrängt. Sie solle einmal überlegen, wenn alles möglich wäre, was sie dann wolle.
Die Antwort meiner Tochter kam prompt. Sie würde so gerne reisen, sie sei noch nie über Europa hinausgekommen. Diese Antwort hat mir sehr gefallen. Na also, Gina! Das sind aber in erster Linie die berufliche Selbstständigkeit und die zwei kleinen Kinder, die das verhindern.
Dazu möchte ich sagen, dass ich unheimlich stolz auf meine Tochter bin. Sie ist so tough! Nein, ich bin auch stolz auf die ganze junge Hamburger Familie. Besonders auf Ginas Ehemann. Er trägt die Diagnose mit, bereitet sich vor, informiert sich, hilft, wo immer er kann. Ganz selbstverständlich.
Als vor anderthalb Jahren die Diagnose MS im Raum stand, habe ich geweint. Gina sagte: „Mama! Ich bin doch nicht tot.“ Genau so ist meine starke Tochter. Zurück zu den Träumen. Gina war ein extrem niedliches kleines Mädchen. In Griechenland haben wir ihr immer „Augen“ gegen den bösen Blick angesteckt. Es sollte Neider abhalten. Mein süßes, geliebtes Kind war so ansprechend, dass Fremde sagten, sie brauche später keine Mitgift. Sie sei so hübsch.
Dann kam die Teenagerzeit, in der Gina einmal sehr krank war. Wir dachten, sie sei todkrank. Damals fühlte ich, wie froh ich war, dass wir ihr ihren Traum mit einem eigenen Pferd erfüllt hatten und sie diesen, ihren Kindheitstraum, sehr glücklich schon einige Jahre leben durfte. Die Diagnose brachte Entwarnung und das Leben normalisierte sich wieder. Später, zum bestandenen Abitur, wünschte sie sich die Erfüllung eines besonderen Wunsches. Es war, einmal auf dem Pferderücken durch Island zu reiten. Ich habe es ihr fest versprochen.
Aber irgendwie haben wir es noch nicht gemacht. Es ging dann alles so schnell mit der beruflichen Entwicklung und dem Studium.Meine Tochter hat nachweisbare Einschränkungen in ihren Beinen. Sie geht etwas unsicher. Stolpert eher mal. Hier zeigt sich, dass die MS präsent ist und real. Als ich selber ein Kind war, habe ich einen Film gesehen. Er hieß: „Und wieder spring ich über Pfützen“. Dieser Film hat mich und meine Einstellung für mein ganzes Leben geprägt.
Der Junge in dem Film bekam Kinderlähmung. Er war gelähmt und konnte nicht mehr laufen. Er gab nicht auf und fand seinen Weg. Und wieder sprang er über Pfützen. Er sprang mit seinem Pferd. Das hat mich so sehr beeindruckt, dass ich es nie vergaß. Träume, so ist meine Meinung, sind Wünsche. Meistens noch nicht erfüllte Wünsche. Werden sie wahr, haben sich die Träume erfüllt, was besonders schön ist. Träume sind aber auch relativ. Sie können sich anpassen und verändern.
Es kann sein, dass mit einem Mal das ganz normale, alltägliche Leben der größte Traum sein kann. Oft leider erst, wenn dieses nicht mehr selbstverständlich ist.
Darum erinnere ich, nicht zu vergessen, dass die Träume jetzt, jetzt und jetzt stattfinden. Im Kleinen und im Alltag, in vielen einzelnen Momenten an jedem Tag des Lebens. Als Mutter meine ich zu beobachten, dass meine Tochter seit ihrer Diagnose anders lebt. Sie lebt irgendwie bewusster, trifft ihre Entscheidungen direkter und kompromissloser. Sie kann besser das Wichtige vom Unwichtigen trennen und das in jeder Beziehung.
Sie sorgt besser für sich, als sie es vorher getan hat.
St. Peter-Ording im Mai 2017
(mein persönlicher Meilenstein)
Diese Zeit mit meiner Tochter und ihrer Familie am Meer im letzten Frühsommer ist mein persönlicher Meilenstein. An ihm werde ich alles messen. Alles, was danach kommen wird. Ich habe mir diese Zeit so intensiv eingeprägt wie kaum zuvor etwas in meinem Leben. Es ging uns allen gut. Alles schien und war normal. Mir war das so bewusst. Es war ein halbes Jahr nach ihrer Diagnose. Vielleicht würde es nie wieder so sein. Es war, als ob nichts war.
Wir sind gewandert, gehüpft und gesprungen. Ich habe es sogar in einem Video festgehalten. Es war Glück pur und ein Traum. In dieser Zeit reifte in mir die Gewissheit und Erkenntnis: Egal was danach kommt, meine Tochter wird alles meistern und sollte sie mich brauchen, dann werde ich für sie da sein.
GZDE.MS.18.08.0575
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