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To-do-Listen-Bezwinger

Chris entspannt lächelnd auf seiner Vespa und bei einem Lauf

Zugegebenermaßen klingt der Titel recht dramatisch und unsportlich, aber ich werde dazu im Laufe meiner Geschichte etwas weiter ausholen. Ich habe als Jugendlicher unheimlich viel Tennis und Fußball gespielt, bis irgendwann die Frauen interessanter waren, als am Wochenende auf dem „Platz“ zu stehen und 'nem Ball hinterherzurennen. So ging es nicht nur mir, sondern auch vielen meiner damaligen Kameraden. Der Sport wurde weniger. Die eine oder andere Trennung animierte dann mal wieder zum sportlichen Durchdrehen, aber dann waren es oft Kraftsport-Studios.

Als sich 2014 dann das MistStück eingemischt hat, kam ich das erste Mal wieder mit mehr Sport in Berührung

Ich musste nach meinem ersten Schub zur Reha. Genau ein Wochenende vor der Aufnahmeuntersuchung hatte die MS 'nen Angriff auf meine Klüsen geplant. Ich konnte Bilder, die meine Augen wahrgenommen haben, nicht mehr in angemessener Zeit scharf stellen. Es dauerte immer eine gefühlte Sekunde, bis das Gesehene scharf wurde. Bei der Aufnahmeuntersuchung zur Reha wurde ich dann nochmal ins Krankenhaus für eine weitere Stoßtherapie-Party geschickt.

Nach fünf Tagen Produkt der Nebennierenrinde durfte ich direkt wieder in die Reha und dort wartete ein geplantes Sportprogramm auf mich. Das ausgeklügelte Programm bestand aus Kraftsport, Koordination, Wassergymnastik und sogar aus Nordic Walking. Ich muss zugeben, dass ich ein ganz anderes Bild vom Nordic Walking hatte. Ich habe immer gedacht, die Leute haben die Stöcke mit, damit sie beim Spazierengehen nicht umfallen. Ich musste meine Einstellung dazu revidieren und merkte, dass viel Koordination dafür erforderlich ist. Ich spürte, dass mir der viele Sport guttat.

Ich hatte Blut geleckt, aber ich habe nach der Reha meine Ziele schnell aus den Augen verloren, da meine MS weiterhin auf der Überholspur unterwegs war. Ich musste meine Reha drei Tage früher beenden, denn der nächste Schub war da. Dieses Mal waren es die Hände. So schlimm, dass das Schreiben fast nicht mehr funktionierte.

Über mehrere Monate erfolgten dann Klinikaufenthalte, in denen Entscheidungen über das weitere Vorgehen hinsichtlich meiner Medikamente getroffen werden mussten. Es war ein Hin und Her, die Frage „absetzen oder nicht“, bis ich endlich wusste, wie es weitergehen sollte. Auch anschließend war ich noch ein paar Wochen „out of order“ und hatte auf der Arbeit erst mal genug Bewegung, weil wir Revision hatten. Das bedeutete 10-Stunden-Schichten über einen Zeitraum von drei Monaten.

Im Juni 2015 hat es mich dann gepackt und ich habe das Joggen angefangen und mich auch in einem hiesigen Fitnesstempel angemeldet.

Jetzt kommen wir zu dem eigentlichen Grund des Titels „To-do-Listen-Bezwinger“

Ich habe in meinem Kopf eine interne To-do-Liste, die ich Stück für Stück abarbeiten möchte, muss, wie auch immer. Es ist fast wie ein Zwang, aber damit verbunden tue ich meinem Körper und seiner Muskulatur auch etwas Gutes. Ich betreibe meinen Sport ziemlich exzessiv, sodass ich ca. 20–40 km die Woche, egal bei welchem Wetter, joggen gehe. Zusätzlich begebe ich mich zwei- bis dreimal die Woche in den Tempel der Spiegelgucker.

Meistens fängt mein Programm auch hier mit Ausdauertraining an. Entweder auf dem Ergometer, Crosstrainer oder Laufband. Danach kommen dann die einzelnen Muskelgruppen dran. Ich will kein Arnold Schwarzenegger werden, aber ich möchte mir eine gewisse muskuläre Stabilität erhalten bzw. sie ausbauen.

Des Weiteren habe ich meine Platzreife auf dem Golfplatz absolviert, denn mein Sohn spielt seit einigen Jahren erfolgreich Golf und ich übe diesen Sport aus, um erstens näher an ihm dran zu sein und zweitens verlangt es viel Koordination, ist hochtechnisch und macht einfach irre viel Spaß.

Chris beim Bälleabschlagen auf dem Golfplatz

To-do-Liste als Abschiedstournee?
Ich möchte aber kurz nochmal die Kurve zurückfahren zu meiner To-do-Liste. In meinem Kopf schwirrt immer wieder der Gedanke herum, dass ich einfach manche Dinge in meinem Leben noch gemacht haben muss, weil ich sie vielleicht irgendwann nicht mehr machen kann. Ob es jetzt das Laufen ist, der Kraftsport, das Golfen oder der Kletterpark usw., usw. Manchmal fühle ich mich wie auf einer Abschiedstournee. Es ist ein wenig wie in dem Film „Knockin` on Heaven`s Door“, in dem Jan Josef nochmal ans Meer muss. Ich wohne direkt am Meer, also habe ich mir was anderes gesucht :)

Jetzt kommt das große „ABER“.

Durch diese ganzen Aktivitäten bilde ich mir ein, dass ich insgesamt viel leistungsfähiger geworden bin. Ich habe mit Fatigue, behaupte ich mal, bis dato nichts zu tun gehabt, aber ich war abends oder morgens manchmal wie gerädert, müde und schlapp. Seitdem ich so aktiv bin, ist das alles Geschichte. Ich habe manchmal das Gefühl, ich könnte Bäume ausreißen.

Mir tut das unheimlich gut und ich bin der Meinung, dass jeder MSler sich in irgendeiner Art und Weise fit halten sollte, um ggf. mit guter Muskulatur dem einen oder anderen Ausfall entgegenwirken zu können. Ich weiß, das ist aus meiner Sicht vielleicht leicht gesagt, aber egal in welcher körperlichen Verfassung man sich schon wegen des MistStücks befindet, man sollte was machen.

Ich werde in meiner Klinik jeden Monat eigentlich durch den Oberarzt betreut, aber der hat natürlich auch mal frei und eine Kollegin, die ihn vertritt, fragte mich einmal, wie es mir ginge. Ich sagte: „Mir geht’s super. Ich trainiere gerade für den Hamburg-Marathon und laufe 20–30 km die Woche.“ Sie hat mich angeguckt wie das berühmte Auto, mit Blick auf meinen EDSS-Score, den mir die Reha damals verpasst hatte, und fragte: „Das geht noch?“ Ich sagte: „Ja, klar geht das und das muss auch so bleiben, damit ich auf meiner To-do-Liste wieder was streichen kann.“

Wir werden schon alle durch unsere Herausforderung „Multiple Sklerose“ fremdbestimmt und wir müssen mit eisernem Willen dagegenhalten.

Selfie von Chris beim Joggen

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