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Unsichtbar und (fast) unerklärbar

MS, unsichtbar?!

Ich freue mich sehr, dass das diesjährige Thema zum Welt-MS-Tag die unsichtbaren Symptome der Multiplen Sklerose behandelt, und erhoffe mir, dass gerade Außenstehenden klargemacht wird, dass es schwere Krankheiten gibt, die auf den ersten Blick gar nicht so erscheinen, weil die Patienten ja immer „sooo gut“ aussehen! Ich möchte mir gar nicht ausmalen, wenn ich zur Krankheit, die hässlich genug ist, auch noch plötzlich aussehen würde wie der ungeschminkte Quasimodo!

Mit der MS hört man ja nicht auf, sich zu pflegen oder zu schminken oder anständig zu kleiden! Das Leben geht ja schließlich weiter! Ist es nicht das, was wir oft gesagt bekommen und wir uns auch immer wieder selbst einbläuen? So soll es doch sein, nicht? Die Krankheit annehmen, bloß nicht jammern, deswegen depressiv sein? Nicht doch! Das ist es doch, was man in unserer Leistungsgesellschaft gar nicht gerne sieht! Und wenn man dann auch noch gut aussieht, kann das alles ja so schlimm nicht sein!

Andersrum: Ich laufe in Lumpen durch die Gegend, mache mich nicht mehr zurecht, sage jedem, der es wissen oder auch nicht wissen will, dass es mir schlecht geht! Dass ich müde bin, so bleiern müde! Dass meine Beine kribbeln, dass ich mich nicht konzentrieren kann, dass ich ständig Dinge vergesse oder mir manche Worte einfach nicht mehr einfallen. Plötzlich sehe ich gar nicht mehr so gut aus und muss mir höchstwahrscheinlich anhören, dass ich mich doch gefälligst zusammenreißen soll! Anderen geht es viel, viel schlechter! Ja, die sitzen sogar im Rollstuhl und stell dir vor, die gehen auch noch arbeiten! Du bist einfach nur zu faul! Krieg endlich den Hintern hoch, Mensch!

Nun frage ich mich, was „besser“ ist? Kognitive, unsichtbare Symptome oder lieber kognitiv absolut fit sein und dafür nicht mehr gehen können? Wann bin ich denn krank genug? Doof ist natürlich, wenn ich im Rollstuhl sitze und in der Öffentlichkeit plötzlich aufstehe! Das sollte ich dann natürlich tunlichst vermeiden, denn dann bin ich ja auch wieder nicht richtig krank, sondern faul und noch dazu verhöhne ich damit echte gehbehinderte Menschen!

Mein Gott, das ist aber auch schwierig alles! Ein Schnupfen vielleicht, Husten oder eine Bindehautentzündung? Cool, das sieht man mir an! Jammern darf ich dann aber auch nicht, sonst bin ich wieder nur wehleidig ...

Ich bin ja nicht nur mit der MS gesegnet, sondern auch mit einer ziemlich fiesen Psoriasis! Wenn ich bei letztgenannter Krankheit einen Schub habe, vermeide ich es rauszugehen, weil man es sieht! Man sieht die knallroten, aufgerissenen Hände, man sieht, dass das alles nässt und ich schäme mich! Ich schäme mich, weil man sich in dem kleinen Dorf, in dem ich wohne, erzählt, dass ich die Krätze habe und es doch mal mit Waschen probieren sollte! Hallo, ihr lieben Nachbarn, die das vielleicht (hoffentlich) lesen – rutscht mir doch den Buckel runter!

Wie ihr seht: Man kann es drehen und wenden, wie man will, falsch ist es so oder so! Das Einzige, das wirklich helfen würde, ist Aufklärung. Immer und immer wieder! Nicht nur über die unsichtbaren Symptome der MS, sondern auch über die vieler anderer chronischer Krankheiten! Es muss endlich aufhören, dass ständig behauptet wird, dass man bei MS im Rollstuhl landet oder sogar daran stirbt!

Ich lese ja sehr viel und es ärgert mich kolossal, wenn ich in einer Liebesgeschichte oder sonst einem Buch lese, dass irgendwer an MS erkrankt ist und nicht mehr lange zu leben hat! Liebe Autoren und Autorinnen: Ihr macht uns damit, bestimmt unbeabsichtigt, das Leben wirklich schwer! Bitte hört damit auf, denn es wird sich sonst nie etwas ändern! Ich bitte euch wirklich inständig! Und ihr, die ihr solche Geschichten lest – lasst euch nix einreden!

Welche Schlüsse ziehe ich nun daraus: Ich lebe mein Leben mit der MS so, wie ich es für richtig halte! Im Grunde genommen ist es mir mittlerweile persönlich fast egal, wenn ich als faul bezeichnet werde. Ich könnte meine Symptome immer und immer wieder versuchen zu erklären, was oft gar nicht möglich ist. Dann stellt sich mir allerdings die Frage nach dem Warum! Wieso soll ich Menschen, denen ich doch sowieso herzlich egal bin, irgendetwas erklären? Um deren Sensationslust zu stillen? Außerdem bin ich nicht der Typ, der „jammert“! Nach außen hin bin ich immer gut drauf! Ich habe Humor, ich lache viel und wenn ich alleine bin, weine ich manchmal. Für mich alleine. Niemand bekommt das mit. Dazu bin ich nicht bereit!

Meine Lieblingsmenschen wissen, was Sache ist und das ist doch das, was zählt und wichtig ist! Für alle anderen geht es mir grundsätzlich gut, denn das ist es, was man von mir hören will! Wie es in meinem Inneren aussieht, wollt ihr nicht hören und wenn ihr ehrlich seid, auch gar nicht wirklich wissen!

GZDE.MS.19.04.0282