Perspektive Zukunft

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Zukunft mit Multiple Sklerose

Um die Multiple Sklerose ranken sich noch viele Mythen. So hält sich hartnäckig das Vorurteil, der Weg von Menschen mit MS führe zwangsläufig in den Rollstuhl. „Das aber ist keineswegs der Fall“, sagt Dr. Stefan Ries vom Neuro Centrum Odenwald in Erbach. „Die Krankheitsentwicklung ist sehr unterschiedlich. Es gibt Menschen, die auch nach vielen Jahren kaum beeinträchtigt sind, während leider in einigen Fällen die Erkrankung doch weiter fortschreitet“. Wie der individuelle Verlauf sein wird, lässt sich jedoch nicht vorhersagen. Allerdings gibt es Möglichkeiten, durch die modernen MS-Therapien und auch durch die eigene Lebensführung sowie Lebenseinstellung Einfluss auf die künftige Entwicklung der MS zu nehmen.

Erhalten Menschen mit Multipler Sklerose keine gezielte Behandlung, so kann sich bei bis zu 80 Prozent von ihnen ihr Gesundheitszustand in den zwanzig Jahren nach Beginn der Erkrankung deutlich verschlechtern. Aus der anfänglichen schubförmig-remittierenden MS (RRMS) kann sich als nächstes Stadium der Krankheit die sekundär progrediente MS (SPMS) entwickeln. Sie führt langfristig zu Behinderungen, die sich nicht mehr zurückbilden. 

"Die Therapie muss zum individuellen Patienten passen"

Das hat eine Studie unter Federführung von Wissenschaftlern der Universität Melbourne ergeben1. Die Studie zeigt aber zugleich, dass sich eine solche Entwicklung durch die modernen MS-Medikamente zumindest zeitlich erheblich hinauszögern - oder möglicherweise verhindern lässt.

Mit modernen Medikamenten die MS zur Ruhe bringen

Die MS wird heutzutage mit sogenannten krankheitsmodifizierenden Arzneimitteln behandelt, also Medikamenten, die den Verlauf der Krankheit positiv beeinflussen und die MS zur Ruhe bringen können. In der Geschichte der MS-Behandlung gilt das Jahr 1993 als Durchbruch, da damals in den USA das erste Beta-Interferon zugelassen wurde, ein Medikament, mit dem erstmals Einfluss auf den Krankheitsprozess genommen werden konnte. In den Folgejahren wurden weitere Wirkstoffe verfügbar, die sich auch auf den Krankheitsprozess auswirken können. Seitdem haben sich die Behandlungsmöglichkeiten erheblich erweitert und den Ärzten steht bei der Behandlung der MS heutzutage eine Reihe verschiedener Medikamente zur Verfügung. Das Spektrum reicht von Wirkstoffen, die regelmäßig gespritzt werden bis hin zu Substanzen, die in Tablettenform eingenommen werden können. Die Medikamente greifen an unterschiedlichen Stellen in den Krankheitsverlauf ein, so dass sich die Behandlung an die jeweilige Krankheitsaktivität individuell anpassen lässt.

Regelmäßige Standortbestimmung und Therapieanpassung

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass nicht jedes Medikament für jeden Patienten und jedes Krankheitsstadium ideal ist. „Die Behandlung muss vielmehr an die individuelle Situation des Patienten angepasst werden“, erklärt Dr. Ries. Es ist zudem auch möglich, dass sich die Behandlungsbedürfnisse im Laufe der Zeit verändern können: „Wir müssen daher in gewissen Zeitabständen immer wieder eine Standortbestimmung vornehmen und überprüfen, ob die gewählte Therapie noch optimal ist oder ob die Behandlung modifiziert werden muss“, sagt der niedergelassene Neurologe.

Im Dialog mit dem Arzt und der MS-Nurse bleiben

Wichtig ist nach seinen Worten ferner, dass man achtsam mit sich umgeht, seinen Körper wahrnimmt und darauf achtet, was einem gut tut. Kommt es zu Veränderungen im Gesundheitszustand, so ist unbedingt der Arzt oder die MS-Nurse darüber zu informieren. So kann es zum Beispiel sein, dass man sich nicht mehr wie gewohnt fühlt, schneller müde und erschöpft ist oder dass ab und an ungewohnte Sensibilitätsstörungen auftreten. Auch wenn man Schwierigkeiten hat, seine Medikamente wie verordnet anzuwenden bzw. einzunehmen, ist ein offenes Wort zum Arzt oder zur Nurse wichtig. Denn infolge der vielen verschiedenen Therapieoptionen gibt es praktisch immer die Möglichkeit, die Behandlung so abzuändern, dass sie sich gut in den Alltag integrieren lässt. „Die MS-Behandlung den Bedürfnissen des Patienten anzupassen, ist für den Therapieerfolg von großer Bedeutung“, so Ries. Arzt und Patient müssen aus seiner Sicht im Dialog bleiben und hinter der Therapieentscheidung stehen, sonst sind Probleme wie zum Beispiel eine mangelnde Therapietreue oder das Auftreten von Nebenwirkungen vorprogrammiert.

Eine positive Lebenseinstellung behalten

Auch die Lebensführung und die allgemeine Lebenseinstellung können nach Dr. Ries für den Krankheitsverlauf bedeutsam sein. Wer positiv in die Zukunft blickt und weiter daran arbeitet, von der MS möglichst unbeeinträchtigt seine Lebensziele zu realisieren, wird langfristig weniger mit Problemen zu kämpfen haben. „Es ist durchaus realistisch, dass wir durch eine positive Lebenseinstellung auch direkt unser Immunsystem günstig beeinflussen können“, betont der Neurologe. Auch das kann sich günstig auf den langfristigen Krankheitsverlauf auswirken.

''Auch mit der MS konsequent seine Lebensziele verfolgen''

Davon abgesehen sind Menschen mit MS gut beraten, wenn sie auf eine gesunde Lebensführung achten. Selbstverständlich sollte man nicht rauchen, auf eine ausgewogene Ernährung und regelmäßige körperliche Aktivität achten und Stress möglichst reduzieren. „Es gibt heutzutage keine grundsätzlichen Einschränkungen mehr durch die MS“, sagt Ries. Es gibt daher auch keinen Grund, sich selbst freiwillig und ohne Not Einschränkungen aufzuerlegen. Das gilt für so wichtige Themen wie die Familienplanung, aber auch für das berufliche Engagement. Dazu erklärt Dr. Ries: „Keinesfalls sollte man vorschnell wichtige Lebensziele aufgeben. Es ist vielmehr sinnvoll, mit seinem Arzt und/oder der MS-Nurse zu beratschlagen, wie diese Lebensziele am besten zu realisieren sind“.

Quelle:
1. Brown JWL et al., JAMA 2019; 321 (2): 175-187

GZDE.MS.19.08.0535