Sabine

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Mein Kind hat MS: Erfahrungsbericht einer Mutter

Dieser eine Tag im November 2009 wird mir für immer in Erinnerung bleiben. Es ist der Tag, an dem sich unser Leben und insbesondere das unserer Tochter grundlegend änderte. Beziehungsweise änderte sich in ihrem Leben zunächst gar nicht so viel. Es war eher das Problem von uns Eltern, wie wir mit Maikes Diagnose „MS“ umgehen würden.

Aber zurück zum Anfang der Geschichte.

Diagnose: von ersten Symptomen bis zur Suche nach Informationen

Wir sind eine fünfköpfige Familie, zu der auch ein Hund gehört. Maike und ihre beiden älteren Brüder sind – so wie wir Eltern auch – sportlich sehr aktiv. Maike spielt seit ihrem sechsten Lebensjahr aktiv Basketball und Fußball. Sie nimmt an Schüler-Wettkampfläufen teil. Im Winter fahren wir Ski, im Sommer wandern wir oder sind am Meer.

An jenem Sonntag im November fällt auf, dass Maike beim Schreiben der Hausaufgaben äußert, dass ihr der Stift aus der Hand fällt.

Beim Seilspringen klagt sie, das Seil wäre zu kurz, es würde ihr ständig aus der Hand rutschen.

Beim Essen und Zähneputzen hat sie Schwierigkeiten, ihre rechte Hand zu koordinieren.

Nach einem Kontakt mit meinem Bruder, der Arzt ist, wird klar, dass Handlungsbedarf besteht. Plötzlich habe ich das Gefühl, dass eine dunkle Wolke am Horizont aufzieht. Was ist da los?

Am nächsten Morgen hat sich der Zustand von Maikes Hand weiter verschlechtert. Es folgt ein Arztbesuch mit MRT und anschließender Einweisung in das Kinderkrankenhaus. Eine Diagnose bekommen wir es zu dem Zeitpunkt nicht. Es gibt lediglich vage Andeutungen, es ist von Autoimmunkrankheit oder Tumorerkrankung die Rede. 

Erst am Dienstagabend erhalten wir nach dem Ergebnis einer Rückenmarkspunktion die Diagnose „Multiple Sklerose“. Ich weiß es noch genau: Wir stehen bei Maike am Bett (sie musste dort aufgrund der Rückenmarkspunktion noch stillliegen) und bekommen medizinische Fachausdrücke wie z. B. Enzephalitis und Multiple Sklerose mitgeteilt.

In dem Augenblick gehen mir alle möglichen Gedanken durch den Kopf. Einerseits bin ich sehr erleichtert, dass es keine Tumorerkrankung ist. Also nichts Lebensbedrohliches! Andererseits denke ich bei Multipler Sklerose sofort an Rollstuhl, Bewegungseinschränkungen und folgende Fragen:

Wird die Krankheit für immer bleiben?

Wird Maike immer Medikamente nehmen müssen?

Wird sie ihren geliebten Sport weiter betreiben können?

Wie erklären wir unserem Kind überhaupt, was eine MS ist?

All diese Fragen werden leider im Krankenhaus vonseiten der Ärzte nicht mit unserer Tochter besprochen. Maike erhält in den nächsten Tagen eine Stoßtherapie, mit der sich die Symptome deutlich verbessern und letztendlich ganz verschwinden. Die oben genannten Fragen beschäftigen mich aber weiterhin sehr stark, zumal auch wir von ärztlicher Seite darauf nur wenig Antworten bekommen. Zusätzlich erschwerend ist die Erkenntnis, dass eine kindliche MS nur sehr selten vorkommt und aus diesem Grund so gut wie gar kein Informationsmaterial darüber vorhanden ist.

Alltag: Das Leben geht weiter

Maike geht es nach der Krankenhausentlassung deutlich besser, sie ist fröhlich und unbeschwert wie zuvor. Sie so zu sehen hat uns in den folgenden Tagen und Wochen viel Kraft gegeben. Die Krankheit war erst mal „verschwunden“. Trotzdem bleibt eine Ungewissheit und Ängstlichkeit. Was ist, wenn ein neuer Schub kommt? Ständig versuche ich, im Internet zu dem Thema „MS bei Kindern“ Informationsmaterial zu bekommen.

Schließlich stoße ich auf eine Seite des Kinder-MS-Zentrums in Göttingen. Nach telefonischem Kontakt schickt man uns einige wissenschaftliche Aufsätze, die teilweise erleichternd waren, andererseits aber auch wieder deutlich machen, dass es zu dem Thema noch wenig Erfahrungswerte gibt.

Das Jahr 2014: Maikes Umgang mit der Krankheit

Unser Alltag geht weiter und Maike kann auch wieder unbeschwert ihren Hobbys nachgehen. Lediglich die regelmäßigen MRT-Untersuchungen und Arztbesuche bringen uns in Erinnerung, dass Maike eine chronische Erkrankung hat.

Dies bleibt lange Zeit so, bis zum Jahr 2014. Maike entwickelt diffuse Ängste und Panikattacken. Außerdem zeigen sich im nächsten MRT neue Entzündungsherde. Ein weiterer Krankenhausaufenthalt ergibt, dass Maike von nun an ein Medikament gegen die MS nehmen muss.

Maike ist erst jetzt in einem Alter, in dem sie die Krankheit realisiert und verarbeiten muss. Dies ist auch für uns als Eltern eine große Herausforderung. Durch die medikamentöse Behandlung und eine psychotherapeutische Begleitung ist auch für uns die MS jetzt wieder sehr präsent. Wieder ergeben sich neue Fragen und auch Ängste.

Besonders in dieser Zeit benötigt Maike viel Unterstützung und Hilfe durch ihre Familie. Bei Panikattacken lenken wir sie ab und versuchen sie zu beruhigen. Für uns ist es zu Beginn aber auch hier eine Herausforderung, mit Maikes „unbegründeten“ Ängsten umzugehen. Durch Gespräche mit dem Psychologen können wir jedoch gemeinsame Strategien finden, um Maike zu unterstützen.

Heute: ruhige Phase mit positivem Blick nach vorne

Mittlerweile ist Maike medikamentös gut eingestellt und die MS hat sich nach einem turbulenten Jahr 2019 mit vielen, vielen Schüben beruhigt. Auch ihre Ängste hat sie gut bewältigt. Einschränkungen hat Maike keine. Natürlich gibt es Phasen, in denen nicht alles glatt läuft, aber dann unterstützen wir sie weiterhin.

Durch die weitere MS-Forschung und die medizinische Weiterentwicklung sind wir positiv für die Zukunft gestimmt. Dennoch war die frühe Diagnose eine sehr große Herausforderung, welche wir als Familie dennoch gut bewältigen konnten.

MAT-DE-2106241-1.0-01/2022

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