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Warum Zeitdruck mit MS (doch) nicht sein muss
Machen wir es kurz, ich habe keine Zeit! Oder?
Letztens versuchte ich, mit einer anderen Mutter einen Termin zu finden, an dem wir unsere zweijährigen Kinder zum Spielen verabreden könnten. Dafür öffnete ich meinen Handykalender. Die andere Mutter warf einen kurzen Blick darauf: „Hammer!“ Ich so: „Was denn?“ Sie: „Das sind aber viele Termine!“ Das öffnete mir kurz die Augen, denn für mich ist es ganz normal, dass die Termine im virtuellen Kalender nebeneinander stehen, weil sie sonst gar nicht alle in den einen Tag passen würden.
Ja, ich habe durch meine Solo-Selbstständigkeit, ein Kita-Kind und einen Erstklässler – ach ja, und den Hund – wirklich ausgefüllte Tage. Freizeit, passive Erholung oder Ähnliches gibt es da eigentlich gar nicht. Seitdem vor ziemlich genau zwei Jahren auch noch die MS dazukam, die zeitintensive chronische Erkrankung, ist es noch schlimmer geworden. Denn nun kommen zu den Deadlines, den Kundenterminen, den Kinderkrankheiten, den Kita-Festen, Schulveranstaltungen und Gassi-Treffs auch noch Termine beim Neurologen, Radiologen, bei weiteren Fachärzten und der Apotheke dazu.
Es ist merkwürdig. Es heißt von allen Seiten, Stress sei mit das Schlimmste, dem man sich als MS-Patient*in aussetzen kann, und es würde unter Stress Schübe hageln, einen nach dem anderen. Doch das kann ich mit/trotz meiner Lebensführung eigentlich gar nicht bestätigen. In meinem Fall ist es so, dass ich in meiner MS-Karriere genau einen Schub hatte: den vor dem Diagnosemarathon. Seitdem ist alles friedlich und die MRTs zeigen – nach einer kurzen hochaktiven Phase zu Beginn – keine Änderungen mehr. Läsion bleibt Läsion.
Natürlich hatte ich eine Zeit, in der ich davon ausging, dass meine Selbstständigkeit jetzt ein schnelles Ende finden müsste, da jemand mit MS in eine Festanstellung gehört. Aber dazu kam es gar nicht, weil einfach ICH nicht dazu kam, mich darum zu kümmern. Und hat das einen Unterschied gemacht? Nein. Natürlich wünsche ich mir nach wie vor, mich ab und zu krankschreiben zu lassen oder einen bezahlten Urlaub zu genießen. Doch das war vor der MS auch nicht anders, wenn ich mal ehrlich bin.
Keine Zeit für die Bucket List
Was allerdings meinen Selfmade-Zeitdruck doch noch etwas ankurbelt, ist dieses latente „Ich muss dies und das und jenes auch noch JETZT SOFORT machen, denn es kann jeden Tag sein, dass ich es nicht mehr kann“. Ich sollte also tunlichst noch heute auswandern, als digitale Nomadin leben, ein Haus kaufen, aufs Land ziehen, einen Halbmarathon laufen, einen Schrebergarten anmieten, einen Master machen, mit dem Reiten wieder anfangen und noch einiges mehr. Denn wie gesagt, schon morgen könnte es zu spät sein. Denn dann kann ich ja nicht mehr laufen und nichts mehr sehen.
Doch zu einem dramatischen Wandel meines Lebensentwurfes ist es bis jetzt tatsächlich gar nicht gekommen. Eigentlich ist es nur meine Grundeinstellung, die sich verändert hat. Es gibt viele ehemalige Aufreger, die sich total relativiert haben. Und es gibt ganz persönliche Ansprüche, die ich wesentlich gelassener und selbstverständlicher durchsetze. Es ist jetzt viel mehr, das ich wage, für mich selbst einzufordern, es fällt mir so viel einfacher, nein zu sagen. Das sind Errungenschaften, die die Richtung meines eigentlich gar nicht veränderten Lebens doch so sehr beeinflusst haben. Das sieht man von außen erstmal nicht, das ist wie mit der MS … Doch wer genau hinguckt – und mich vielleicht auch „vorher“ kannte –, bemerkt, dass da jetzt etwas anders ist.
Denn dieses Gefühl, „keine Zeit mehr“ zu haben, wirkt sich für mich jetzt auf direkt veränderbare, keine große Aufmerksamkeit auf sich ziehende Handlungen aus. Was ich unmittelbar beeinflussen kann, habe ich angefasst. Sei es die Gestaltung meiner Arbeit, deren Modalitäten oder meine Haltung zum Leben. Genau weil ich nur diese eine, nicht abschätzbare und vielleicht endliche Zeit habe, in der es mir gut geht, gestalte ich genau diese so gut wie möglich für mich.
GZDE.MS.19.02.0108
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