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Der Neurologenbesuch

MS Krankheit mit 1000 Gesichtern

Das Wort „Mythos“ hat so was Mystisches, Sagenhaftes, Traumhaftes.

Für MS-Patienten hat das Wort „Mythos“ eher etwas Erschreckendes, Schockierendes, Albtraumhaftes. Mythen zum Thema „Multiple Sklerose“ bedeuten für einen Menschen, der gerade erfahren hat, dass er diese Krankheit hat, in einen wahren Albtraum zu stürzen. Das vermeintlich gutmeinende Umfeld spart nicht mit seinem Halbwissen, oder eher Nichtwissen, zum Thema. Ich habe das einmal sehr eindrucksvoll erlebt, als sich zwei Damen zum Thema in der Praxis meines Neurologen unterhielten:

Neurologenbesuch
Kurz nach der Diagnose MS saß ich beim Neurologen im Wartezimmer, frisch versorgt mit allen möglichen Informationen, die das Internet und manchmal auch ein Arzt so hergaben zum Thema „Olle Tante MS“.

Kurz darauf nahmen zwei ältere Damen neben mir Platz, die sich angeregt unterhielten.

Ihr Gespräch drehte sich um den Ozzy-Osbourne-Spross, bei dem ebenfalls MS diagnostiziert wurde. Die Medien hatten das zu der Zeit gerade mächtig aufgebauscht, zumal Mutter Sharon Osbourne ja auch sehr passend in einer Talkshow zum Thema „MS und ihr Sohn“ in Tränen ausgebrochen ist.

Die beiden älteren Damen hatten sehr viel Mitleid mit dem Osbourne-Sohn, der ja nun so unheilbar und unrettbar erkrankt ist.

  • „Und die Mutter erst … die kann einem ja sooo leidtun! Ich würde ja keinen Tag mehr ohne Kummer und Sorgen verbringen“, meinte die eine.

Ich bekam einen Kloß im Hals.

  • „Ja, und dann sitzt der bald im Rollstuhl und dann müssen die den füttern. Alleine geht dann nix mehr!“, wusste die andere.

Meine Augen füllten sich mit Tränen.

  • „Und aufs Klo kannste dann auch nicht mehr selber. Das ist schon ganz doof.“

Es war unglaublich, was die beiden Damen so an Wissen besaßen! Ich bekam Komplexe ob meiner Unwissenheit und ich wollte seelischen Beistand ob der schlimmen Zeiten, die mich erwarteten! Jetzt!

  • „Im Kopf sind die ja auch irgendwann nicht mehr ganz richtig“, meinte die eine und untermalte ihre Weisheit mit einem bedächtigen Kopfnicken.
  • „Jaaaa, wirklich schlimm so was“, war die andere voll des Mitgefühls.

Paff, das hatte besser gesessen als ein geschossener Elfmeter von Thomas Müller in die linke, obere Torecke!

Ich tat mir in dem Moment selber so was von leid und ich hatte vor Mitgefühl mit mir selber ganz vergessen, was ich eigentlich von meinem Arzt wollte.

Hässliche, absurde Gedanken rasten mir durchs Hirn: Was würde passieren, wenn ich der einen vors Schienbein trat und der anderen ihre dämliche Mütze, die sie trug, über die Löffel zog?

Da fiel mein Blick auf einen jungen Mann, der dem Gespräch offenbar auch gefolgt war. Er saß da auf seinem Stuhl und hatte Mühe, nicht vom selben zu fallen. Zum einen hatte er wirklich heftige Koordinationsschwierigkeiten, woraus ich schloss, dass er wohl auch MS hatte, und zum anderen, weil er sich halb totlachte über den Blödsinn, den die beiden Damen da zum Besten gaben.

Das war der Moment, in dem ich beschloss, das alles mit Humor zu nehmen. Ich möchte dem jungen Mann von Herzen danken, der mir nicht nur den Tag, sondern auch meine gesamte Einstellung innerhalb eines Augenblicks gerettet und verändert hat, bevor ich mich im Land Absurdistan hoffnungslos verlaufen konnte!

Lasst euch nichts erzählen, macht euch selber schlau!
Multiple Sklerose heißt nicht umsonst die Krankheit der tausend Gesichter!

MS, tausend Fragen

Fragt eurem Neurologen ein Loch in den Bauch, kauft euch ein Buch, schaut im Internet, schaut aber genau und lasst euch nicht verunsichern! Manchen Betroffenen hilft ein Austausch in einer Selbsthilfegruppe oder in einem Internetforum. Auch hier ist allerdings Vorsicht geboten, glaubt nicht einfach alles, was dort steht! Dort schreiben Laien und sie berichten über sich und ihre MS. Bei euch kann das alles ganz anders sein!

Die Fülle der Informationen droht einen zu erschlagen, lasst euch auch hier nicht beirren, lest, bleibt kritisch und fragt bei eurem Arzt nach, wenn ihr unsicher seid.

GZDE.MS.19.03.0182