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Vom Chaos in die Klarheit
Welcher Jahreswechsel kann einen größeren Anstoß zum Zurückblicken, aber auch zum freudigen Nach-vorn-Sehen bieten als der, mit dem man dieses chaotische 2020 hinter sich lässt? Es gab mal die Jahrtausendwende – aber das war nur künstlich aufgebauscht, das war lediglich eine Zahl. Das hier ist real: Denn wir haben es, heute und im digital geprägten 21. Jahrhundert mit einer Pandemie, einer Seuche zu tun! Wer denkt nicht an finstere Mittelalterszenen, wenn er „Seuche“ hört? Aber es ist hier und jetzt. Mich persönlich erinnert es an meine MS-Diagnose vor einigen Jahren, als ich erfahren musste, dass Multiple Sklerose nicht etwas ist, das nur alte Leute haben. Und das Chaos begann. Das war mit Corona ähnlich: Alles vorher Gültige wurde über den Haufen geworfen.
Als 2020 mein Chaos ausbrach
Kinder, die von heute auf morgen nicht mehr in Kindergarten und Schule waren. Ein Mann, der nicht ins Büro fuhr. Und mittendrin ein Ich mit einer kleinen Selbstständigkeit und massiven Existenzängsten – und keiner Möglichkeit und vor allem keiner Ruhe mehr, einen validen Plan B zu entwickeln, so zwischen Homeschooling, Homeoffice und Home-Kindergartening. Das Chaos war komplett und keiner wusste irgendwas. Außer dem Finanzamt. Pünktlich wie ein Uhrwerk musste ich meine Steuern zahlen, egal was drumherum passiert. Das Finanzamt ist eine der großen Geißeln der Selbstständigen, ob mit Pandemie oder ohne. Es gibt den Takt vor, den Takt, in dem kein Urlaub und extrem selten ein freies Wochenende vorkommen. (Wer findet, das passt zu einer MS-Erkrankung, Hand heben!)
Viele Jahre fand ich den Vorteil der relativ freien Zeiteinteilung so schwerwiegend, dass ich das Steuerthema hinnehmen konnte. Doch die Sondersituation durch Corona, in der gefühlt jeder Angestellte, für den es möglich war, zu Hause blieb und „einfach“ weiter Gehalt bezog, machte mir meine eigentlich doch prekäre Situation überdeutlich. Kunden zogen Aufträge zurück, zahlten nicht mehr pünktlich und ich stellte mein Tun immer mehr infrage. Klar: Ich hatte es nicht, wie andere, mit der Angst vor einem plötzlichen Jobverlust oder mit Kurzarbeitergeld zu tun. Aber meine Angst war nicht minder existenziell. Was, wenn morgen einfach alle Aufträge wegbrechen? Kein Arbeitslosengeld, keine Abfindung, nichts wäre da gewesen.
Folgendes Beispiel ist perfekt, um den Zustand noch mal klarer zu machen:
Steuererleichterung bei Behindertengraden
Für Selbstständige gibt es zwei Schlagworte: Steuern und Auftragslage. Wer mit einer Behinderung, zum Beispiel Multiple Sklerose, selbstständig ist, bekommt noch den Faktor Stabilität (oder eben nicht) der Krankheit hinzu. Um zumindest letzteren ein wenig abzumildern, gibt es – in Abhängigkeit zum Grad der Behinderung – zumindest kleine steuerliche Erleichterungen. Sie sind nicht groß, aber jeder Euro, der nicht versteuert werden muss, zählt. Die Rede ist vom Behinderten-Pauschbetrag, auch Behindertenfreibetrag genannt.
Hier ist ein Überblick über die Pauschbeträge pro Jahr:
- Grad der Behinderung 25 und 30 – 310 Euro
- Grad der Behinderung 35 und 40 – 430 Euro
- Grad der Behinderung 45 und 50 – 570 Euro
- Grad der Behinderung 55 und 60 – 720 Euro
- Grad der Behinderung 65 und 70 – 890 Euro
- Grad der Behinderung 75 und 80 – 1.060 Euro
- Grad der Behinderung 85 und 90 – 1.230 Euro
- Grad der Behinderung 95 und 100 – 1.420 Euro
(Quelle: Vereinigte Lohnsteuerhilfe e. V.)
Doch nun kommt die Krux: Wer einen Grad der Behinderung unter 50 hat, also nicht als schwerbehindert gilt, bekommt diese Pauschalen nicht. Es sei denn, es liegt ein Rentenanspruch aufgrund der Behinderung vor oder die Behinderung schränkt dauerhaft die Beweglichkeit ein oder eine typische Berufskrankheit ist die Ursache. Jeder MSler mit temporären Mobilitätseinschränkungen (wie ich) wird sich jetzt fragen: Und wo bleibe ich? Tja. Das hängt nun vom guten Willen des jeweiligen Sachbearbeiters beim Finanzamt ab – der möglicherweise die vielen sich summierenden Extraausgaben rund um die MS als „außergewöhnliche Belastung“ in der Steuererklärung anerkennt. Sie würden dann den zu versteuernden Betrag entsprechend senken. Da hilft nur Daumendrücken. Vielleicht.
Irgendwie weitermachen?
Erstmal machte ich im Sommer 2020 aber einfach weiter. Gibt es vielleicht einen anderen Geschäftszweig, einen neuen Kundenstamm oder hilft vielleicht eine Fortbildung? Oder meine Website könnte ein neues Outfit und frische Inhalte bekommen … Der Kopf arbeitet auf Hochtouren und brütet tausend Ideen aus. Aber letztlich war das Ergebnis inmitten des Chaos ein fruchtloser Aktionismus. So richtig änderte sich nichts mehr.
Der Schub bringt Klarheit
Und inmitten der Ausnahmesituation meldete sich natürlich wer? Ja, die MS! Hallo, ich bin auch noch da! Wie wär´s mal wieder mit einem so richtig schleppenden Gang, kein Fahrradfahren möglich und Auto erst recht nicht? Bitte sehr!
Mitten im Schub (dem ersten seit echt langer Zeit) erkannte ich, dass es so nicht weitergehen kann. Alles hat seine Zeit. Jetzt wurde es immer klarer: Vielleicht geht die Zeit der Selbstständigkeit jetzt einem verdienten Ende zu. Denn alles, was Freiheit bedeutet, wird durch die Geißel der unerbittlichen (Zahlungs-)Pflichten wieder eingeholt, im Zusammenspiel mit dem ewigen unbezahlten Urlaub und „Garnichtkrank“-sein-Dürfen.
Vielleicht ist das irgendwann nicht mehr passend, dass es dir niemand dankt, wenn du in jedem erdenklichen Zustand arbeitest. Mit Sehstörungen, Schmerzen und Erschöpfung. Letztere dabei nicht allein aufgrund der MS, sondern zusammen mit der, die jedes berufstätige Elternteil kennt. Nein, jetzt ist es an der Zeit, etwas Verantwortung abzugeben und mich endlich beim Arbeiten auf meine Tätigkeit als solche zu konzentrieren, denn eigentlich liebe ich sie sehr.
Ja! Ich wusste auf einmal genau: Als Nächstes kommt eine tolle, passende Festanstellung für mich! Genau die habe ich zum Jahresende sogar wirklich gefunden, als hoffungsvollen Auftakt für ein Jahr 2021, in dem das allgemeine Chaos und die Erschöpfung endlich mal aufhören.
Denkwürdig übrigens, dass schon wieder eine Krankheit zu einem Neustart beigetragen hat, erst MS, dann Corona …
MAT-DE-2007291 v1.0 (01/2021)
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