Gekonnt kommunizieren - Zum Umgang mit blöden Sprüchen

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Zwei Personen vor einer Wand, an der Sprechblasen abgebildet sind.

Sicher hast Du im Zusammenhang mit Deiner Krankheit schon Etliches gehört. Interessierte Fragen, neugieriges Nachhaken, unsichere Kommentare und bestimmt auch richtig blöde Sprüche. Manches ist vielleicht nicht böse gemeint, trotzdem sind viele Äußerungen verletzend. Mit Ratschlägen wie: „Da musst Du drüberstehen!“, tun diese Sprüche nicht weniger weh. Deshalb gilt: Du musst da nicht drüberstehen und Du bist ganz sicher nicht daran schuld, wenn Du verletzt wirst.

Was steckt hinter dummen Sprüchen?

Die Motivation für verletzende Kommentare kann ganz unterschiedlich sein. Gründe, die dahinterstecken können, sind zum Beispiel:

  • Unwissenheit

  • Unsicherheit

  • Ungerechtigkeitsempfinden

Unwissenheit

Hand auf ’s Herz, wer von Euch konnte mit Hintergrundwissen zum Thema MS vor seiner Erkrankung aufwarten? „Du hast MS? Du sitzt ja gar nicht im Rollstuhl!“ Natürlich finden viele diese Aussage verletzend. Sollst Du Dich jetzt verteidigen, weil Du laufen kannst? Betrachten wir den Spruch jedoch vor dem Hintergrund der Unwissenheit, verliert er an Schärfe. Der*die Sender*in versucht das, was er*sie über die Krankheit weiß, mit Dir in Verbindung zu bringen. Mehr nicht.

Mein Tipp

Spann Dein Sachohr auf. Schauen wir uns den Spruch nach dem Vier-Ohren-Modell von Schulz von Thun an, erkennen wir schnell, wie unterschiedlicher bei uns wirken kann. Auf der Beziehungsebene versteht man den Spruch schnell als Selbstoffenbarung der*des Senderin*Senders und Du denkst: „Der glaubt wohl, der kennt sich besser mit meiner Erkrankung aus!“ Auf der Appellebene kommt an: „Kann ja wohl nicht so schlimm sein. Reiß Dich mal zusammen!“ Das Ergebnis: Du bist gekränkt, fühlst Dich nicht ernst genommen und denkst vielleicht, Du musst Dich verteidigen. Was passiert, wenn Du Dir nur den Sachaspekt anhörst? Wie sähe die Antwort dann aus? „Du hast MS? Du sitzt ja gar nicht im Rollstuhl!“ „Ja, richtig, ich habe MS. Und auch richtig: Ich sitze nicht im Rollstuhl, zum Glück.“ Damit bleibst Du souverän in der Sache und bei Dir. Du kannst mit dem Sachohrverständnis auch humorvoll antworten. „Das hast Du beides gut erkannt!“ Oder wie wäre es mit einer Gegenfrage? „Stimmt. Warum fragst Du? Ich erklär Dir gerne, was mit mir los ist.“ Du wirst sehen, daraus können sich interessante Gespräche entwickeln, und Du wirst erkennen, dass die Triebfeder solcher Sprüche oft Neugier ist und keine Boshaftigkeit.

Unsicherheit

„Bist Du jetzt ansteckend?“ Na toll, ich bin krank und der macht sich über sich Sorgen. „Kind, von wem hast Du das? Von uns jedenfalls nicht!“ Wie egoistisch. Ich bin krank und meine Eltern wehren die Verantwortung ab. Als ob ich denen die Schuld geben würde … Beides hört sich ungerecht an. Aber der Umgang mit einer chronischen Erkrankung macht anfangs natürlich auch unsicher und Unsicherheit drückt sich leider oft uncharmant aus.

Mein Tipp

Unsicherheit sagt meist mehr über den*die Sender*in als über den*die Empfänger*in. Und genau hier kannst Du ansetzen. Wechsel einfach die Perspektive: Was sagen die Sender*innen damit über sich aus? „Bist Du jetzt ansteckend?“

Der Selbstoffenbarungsaspekt ist klar, da macht sich jemand um seine Gesundheit Sorgen. In anderen Zusammenhängen hätten wir Verständnis für solche Ängste. Da es aber um Deine Erkrankung geht, hältst Du das zu Recht für taktlos. Nun lass uns abschätzen, wem Du eine Antwort geben möchtest.

  • Du möchtest jemandem antworten, den Du eigentlich magst? Dann beantworte ihr*ihm ihre*seine Selbstoffenbarung. „Nein, da musst Du Dir keine Sorgen machen.“
  • Findest Du es dennoch zu taktlos? Dann sage es ihr*ihm: „Ich merke, dass Du Dir hier Sorgen machst, das kommt in meiner Situation aber schräg rüber. Und nein, MS ist nicht ansteckend.“
  • Du möchtest kontern? Dann nutze das Stilmittel der Übertreibung. „Ja, das war nach der Diagnose auch meine größte Sorge, ob ich ausgerechnet Dich damit anstecken kann.“
     

Der elterliche Spruch „Kind, von wem hast Du das? Von uns jedenfalls nicht!“ spricht ebenfalls aus der Selbstoffenbarung. Hier sucht vielleicht jemand die Schuld bei sich. Haben wir unserem Kind diese Krankheit vererbt? Dazu kommt Unwissenheit. Kombiniere also Dein Sachohr mit der Antwort auf die Selbstoffenbarung. „Nein, da trifft niemanden die Schuld. Was wollt Ihr über die Erkrankung wissen? Ich fände es gut, wenn wir gemeinsam damit umgehen lernen.“

Kennst Du das Vier-Seiten-Modell der Kommunikation von Schulz von Thun?

Dieses Modell besagt, dass man eine Aussage oder Frage (wie zum Beispiel „Wo kommst Du jetzt her?“) unter vier verschiedenen Aspekten hören kann.

  • Das Sachohr hört die Frage nach dem Ort.
    Antwort: „Ich war im Park spazieren.“

  • Das Beziehungsohr hört einen Vorwurf.
    Antwort: „Ich war doch nur ein paar Minuten weg.“

  • Das Appellohr hört eine Handlungsanweisung, zum Beispiel: „Sag Bescheid, bevor Du weggehst!“
    Antwort: „Muss ich Dich jetzt fragen, wenn ich mal an die frische Luft will?“

  • Das Selbstoffenbarungsohr hört eine Kundgabe, zum Beispiel: „Ich mache mir Sorgen, wenn ich nicht weiß, wo Du bist.“
    Antwort: „Mach Dir keine Sorgen, ich war nur spazieren, mir geht’s gut.“

 

Quelle: Friedemann Schulz von Thun, Miteinander reden.

Ungerechtigkeit

Schon mal einen blöden Spruch von den Kolleg*innen gehört? „Schon wieder krankgeschrieben? Wäre es nicht besser, wenn Du kündigst?“ Wie gemein, es fühlt sich an, als ob man abgeschoben werden soll. Dahinter steckt meist die sogenannte Statuswippe. Wir finden es gut, wenn wir im Gleichgewicht mit den anderen sitzen. Weniger gefällt es uns, wenn wir auf dieser Wippe unten sitzen und der andere auf uns herabblickt.

"Um die Statuswippe in Balance zu halten, möchten wir blöde Sprüche oft nicht einfach schlucken."

Bislang warst Du mit Deinen Kolleg*innen auf gleicher Ebene, durch Deine Diagnose fühlen sich einige vielleicht übervorteilt. Aus Deiner Sicht ist das sicher schwer nachvollziehbar. Schauen wir uns deshalb die andere Seite mal genauer an: Meine Kollegin hat MS. Eine chronische Erkrankung, so heißt es. Ich finde, die sieht aus wie immer. Und jetzt ist sie schon wieder krankgeschrieben und ich darf für sie mitschuften. Wie ungerecht!

Mein Tipp

Steig von der Statuswippe ab und stell Dich daneben. Zum Beispiel mit der Technik Deine Sicht/meine Sicht: „Aus Deiner Sicht mag eine Kündigung ein guter Schritt sein. Aus meiner nicht.“ Wenn Du am Satzende mit der Stimme runtergehst, markierst Du damit, dass das Gespräch für Dich beendet ist.

Du kannst auch auf der Metaebene antworten. Du gehst also nicht auf den Inhalt ein, sondern beispielsweise auf das Verhalten. „Ich glaube nicht, dass ich mit Dir solche Punkte besprechen sollte.“

Oder versuche es mal mit den drei „W“s: Wahrnehmung – Wirkung – Wunsch.

  • Wahrnehmung: „Ich merke, dass Du hier ein Problem mit mir und meiner Erkrankung hast. Meine Krankschreibung vielleicht auch für ungerecht hältst, wegen der Mehrarbeit.“
  • Wirkung: „Allerdings kommt es für mich auch sehr unkollegial rüber, wenn Du mir das vorhältst, mir zur Kündigung rätst.“
  • Wunsch: „Also bitte ich Dich, mir meine Erkrankung nicht zum Vorwurf zu machen.“
     

Hast Du Dich in den beschriebenen Situationen wiedergefunden? Ich hoffe, dass der eine oder andere Tipp Dich in Deinem Alltag unterstützen kann.

Cäcilie Skorupinski

ZUR PERSON:
Cäcilie Skorupinski ist Diplom-Sprechwissenschaftlerin und seit 1995 in der Wirtschaftsrhetorik freiberuflich tätig – als Coach, Moderatorin und Dozentin. Sie bietet individuelles Coaching und Seminare u.a. auch zu den Schwerpunkten:  Arzt-Patienten- Kommunikation, Kommunikation mit dementen Gesprächspartnern und Kommunikationsstrategien in der MS-Therapie.

MAT-DE-2301490-2.0-05/2023