Stück für Stück zum kleinen Glück

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Stück für Stück zum kleinen Glück

Was antwortest Du auf die Frage nach Deinem größten Wunsch? Die meisten Menschen wollen glücklich und gesund sein. Mit dem „gesund“ ist das so eine Sache, wenn Du eine MS und somit eine chronische Erkrankung hast. Auch das „glücklich sein“ gelingt Dir wahrscheinlich nicht immer. Darauf kommt es aber auch nicht an, sagt Andrea Horn, die das Konzept der „Positiven Psychologie“ vertritt. Wichtiger ist es, sich positiv mit den Herausforderungen des Lebens auseinanderzusetzen, seine Ressourcen und inneren Stärken zu erkennen und zu einer allgemeinen Lebenszufriedenheit zu finden.

Wir alle kennen Tage, an denen uns einfach nichts gelingen will. Dann fühlt man sich schnell frustriert, müde und ausgelaugt. Genauso gibt es Tage, an denen einfach alles fluppt und man sich entsprechend stark, beschwingt und oft schon richtig glücklich fühlt. Warum der eine Tag so belastend und der andere so einfach und erfolgreich verläuft, ist oft nicht auszumachen. Auf jeden Fall aber haben wir Möglichkeiten, mehr „gute“ als „schlechte“ Tage zu erleben, weiß Psychotherapeutin Andrea Horn, die sich mit der Glückswissenschaftlerin Saskia Rudolph unter dem Namen „Spiegelneuronen“ der „Positiven Psychologie“ verschrieben hat.

Bei der Entwicklung ihrer Konzepte und auch bei der Betreuung von Menschen mit verschiedensten Erkrankungen fokussieren sich Andrea Horn und Saskia Rudolph darauf zu erarbeiten, was Menschen stark und widerstandsfähig macht. „Ziel ist nicht unbedingt das Glück“, sagt Horn. „Das ist kaum zu erreichen. Aber wir können Lebenszufriedenheit finden“. Dazu ist es wichtig, dass Du weißt, was Dir gut tut und was nicht, und dass Du lernst, achtsam mit Dir selbst umzugehen.

Der Blick zurück stärkt den Blick nach vorne

Und Du solltest Dir Ziele setzen. Doch Vorsicht, es müssen kleine Ziele sein, die auch erreichbar sind und Dir immer wieder Erfolgserlebnisse bescheren können. Dabei hilft es laut Horn oft schon, ab und an den Blick auch einmal zurückschweifen zu lassen und sich klar zu machen, welche Hürden Du in Deinem Leben schon alles gemeistert hast. Dann lässt sich einfacher formulieren, wie Dein nächstes Ziel aussieht und mit welchen Schritten Du es erreichen kannst.

Glück, Lebenszufriedenheit, Wohlbefinden – was ist das?

Eine einheitliche, für jedermann gültige Definition des Begriffs „Glück“ gibt es nicht. Das gilt ebenso für das Wohlbefinden und die Lebenszufriedenheit. Was unter diesen Begriffen zu verstehen ist, das ist sehr subjektiv geprägt. Es hängt von unserem Temperament, unserer Lebenserfahrung und Lebenseinstellung ab.

Leider gibt es jedoch kein Patentrezept, das uns helfen würde, jeden Tag glücklich und erfüllt zu erleben. „Das ist auch gut so“, sagt Andrea Horn. „Denn auch unangenehme Emotionen sind wichtig und haben ihre Funktion“. Sie lassen uns die guten Momente schätzen und intensiver und mit mehr Dankbarkeit erleben.

Es ist sowieso nicht möglich, jeden Tag glücklich zu sein. „Aber es gibt viele Faktoren, die unser Wohlbefinden steigern können“, so Andrea Horn. Die Psychotherapeutin rät, öfter einmal am Tag inne zu halten, zu reflektieren und sich zu fragen, was einem gut tut, Kraft gibt und welche inneren Stärken und Persönlichkeitsmerkmale wie zum Beispiel Humor oder Optimismus man für sich nutzen kann.

Doch auch äußere Einflüsse sollte man nutzen: So ist es wichtig, seine sozialen Kontakte zu pflegen, um Verbundenheit und Freundschaft zu erleben. Auch sollte man die schönen Momente bewusst wahrnehmen, rät Horn: „Zum Beispiel den ersten Schluck Kaffee am Morgen, die Sonne im Gesicht, die kleine Atempause zwischendurch an einem ansonsten stressigen Tag …“

Lebenszufriedenheit – warum ist sie wichtig bei MS?

Für Menschen mit MS sind die „kleinen Schritte zum Glück“ besonders wichtig. Denn Körper und Geist agieren keineswegs unabhängig voneinander. Im Gegenteil, sie sind eng miteinander verknüpft: Jede Erkrankung schlägt sich auch auf das Gemüt nieder – im Negativen wie auch im Positiven.

Die logische Konsequenz sollte sein, sich in seinem alltäglichen Leben nicht über Nichtigkeiten zu grämen, sondern sich zu bemühen, die positiven Dinge und die kleinen Freuden des Lebens bewusst wahrzunehmen und zu genießen. Dazu erklärt Andrea Horn: „Gesundheit oder Krankheit – das können wir uns leider nicht aussuchen. Aber wir können beeinflussen, wie wir damit umgehen – durch unsere Gedanken und unsere Verhaltensweisen“.

Psychotherapeutin Andrea Horn

ZUR PERSON:
Die Psychotherapeutin Andrea Horn erarbeitet zusammen mit der Kultur-und Glückswissenschaftlerin Saskia Rudolph Konzepte zur Lebenszufriedenheit (www.spiegelneuronen.info)

Apropos

Bei den „Spiegelneuronen“ handelt es sich wissenschaftlich betrachtet um bestimmte Nervenzellen im Gehirn. Sie sind wichtig für Empathie, also für unsere Fähigkeit, mitfühlen zu können. Und sie wirken ähnlich ansteckend wie das Gähnen und das Lachen: Wer selbst Glücksgefühle erlebt, kann diese auch in seinen Mitmenschen wecken. Und er kann dank der Spiegelneurone auch selbst von den Glücksgefühlen anderer „angesteckt“ werden.

MAT-DE-2003007-1.0-11/2020