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Nochmal neu lernen

Ernährung Multiple Sklerose

Irgendwie mussten ja die vergangenen Jahre voller unbewusstem Konsum und hektischem Leben ihre Spuren hinterlassen haben. Das wurde mir mit einem Knall bewusst, als ich meinem Neurologen im Diagnosegespräch gegenübersaß. Nicht, dass es von seiner Seite einen Anstoß dazu gegeben hätte. Nein, diese Erkenntnis kam mir ganz von selbst.

Nur ein Motor, der das richtige Antriebsmittel bekommt, läuft reibungslos und effektiv. Irgendwie doch so logisch. Unsere Zellen werden gebaut aus dem Baumaterial, was wir dem Körper zur Verfügung stellen. Als ich damals im Schnelldurchlauf Revue passieren ließ, wie ich die vergangenen Jahre so gelebt hatte – nämlich überwiegend von Fast Food –, war es für mich eine logische Konsequenz, dass ich mich als Erstes jetzt mit meiner Ernährung auseinandersetzen sollte. Dafür benötige ich keine Studien oder ähnliches.

Konzepte über Konzepte

Wie mein Mann schon berichtete (Give me a new mind) testete ich über Jahre etliche verschiedene Ernährungskonzepte und MS-Diäten. Und nicht nur ein paar Tage, nein, Monate. Aber nichts hat sich wirklich passend für mich angefühlt und eine dauerhafte Besserung meiner Symptome herbeigeführt.

Nach Jahren des Ausprobierens öffnete sich vor 16 Monaten endlich genau die Tür, nach der ich unbewusst die ganze Zeit gesucht hatte. Durch einen Zufall lernte ich das Ayurveda kennen. Übersetzt: Das Wissen vom Leben. Und hier ist „das Leben“ im Sinne unserer Existenz gemeint, nicht die Aktivitäten des Lebens.

Es eröffnete sich eine ganz neue Welt, denn das Ayurveda ist kein starres Konzept oder ein Buch voller Regeln, wie alle anderen Ernährungsansätze, die in der westlichen Welt entstehen. Es ist die bloße Beschreibung der Naturgesetze, nach denen unsere Körper funktionieren – und zwar jeder anders und jeder einzigartig.

Logisch, dass kein vorgefertigtes Konzept auf mich gepasst hat all die Jahre. Wie denn auch? Wie soll ein Konstrukt von Regeln, das immer nur ein Einzelteil des menschlichen Daseins betrachtet, mich in meiner Ganzheit erfassen und mir nachhaltig gut tun?

Zurück zur inneren Intelligenz

Warum das Ayurveda so eine Offenbarung für mich ist, ist vor allem das „Ent“-Lernen aller Regeln, die man sich so hat aufschwatzen lassen von außen, und stattdessen das Spüren einer Verbindung zur eigenen inneren Intelligenz. Seitdem ich lerne, die Zeichen meines Körpers zu lesen und richtig zu deuten, ernähre ich mich intuitiv so, dass es meinem Körper und meiner Gesundheit zuträglich ist. Ich muss mir keinen Wecker stellen, wann ich zu essen habe, ich muss auf keine Liste schauen, was ich zu essen habe.

Multiple Sklerose Ernährung

Es ist eine spannende Reise bis hierhin, denn eigentlich ging ich als sensibler Mensch mit gutem Körpergefühl schon davon aus, dass ich einschätzen kann, was für mich gut ist und was nicht. Es hat sich allerdings herausgestellt, dass das eben nicht der Fall war. Ich hatte viel zu lernen, sowohl in der Auswahl der Nahrungsmittel als auch in dem Wie, Wann und Wo.

Der Salat am Abend

Ein kleines Beispiel: Bevor ich lernte, mich nach dem Wissen des Ayurveda zu ernähren, habe ich mich zu den sogenannten Clean Eatern gezählt. Da isst man hauptsächlich Frisches, Unverarbeitetes. So weit, so gut. Das ist im Übrigen auch im Ayurveda so. Allerdings habe ich es zum Beispiel für „gesund“ gehalten, abends einen Salat zu essen. Was kann daran denn auch ungesund sein – an einem Batzen feinster frischer Bio-Rohkost?

Ich bin es seit klein auf gewöhnt, Verdauungsprobleme zu haben. So sehr, dass ich sie tatsächlich nach so vielen Jahren einfach ausgeblendet hatte. Und so habe ich alle Zeichen überhört – denn sie waren definitiv da in der Rückschau –, die mir hätten sagen können, dass das eben für mich weit von „gesund“ entfernt ist mit dem großen Salat am Abend.

Gesund oder ungesund?

Im Ayurveda gibt es kein „gesund“ und „ungesund“. Es gibt dir persönlich zuträgliche und unzuträgliche Nahrungsmittel. So simpel. So pragmatisch. Aber eben deswegen ist es auch so mit Vorsicht zu genießen, sich einfach irgendeinem Ernährungstrend anzuschließen. Denn da wird nicht unterschieden. Es gibt eine Schublade, wo alle hineingepresst werden. Es besteht kein Wissen und kein Verständnis dafür, dass jeder Körper andere Bedürfnisse hat.

Multiple Sklerose Ernährung

Diese wiederum zu erkennen, ist gar nicht so leicht, wenn man sich nicht ein wenig damit auseinandersetzt, wie unser Motor denn eigentlich funktioniert. Man verwechselt schnell eine antrainierte Vorliebe mit einem zuträglichen Nahrungsmittel. Und wer ohnehin eine unausgeglichene Verdauung hat (was nach meiner Erfahrung auf die allermeisten Menschen zutrifft), der hat meiner Meinung nach ohne fachlichen Rat erstmal gar keine Chance zu erkennen, was er verträgt und was nicht.

Verantwortung übernehmen

Die Beschäftigung mit diesem immensen Wissensschatz hat sich für mich wie eine Befreiung, wie ein Empowerment angefühlt. Seitdem bin ich wirklich in der Lage, Selbstverantwortung für meinen Körper zu übernehmen. Ich kann spüren und lesen, was ich wann brauche, und dann eigenständig handeln. Und es klappt. Es gibt (endlich) keine Ausnahmen mehr, wie bei all meinen vorigen Experimenten.

Es fühlt sich ein bisschen so an, wie nochmal Kind zu sein und das Leben neu kennenzulernen. Und schon nach den ersten paar Wochen habe ich so unfassbar viele positive Veränderungen in mir gespürt. Seitdem ich nach Ayurveda lebe, habe ich nie wieder Fatigue gehabt und fühle mich energetischer als vor meiner Erkrankung – das heißt: energetischer als vor sieben Jahren im zarten Alter von 25.

Was bedeutet denn eigentlich Ernährung?

Dieser ganze Prozess hat viele wertvolle Erkenntnisse gebracht. Sie schwarz auf weiß zu sehen, lässt mich schmunzeln, weil sie so selbstverständlich sein sollten.

Ernährung ist dazu da, uns zu nähren, das heißt dem Körper das zu geben, was er zum Leben braucht. Aber vor allem in der heutigen Zeit des maßlosen Überflusses von Nahrungsmitteln missbrauchen wir unser Essen oft zur mentalen Befriedigung.

Essen soll heutzutage gut aussehen, Spaß machen, soll ein Happening sein, über die Sorgen des Tages hinwegtäuschen, den Liebeskummer unterdrücken. Es soll bequem sein, auch nebenbei passieren können, trendy sein. Essen wird ganz häufig auf das Sinneserlebnis allein beschränkt. Wie oft ging es einem schon so, dass man unbedingt noch ein Stück von dieser so unsagbar lecker aussehenden Torte essen musste, obwohl der Bauch eigentlich schon voll war?

Mit dem eigentlichen Nähren des Körpers hat das nichts zu tun. Und das zeigt uns unser Körper, in dem er aus dem Gleichgewicht kommt und krank wird – in vielen unterschiedlichen Dimensionen.

Multiple Sklerose Ernährung

Harmonie im Darm = Harmonie im Kopf

Mit der Verinnerlichung der grundlegenden Gesetzmäßigkeiten unserer Natur hat sich mein Dasein in eine völlig neue Richtung entwickelt. Es ist ein unbeschreibliches Gefühl, den Körper in so viel Harmonie zu erleben. Das war auch zu Vor-MS-Zeiten niemals so gewesen wie jetzt. Und es wirkt sich in direktem Zusammenhang auch auf meinen geistigen Zustand aus. Mir ist diese Abhängigkeit voneinander noch nie so deutlich vor Augen geführt worden wie in der Selbsterfahrung.

Ernährung war lange ein Thema voller Fragen und Zweifel und nun bin ich endlich angekommen. Und zwar nicht bei einem Konzept, einer Idee, einem Dogma, sondern bei mir selbst. Wenn mich jemand fragt, welchen Ernährungsstil ich nun verfolge, dann sage ich: den „Sabinischen“.

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Und wie finde ich nun zurück zu meiner eigenen, innewohnenden Intelligenz? Wie finde ich heraus, welche Nahrungsmittel mir guttun und welche nicht? Auch ohne Hilfe von außen können wir beginnen, unsere Sensibilität zu schulen. Dazu hier zwei kleine Experimente, um erste Erfahrungen in dieser Richtung zu sammeln.

Experiment Eins

Hier geht es nicht um eine Bewertung oder Veränderung, sondern nur um reine Beobachtung.

Beobachte dich in den verschiedenen Situationen, in denen du isst: Beim Mittagessen mit Kollegen, auf dem Weg zwischendurch, vor dem Fernseher, zu Hause mit der Familie, im Restaurant mit Freunden, allein. Während du isst, werde dir der Atmosphäre um dich herum bewusst: Ist es laut, hektisch, ruhig, angespannt, prasseln viele andere Reize auf dich ein?

Werde dir in den jeweiligen Situationen darüber bewusst, wie du isst: Wie fühlst du dich innerlich? Wie schnell isst du, wie gründlich kaust du? Wie intensiv schmeckst du dein Essen? Wie sitzt du? Wie atmest du? Was macht die Atmosphäre um dich herum mit dir?

Werde dir zum Schluss darüber bewusst, wie du dich nach dem Essen in den jeweiligen Situationen fühlst. Wie fühlt sich dein Bauch an? Bist du gestärkt oder brauchst du eine Verdauungspause? Wie fühlst du dich mental?

Wenn du verschiedene Situationen erlebt hast, schau, wie sich dein Essverhalten, je nachdem, wo und wie du isst, verändert. Was kannst du feststellen?

Nicht allein die Quantität und Qualität unserer Nahrung entscheidet darüber, wie gut uns eine Mahlzeit bekommt und wie sehr sie uns nährt. Auch die Umstände spielen eine wichtige Rolle. Mit dieser Übung kannst du dir bewusst darüber werden, wie sich die Veränderungen der inneren und äußeren Atmosphäre, in der du isst, auf die Bekömmlichkeit deines Essens auswirken können.

Experiment Zwei

Eine harmonische, gut verdauliche Mahlzeit beinhaltet nach Ayurveda immer alle sechs Geschmacksrichtungen. Jeder von uns benötigt jedoch aufgrund seiner ganz persönlichen Konstitution ein unterschiedliches Verhältnis der Geschmäcker.

Besorge dir Nahrungsmittel aus jeweils allen sechs Geschmacksrichtungen: süß, sauer, salzig, scharf, bitter, herb. Nimm dir für das Experiment Zeit und Ruhe.

Erlebe nacheinander die einzelnen Geschmäcker. Lass sie auf der Zunge und im Bauch wirken und beobachte, wie du dich jeweils fühlst, wenn du die verschiedenen Dinge gegessen hast.

Beispiele für die unterschiedlichen Geschmacksrichtungen:

Süß: Reis, Getreide, Honig, süße, reife Früchte, Milch
Sauer: Zitronen, Tomaten, Joghurt, Essig
Salzig: Meersalz, Steinsalz, Sojasoße
Scharf: Chili, Paprika, Peperoni, Pfeffer, Senf
Bitter: grünes Gemüse, Petersilie, Chicorée, Radicchio
Herb: Spinat, Linsen, Bohnen, Brokkoli, Spargel

GZDE.MS.18.10.0814