Fatigue - unendlich müde und erschöpft

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unendlich muede und erschoepft

Bei dem Begriff Multiple Sklerose denken die meisten Menschen an motorische Probleme und/oder Gefühlsstörungen. Doch die MS ist weit mehr. Für viele Menschen mit der Erkrankung ist vor allem das Symptom der Fatigue eine große Belastung.

Der Begriff „Fatigue“ kommt aus dem Französischen und heißt übersetzt so viel wie „Müdigkeit“. Er bezeichnet das Gefühl einer massiven, meist unerklärlichen Erschöpfung.1

Menschen, die darunter leiden, fühlen sich ausgelaugt, kraftlos und in ihrer Leistungsfähigkeit massiv eingeschränkt. Sie können ihren Alltag oft kaum mehr bewältigen. Dabei handelt es sich keinesfalls nur um ein vorübergehendes Leistungstief, sondern um eine immer wiederkehrende oder eventuell auch längere Zeit anhaltende erhebliche Einschränkung der bis dato gewohnten Belastbarkeit. Die Betroffenen geben an, bei vergleichsweise geringen geistigen oder körperlichen Anstrengungen, die früher keineswegs als anstrengend erlebt wurden, rasch müde zu werden.

Zündstoff am Arbeitsplatz und in der Familie
Hinzu kommt meist eine Energie- und Antriebslosigkeit bis hin zur Unfähigkeit, sich zu Aktivitäten aufraffen zu können. Das kann Auswirkungen im familiären Umfeld haben, wenn zum Beispiel schon die morgendliche Hygiene schwerfällt, das Staubwischen oder der Abwasch zur Qual wird und die Versorgung der Kinder kaum mehr zu bewältigen ist. Halten die Probleme an, so gibt das nicht selten Anlass zu Streitigkeiten, etwa wenn der Haushalt „vernachlässigt“ wird oder ein abendlicher Kinobesuch nicht mehr zu schaffen ist.

Ebenso schwerwiegend können die Probleme am Arbeitsplatz sein. Wird das Leistungssoll nicht mehr erreicht, so leiden oftmals die Kollegen darunter, die jedoch nicht immer Verständnis für die Situation aufbringen. Auf Dauer sind zudem Schwierigkeiten mit dem Chef vorprogrammiert, wenn man als Arbeitnehmer chronisch überfordert ist und seinen Aufgaben nicht mehr voll gerecht werden kann. Die Fatigue kann damit sogar zur Folge haben, dass ein Arbeitnehmer mit MS eventuell vorzeitig aus dem Arbeitsprozess ausscheiden muss.

„Die Fatigue kann Auswirkungen auf das familiäre Umfeld und auch auf das Berufsleben haben.“

Ob am Arbeitsplatz oder im häuslichen Umfeld: Wenn eine Fatigue vorliegt, bleibt die Lebensqualität meist auf der Strecke. „Dabei ist die Fatigue die häufigste Begleiterscheinung der Multiplen Sklerose und auch der häufigste Grund für eine vorzeitige Berentung“, erläutert Professor Dr. Friedemann Paul von der Berliner Charité Universitätsmedizin.2

Fatigue ist nicht gleich Fatigue
Es gibt verschiedene Formen der Fatigue. Die Erschöpfung kann zum Beispiel insbesondere die kognitiven Fähigkeiten beeinträchtigen und zeigt sich dann meist mit Konzentrationsschwierigkeiten oder Gedächtnisproblemen. Sie kann aber auch eher die körperliche Seite betreffen und macht sich dann vor allem mit Schwierigkeiten bei der Verrichtung von Alltagsaktivitäten oder beim Sport bemerkbar.2

Die Wissenschaftler unterscheiden laut Professor Paul zudem zwischen einer primären und einer sekundären Fatigue. Die primäre Störung geht direkt auf die MS zurück. Die sekundäre Fatigue ist hingegen durch Begleitumstände der Erkrankung bedingt, also zum Beispiel durch einen schlechten Schlaf und/oder motorische Probleme, die das Leben einfach anstrengender machen.3

Auch begleitende Krankheitsbilder wie etwa eine Depression oder Erkrankungen, die einen erholsamen Schlaf verhindern wie das Syndrom der ruhelosen Beine (Restless-Legs-Syndrom) oder die sogenannte Schlaf-Apnoe, bei der es zu Atemaussetzern im Schlaf kommt, können ein Gefühl von Müdigkeit und Erschöpfung verursachen.3

Solche Störungen können im Allgemeinen gut behandelt werden, berichtet der Berliner Neurologe. Mit der Besserung der Grunderkrankung geht in aller Regel dann auch die Fatigue zurück.

Ursachen sind noch unbekannt
Unklar sind bislang die konkreten Ursachen der primären Fatigue. Eine Schädigung der zentralen Nervenbahnen kann mit ein Grund der Erschöpfung sein. Ebenso wird diskutiert, dass eventuell die chronischen Entzündungsprozesse ganz allgemein die Leistungskraft mindern. Wie immer, wenn in der Medizin die Ursachen einer Erkrankung nicht genau bekannt sind, ist es praktisch nicht möglich, das Problem kausal zu beheben. Auch das Phänomen der Fatigue ist deshalb schwierig zu behandeln, wie Professor Paul einräumt. Die Erschöpfung lässt sich in aller Regel nicht völlig kurieren, durchaus aber lindern. Wohlgemeinte Ratschläge, doch einfach einmal auszuschlafen, sind dabei wenig zielführend. Denn das Gefühl der Müdigkeit kann bei der Fatigue nicht einfach „weggeschlafen“ werden, wie oft landläufig gemeint. Zwar gibt es Medikamente wie etwa spezielle Antidepressiva, die bei manchen Patienten die Fatigue lindern, eine Pille, mit der die Erschöpfung „geheilt“ werden kann, gibt es jedoch nicht.

„Das Gefühl der Müdigkeit kann bei der Fatigue nicht einfach „weggeschlafen“ werden.“

Kühlung, Bewegung, vollwertige Ernährung und Ruhepausen
Die Behandlung erfolgt hingegen symptomatisch, wie der Mediziner sagt. Mit anderen Worten wird zunächst versucht, die Probleme zu mindern. So ist bekannt, dass die Fatigue durch Wärme verstärkt werden kann. Umgekehrt sorgt Kühlung oft für Linderung.4

Überhitzte Räume sind somit zu meiden, und an heißen Tagen kann eine Kühlung des Körpers durch Kühlwesten oder der Arme und Beine durch Kühlelemente oder kühle Bäder hilfreich sein.

Während früher Menschen

Während früher Menschen mit Fatigue im Allgemeinen zur Schonung geraten wurde, plädieren Mediziner wie Professor Paul inzwischen für Bewegung und sogar für sportliche Aktivität bei der Fatigue. Es soll kein Leistungssport betrieben werden, wichtig aber ist, dass der Körper in Bewegung kommt. Eine leichte bis mäßige körperliche Beanspruchung – am besten draußen an der frischen Luft – tun Körper und Seele gut. Dabei reicht für den Anfang oft schon ein ausgedehnter Spaziergang, um im wahrsten Sinne des Wortes wieder auf die Beine zu kommen. Das lässt sich steigern zu längeren Wanderungen oder Fahrradtouren, wobei von zentraler Bedeutung ist, dass die körperliche Aktivität regelmäßig erfolgt. Bei Einschränkung der Gehfähigkeit – und ebenso bei schlechtem Wetter oder ganz allgemein – bieten sich Bewegungsübungen an, die zum Beispiel in Form einer „Morgengymnastik“ im Fitness-Studio oder zu Hause in den Tagesablauf integriert werden können.

„Es soll kein Leistungssport betrieben werden, wichtig aber ist, dass der Körper in Bewegung kommt.“

Selbstverständlich ist auch auf eine vollwertige Ernährung zu achten. Denn ein Mangel an Vitaminen, Mineralstoffen und Spurenelementen geht auf Dauer auch bei gesunden Menschen mit Einbußen der Kraft und Vitalität einher. Last but not least ist für Menschen mit MS und Fatigue ein regelmäßiger Wechsel von Aktivität und Ruhe wichtig. Wer sich angestrengt hat, sollte anschließend seinem Körper auch eine Ruhephase gönnen. Nur dann kann dieser seine Kraftreserven wiederaufbauen und regenerieren.

Apropos
Wer sich oft unerklärlich erschöpft sowie energie- und kraftlos fühlt, ist gut beraten, ein „FatigueTagebuch“ zu führen, also genau aufzuschreiben, wann die Probleme auftreten oder wann sie besonders stark sind, ob es spezielle Auslöser für solche Phasen gibt und wie lange diese anhalten. Die Aufzeichnungen sind eine wertvolle Unterstützung des Gesprächs mit dem Arzt. Sie sind außerdem hilfreich bei der Strukturierung des Tages. Eine Vorlage für ein solches Tagebuch findest Du hier.

Die Müdigkeit kann auch andere Ursachen haben, wie zum Beispiel:

Überanstrengung,
ein niedriger Blutdruck,
Schlafstörungen,
eine depressive Phase,
eine Infektionskrankheit,
oder ein Vitaminmangel.

Quellen:

  1. Ponds. fatigue - Französisch-Deutsch Übersetzung | PONS, letzter Zugriff: 07.09.2021
  2. Sehle A et al. Fatigue und kognitive Beeinträchtigungen bei der MS. neuroreha 2014; 06(01): 22–28
  3. Schenk C. Schlaflos – Ein Ratgeber. Schlafmedizin GmbH, Osnabrück, 2012
  4. Deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. Fatigue. www.dmsg.de/multiple-sklerose-infos/ms-behandeln/symptomatische-therapie/fatigue/, letzter Zugriff: 07.09.2021

GZDE.MS.20.01.0025