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Vom Rollerfahren, von Mobilität und Kognitionstraining

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Lange Zeit besaß ich in Thailand lediglich ein Fahrrad. Versteht mich nicht falsch, wenn ich „lediglich“ sage – ich habe es geliebt! Gleich nach dem Kauf habe ich es in Gold und Gelb angesprüht, es gehegt und gepflegt – wir waren ein unschlagbares Team.

Ich habe es als meinen Wegbegleiter, aber auch als mein Trainingsgerät angesehen. Damals habe ich nicht wirklich Sport gemacht (außer alle fünf Tage mal ein bisschen Yoga) und war deshalb froh, wenigstens durchs Radfahren ein bisschen Bewegung zu bekommen. In meiner Stadt gibt es außer Auto- und Rollertaxis keine öffentlichen Verkehrsmittel und zu Fuß gehen ist aus diversen Gründen keine supersichere Option, daher war mein Fahrrad für mich auch ein bisschen Freiheit und Mobilität. Ein bisschen, weil ich doch des Öfteren Beinschmerzen habe. Fatigue. Schwindel. Kribbeln. Taubheitsgefühle. Um ganz ehrlich zu sein – vielleicht auch einfach manchmal aus Eigenschuld, weil ich eben einfach kaum Sport gemacht habe.

Ich kann nicht wissen, inwieweit meine schmerzenden Beine der MS geschuldet sind oder meiner eigenen Faulheit, aber das soll hier gerade kein Thema sein. Aus diesen Gründen war aber nun das Fahrradfahren nicht immer ganz so romantisch und vor allem, nachdem ich fünf Monate in Deutschland verbracht habe und die S-Bahn mich herumchauffiert hat, beschloss ich, endlich in einen Roller zu investieren, bevor ich wieder nach Thailand ging und das, obwohl ich noch nie im Leben selbst Roller gefahren bin.

Der Roller
In Thailand angekommen erklärte mir meine Thai-Freundin, die selbst gar keinen Roller fährt, wie ich meinen Roller bedienen sollte. So weit, so gut. So gut, dass ich fast in das Tor der Nachbarn krachte. Nicht, weil sie es mir falsch erklärt hat. Eher, weil ich super Jetlag hatte und wir die Nacht zuvor Party gemacht haben. Zugegeben kein gutes Timing, um Rollerfahren zu üben. Während sie noch kalkulierte, wie viel wir für ein kaputtes Tor hätten zahlen müssen, entwickelte ich langsam, aber sicher eine Angst vorm Rollerfahren. Ich kämpfe eh schon mit Ängsten, da macht die eine mehr oder weniger den Kohl auch nicht mehr fett, was?

Also ließ ich den Roller Roller sein und schwang mich wieder auf mein Fahrrad. Allerdings merkte ich immer mehr, wie a) unfit und b) immobil ich durch meine eigene Faulheit und durch die MS war. Außerdem hatte ich eine panische Angst vor den vielen Straßenhunden entwickelt, die hier frei herumlaufen und ziemlich unberechenbar sind. Ich fühlte mich also weder sicher noch mobil auf meinem Fahrrad. Blöd nur, dass es mir mit meinem Roller auch so ging. Ich hatte zwischendurch eine Rollerfahrstunde bei einer anderen Freundin von mir genommen. Geholfen, meine Angst zu besiegen, hat es aber nicht wirklich.

Der Wendepunkt
Höhepunkt meiner Frustration und zugleich Wendepunkt der Geschichte war, als ich den Minihügel zum Einkaufscenter hier hochfuhr – meine Beine taten unfassbar weh, ich habe mich unfit, immobil sowie auch krank gefühlt und realisierte, dass ich unbedingt Rollerfahren lernen musste, um mobil sein zu können, egal wie ich mich grad fühlte. Bei diesem Gedanken musste ich plötzlich an einen Rollstuhl denken. Im Rahmen meiner MS-Karriere habe ich noch nie Gehhilfen gebraucht oder in einem Rollstuhl gesessen, nur einmal nach einer Operation wegen einer Nach-Anästhesie-in-Ohnmacht-fallen-und-deshalb-nicht-laufen-können-Situation.

Deshalb möchte ich an dieser Stelle betonen, dass ich mit den folgenden Sätzen niemanden angreifen oder verletzen möchte und dass mir bewusst ist, dass ein Roller nicht mit einem Rollstuhl oder einer Gehhilfe zu vergleichen ist. Das möchte und mache ich hier auch gar nicht, wirklich! Mir geht es hier nur um die innere Einstellung und wie man die Dinge betrachtet bzw. ihnen begegnet. Ich hoffe, ihr versteht, was ich meine!

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Die Mobilität
Seit der Diagnose habe ich über die Jahre hinweg immer wieder über Rollstühle und Gehhilfen nachgedacht. Ich dachte daran, dass sie Gegenstände sind, vor denen viele Menschen Angst haben, obwohl die Gegenstände an sich in meinen Augen gar nicht das Problem sind, sondern eher die Problemlösung – die Gehhilfen machen mobil. So wie ein Roller mich mobil machen wird. Bumm! Da war er – mein Wendepunkt! Indem ich den Roller als Hilfsmittel, als Problemlösung sah, verlor ich meine Angst davor. Gehöriger Respekt davor blieb, aber die Angst war verschwunden. Ein paar Tage später hatte ich meine nächste Trainingsstunde mit meiner Freundin und siehe da – ich fuhr gleich auf dem Highway (so was wie eine Autobahn) bis runter zur Grenze zu Burma (ca. acht Kilometer) – wir waren beide erstaunt von diesem schnellen Prozess. Was die innere Einstellung nicht alles ausmachen kann, nicht wahr?

Das Kognitionstraining
Ich hatte ganz am Anfang totale Schwierigkeiten mit dem Gasgeben. Ich wollte immer in die falsche Richtung drehen. Außerdem musste ich mich generell erst einmal an die neuen Abläufe gewöhnen und sie abspeichern. Das erforderte ganz schön viel Aufmerksamkeit und Gehirnhälftenarbeit: linke Hand festhalten, linker Fuß Gänge schalten, rechte Hand Gas geben und bremsen, rechter Fuß bremsen. Ganz schön viel auf einmal. Dazu kommt dann noch der Verkehr in Thailand. Jeder fährt irgendwie, wie er will und oftmals frage ich mich, ob die Person überhaupt einen Führerschein besitzt. Rollerfahrer schlängeln sich zwischen den Autos und aus Seitenstraßen hindurch, ohne dass auf die anderen Verkehrsteilnehmer geachtet wird. Autofahrer sind da auch nicht viel besser. Daher erfordert es ein hohes Maß an Aufmerksamkeit, hier Roller zu fahren. Ich will mir gar nicht vorstellen, wie stressig das in Bangkok sein muss, haha! In Thailand ist übrigens Linksverkehr, daher ist es für mich jedes Mal ein Umdenken, wenn ich wieder in Deutschland bin und das Auto meiner Eltern fahre – in meinem Kopf fahre ich immer auf der linken Seite! Gott sei Dank bin ich aber in der Realität bislang stets auf der richtigen Seite gefahren. Ich frage mich auch immer vorher – egal ob mit Roller oder Auto –, ob ich körperlich in der Lage bin, das Fahrzeug zu bedienen. Gerade bei kognitiven Einschränkungen wie Konzentrationsstörungen wäge ich immer gut ab, ob ich unbedingt jetzt losfahren sollte oder lieber nicht.

Die Challenge
Wo wir gerade von kognitiven Einschränkungen sprechen – ich wollte euch noch etwas erzählen! Wie ihr vielleicht bereits wisst, machen mir meine kognitiven Einschränkungen am meisten Sorgen. Daher möchte ich dieses Jahr genau an diesen arbeiten und sehen, inwieweit ich meine kognitiven Fähigkeiten durch gezieltes Training verbessern kann. Das Ganze soll im Rahmen einer Challenge passieren, die ich mit der Kamera für uns festhalten werde. Mehrere Wochen lang möchte ich die Übungen, die ihr auf dem YouTube-Kanal von MS persönlich findet, ausprobieren und am Ende dann evaluieren, wie sich meine kognitiven Fähigkeiten – hoffentlich zum Positiven – verändert haben. Ich habe so etwas noch nie gemacht und bin deshalb schon mega gespannt, wie und ob das Ganze so funktioniert, wie ich mir das vorstelle. Ich halte euch auf jeden Fall auf dem Laufenden!

Habt noch einen schönen Tag!
Eure Lara

Multiple Sklerose Blogger Lara Sonnenuntergang Thailand

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