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Als mein Körper beschloss, sich selbst anzugreifen

Neulich habe ich ein altes Video angeschaut, in dem ich MS erklärt habe. Angefangen habe ich mit den Worten: „Ich sage immer, an irgendeinem bestimmten Tag hat mein Körper einfach entschieden, sich selber anzugreifen, was ich ja persönlich für ziemlich dumm halte, aber gut. Ist dann halt so.“
Da musste ich erstmal nachdenken. Ich hatte nämlich total vergessen, dass ich das immer gesagt habe, haha! Das Video ist vom 08.01.2017 und gefühlt habe ich das so lange auch schon nicht mehr gesagt. Natürlich sind diese Worte nicht falsch, sie stimmen nach wie vor noch, aber irgendwie passen sie nicht mehr zu mir und meiner Einstellung. Irgendwie klingt das mittlerweile so für mich, als ob mein Körper der Teufel in Person wäre und mich nach und nach zerstören würde. Irgendwie lässt diese Beschreibung gar keinen Raum für all die positiven Aspekte, die meine MS in den mittlerweile drei Jahren seit der Diagnose mit sich gebracht hat. Damit möchte ich auf keinen Fall die MS hochloben, aber ganz nüchtern betrachtet hat sie mir doch so viel mehr Gutes als Negatives in mein Leben gebracht.
Doch wie würde ich die MS beschreiben oder erklären?
Nun, zu allererst einmal: Ich bin kein/e Arzt/Ärztin, Krankenpflegerin oder Sonstiges, ich bin einfach Lara. Wenn ihr also medizinische Fragen habt, wendet euch bitte unbedingt an das medizinische Fachpersonal eures Vertrauens – nein, damit meine ich nicht Dr. Google!?
Als ich damals untersucht wurde und im Krankenhaus lag, war meine beste Freundin an meiner Seite. Ja genau, das Medizinerkind und damals noch selbst Medizinstudentin. Sie hat es mir damals so erklärt:
„Also, es gibt da diese T-Helferzellen …“ Ich fiel ihr ins Wort: „Ach ja, von denen hat uns unsere Biologielehrerin in der 10. Klasse mal erzählt!“ „Ja, genau die! Also, die sind eigentlich da, um Viren und Bakterien zu bekämpfen. Die sind bei dir falsch programmiert. Die greifen die Myelinschicht an …“ Ich stutzte. „Was ist denn die Myelinschicht?“, fragte ich sie verwundert. „Die Myelinschicht ist die Ummantelung des Weiterleitungssystems des zentralen Nervensystems. Also quasi wie ein Mantel, der die Nervenimpulse schützt, die vom zentralen Nervensystem weitergeleitet werden, zum Beispiel zu deinen Armen und Beinen. Die T-Helferzellen greifen diese Schicht, diesen Mantel an und dann können die Nervenimpulse nicht mehr richtig weitergeleitet werden. Das führt dann zu verschiedenen Symptomen.“ „Wie zum Beispiel, dass mein Kopf so gezuckt hat, als ich Kaffee trinken wollte?“, fragte ich sie. „Genau.“
Ich habe mir das dann in etwa so vorgestellt, dass die T-Helferzellen Regentropfen sind, die meine Nervenimpulse nass machen wollen und die Myelinschicht der Regenmantel ist, der die Nervenimpulse schützen will.

Doch wie das oft so ist, der Mantel hält nicht dicht und am Ende wirste doch nass.

Schwieriger wird es dann, wenn ich meine Symptome beschreiben will. Normalerweise zähle ich sie einfach auf, was immer ein bisschen dauert, und vergesse dann doch die Hälfte. Manchmal kann ich auch gar nicht sagen, ob ein Kribbeln in den Beinen durch meine MS ausgelöst wird oder einen ganz anderen Ursprung hat.
Ich frage mich dann auch, ob es so wichtig ist, verzweifelt nach dem Ursprung zu suchen oder lieber das große Ganze zu betrachten. Mit dem großen Ganzen meine ich, dass ich mich nicht nur auf die Linderung oder Verbesserung meiner MS-Symptome fokussieren möchte, sondern auf die ganzheitliche Gesundheit meiner Person. Dazu zähle ich die körperliche, mentale und seelische Balance, Gesundheit und Ausgeglichenheit. Um gesund zu sein, muss ich mich doch im Ganzen gut fühlen, nicht nur körperlich. Leider wird dieser ganzheitliche Aspekt oft außer Acht gelassen und man fokussiert sich zu stark darauf, körperliche Symptome zu lindern. Vielleicht, weil es einfacher ist, ein Pflaster auf ein aufgeschrammtes Knie zu kleben als eines über eine zerbrochene Seele.

Doch was ist überhaupt „ganzheitlich gesund“, was bedeutet „gut“ für mich?
Ich glaube, das sind Dinge, die jeder für sich selbst definieren muss. Dies ist ein – meines Erachtens nach – nie endender Prozess, da man sich immer weiter entwickelt im Laufe des Lebens. Ich habe schon immer gesagt, dass ich „gut“ mit meiner MS klarkomme. Rückblickend würde ich es natürlich heute anders definieren, als ich es noch vor einem Jahr beschrieben habe. Damals habe ich mich noch sehr auf meinen Körper fokussiert, meinen Körperteilen liebe Worte zugesprochen, doch was ist mit meiner Seele, meinem Geist?
Was bedeutet „Selbstliebe“ heute für mich?
Es bedeutet für mich, dass ich immer mehr lerne, auf meinen Körper zu hören. Dass ich darauf achte, dass ich seelisch ausgeglichen bin. Nicht zu streng mit mir bin oder mich gar selbst bestrafe. Mir Zeit für mich zu nehmen, in mich reinzuhorchen. Liebevoll mit mir selbst umgehe. Meinen Körper nicht als Feind zu sehen, sondern als meinen engsten Vertrauten. Meinen Geist als mein wichtigstes Hab und Gut. Meine Seele als das wertvollste Geschenk, welches ich in mir trage. Verrückt, dass ich erst eine MS-Diagnose brauchte, um diesen Prozess in Gang zu setzen. Umso dankbarer bin ich, dass dieser Prozess Dimensionen annimmt, die ich früher nie sehen konnte. Ich bin so gespannt, wohin mich meine Reise noch führen wird und neugierig auf die Dinge, die in mein Leben treten werden. Bestimmt wird sich noch öfter ein Regenschauer über mich ergießen, das ist mir bewusst. Früher hätte ich mich sicherlich nach einem Regenschirm umgeschaut, zukünftig werde ich aber lieber im Regen tanzen?

GZDE.MS.18.06.0428
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