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Mein Sicherheitsgefühl
Schon Jahre vor der Diagnose hat sich die Multiple Sklerose auf meine Sexualität ausgewirkt.
Dadurch, dass ich ziemliche Probleme mit meiner Blase habe, muss ich sehr oft und manchmal sehr dringend zur Toilette rennen. Ob dann tatsächlich auch was rauskommt … nun, das ist nicht immer der Fall. Fakt ist aber, dass mich diese Blasenprobleme unglaublich in meiner Lebensqualität einschränken. Ich hatte z. B. lange Zeit (und manchmal jetzt auch noch) Angst davor, auf Ausflüge mit anderen zu gehen, weil es mir unangenehm war, wenn ich die ganze Gruppe permanent hätte warten lassen müssen, weil ich aufs Klo muss. Es ist ja nicht so, dass ich auf die Toilette gehe, kurz pinkle und dann ist alles tutti!
Oh nein!
Es wird gepresst, gedrückt, angespannt, verzweifelt, aufgestanden, wieder hingesetzt und das ganze Pressen, Drücken und Anspannen geht dann wieder von vorne los. Zu meinen besten Zeiten saß ich teilweise geschlagene 15 Minuten auf dem Pott. Ich habe sogar zweimal Silvester, also 00:00 Uhr, verpasst, weil ich durch das Gefühl, nicht fertig zu sein, und meine Angst, mich einzupinkeln, nicht von der Toilette runtergekommen bin. Verrückt, oder?
Doch was hat das mit meinem Sexleben zu tun?
Ich habe angefangen, Sex planen zu müssen. Ich hatte das Gefühl, Sex planen zu müssen. Wollte ich Sex haben, so bin ich zu allererst auf Toilette gerannt, um mich 10 bis 15 Minuten „auszupinkeln“, bevor ich irgendwas in Richtung Sex starten konnte. Trotzdem hatte ich immer Angst, mittendrin aufs Klo zu müssen oder gar einfach draufloszupinkeln.
Wie peinlich mir das damals gewesen wäre …
Nach meiner MS-Diagnose bin ich etwas entspannter geworden. Versteht mich nicht falsch, entspannt heißt in diesem Fall nicht, dass ich locker-flockig damit umgehe. Mehr, dass ich, anstatt komplett zu verzweifeln, nur noch ein bisschen verzweifle. Noch immer habe ich Angst, während des Sex auf Toilette zu müssen. Ich hatte Angst, dass die andere Person es unfassbar abtörnend finden würde, wenn ich auch nur das Wort „Toilette“ erwähne. Damals hatte ich auch noch das Gefühl, möglichst sexy sein zu wollen, dem anderen gefallen zu wollen, und habe dabei meine eigenen Bedürfnisse halbwegs außer Acht gelassen. Guter Sex ist für die meisten Frauen ja auch schon der, der nicht wehtut, nicht wahr? *Ironie* Angesäuselt vom Alkohol war ich immer entspannter, aber das konnte ja nun wahrlich nicht auf lange Sicht die Lösung meines Problems sein.
Als die Lösung in mein Leben trat …
Dann kam ich mit meinem jetzigen Partner zusammen und alles hat sich verändert. Okay, ich bin jetzt nicht wie magisch von meinem Gefühl, ständig aufs Klo zu müssen, geheilt, aber ich bin jetzt wesentlich entspannter. Ich kann sogar manchmal einfach so spontan Liebe machen, ohne vorher auf die Toilette rennen zu müssen! Das mag sich jetzt für manche ganz selbstverständlich anhören, aber für mich ist das ein so unfassbar riesiger Fortschritt, das könnt ihr euch nicht vorstellen! Klar denke ich immer noch daran. Wäge ab, ob ich auf Toilette muss oder nicht, entscheide mich dann aber auch mal ganz bewusst dagegen.
Aber warum? Was ist anders?
Von Anfang an haben wir zwar ganz offen über die MS gesprochen und ich habe ihm meine Symptome nach und nach geschildert, aber ich hatte das ganze Thema doch ein bisschen unterschätzt. Er hatte, bevor er mich kennengelernt hat, noch nie etwas von Multipler Sklerose gehört und zwar jetzt eine grobe Ahnung davon, aber so ganz verstanden hatte er es dann doch nicht. Als er das realisierte, hat er dann von sich aus Recherche betrieben. Ich habe ihm außerdem eine Broschüre gegeben; er hat mich nach allen meinen Symptomen gefragt und zusammen haben wir einen Film (Jason DaSilva: When I Walk) geguckt. Da ist mir umso mehr bewusst geworden, wie wichtig Reden ist. Wie soll jemand etwas verstehen, wenn er es nicht fühlt? Wenn er bis vor Kurzem noch nie davon gehört hat?
Als es zum Liebemachen kam, bin ich in alter Gewohnheit wieder vorher auf Klo gerannt und kam immer ganz unangenehm berührt zurück, weil ich schon wieder so lange auf Toilette war. Jedes Mal hat er mich in den Arm genommen und gesagt, dass das überhaupt kein Problem sei. Dass ich noch fünfmal aufs Klo gehen kann. Dass ich mich nicht stressen soll, sondern es auch völlig okay ist, wenn ich zwischendurch muss.
Das mag wieder für einige selbstverständlich klingen, vielleicht sogar banal. Für mich bedeutet es, dass ich jemanden gefunden habe, der mich so liebt, wie ich bin. Der mir beibringt, mich so anzunehmen, mich so zu lieben, wie ich bin. Der mir den Druck nimmt, das Gefühl nimmt, beim Sex perfekt (nach den medialen unrealistischen Klischees/Vorstellungen) sein zu müssen. Der mir ein Gefühl von Sicherheit vermittelt. Der mich mit meinen MS-Macken, meinen MS-Symptomen so nimmt, wie ich bin. Der die Krankheit und mich ernst nimmt, aber sie nicht zu wichtig nimmt. Wisst ihr, was ich meine? Ach, Mann, immer werde ich so sentimental.
Ich glaube, was ich mit diesem Artikel sagen möchte, ist, dass es mir bei meinem Sexleben mit einem anderen Menschen unglaublich wichtig ist, einen Partner zu haben, mit dem ich offen und ehrlich reden kann. Mit dem ich mich wohlfühle. Dass ich weiß, dass ich sein kann, wie ich bin. Bislang habe ich außer den Blasenproblemen und Müdigkeit (manche Positionen werden dann einfach ausgelassen, es gibt ja noch genug andere?) MS-technisch keine Einschränkungen, die ich, oder auch wir, nicht gemeinsam händeln könnten. Sollten aber noch welche dazukommen, dann weiß ich, dass ich mit meinem Partner offen und ehrlich darüber reden kann und wir zusammen Wege finden werden, unsere Bedürfnisse zu erfüllen.
Früher habe ich mich für Dinge geschämt, für die ich mich nicht schämen brauchte. Das weiß ich heute und es ist unglaublich befreiend, einfach loszulassen und meine Sexualität zu genießen.
MAT-DE-2301291-1.0-05/2023
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