Ciao Bella
Kaum zu glauben, dass ich auf die rhetorische Frage meines Liebsten, wie sich die Abreise aus Italien denn anfühle, jemals mit einem „Gut, ja, völlig ok“ antworten würde. Doch Ausnahmen machen die Regel. Davon handelt diese Geschichte. Sie handelt von meiner besten Freundin Samira Mousa, einem Ausnahmetalent.
Italien ist mein Lieblingsland. Ich war schon als Kind viel dort. Um eines Tages darauf antworten zu können, welche Gegend denn die schönste sei, nahm ich mir vor, jedes Jahr mindestens einmal nach Italien zu reisen und mir einen noch unbekannten Ort anzusehen. Bisher geht mein Plan nicht auf. Zwar bin ich jedes Jahr dort, nur entscheiden kann ich mich nicht. Jeder Besuch ist hinreißend. Sobald die Heimreise ansteht, werde ich sensibel. Aber so läuft’s. Erst die Arbeit, dann das Vergnügen. Ciao Bella, bis nächstes Jahr.
Erst die Arbeit, dann das Vergnügen
Wie die meisten Menschen habe ich einen Vollzeitjob. Er sieht zyklische Ruhepausen vor, damit meine Leistung ein bestimmtes Niveau beibehält. Ein Kreislauf aus Verausgabung und Erholung, der unhinterfragt bleibt, da die Mehrheit ihn lebt. Entsprechend stand im April ein Osterurlaub an. Meine Reserven waren erschöpft und der Vorschlag Samiras, sich für eine Woche in der Toskana zu treffen, kam gelegen.
Ich kenne Samira seit vierzehn Jahren. Wir teilen Erinnerungen an dasselbe Gymnasium, pubertäre Ordnungsverstöße, post-pubertäre Höhenflüge und eine Freundschaft, in der Blicke genügen. 2013 erhielt Samira eine MS-Diagnose. Ein Jahr später hatte sie sich als Bloggerin mit „Chronisch Fabelhaft“ und als digitale Nomadin etabliert. Sie war dabei, ein Buch zu schreiben, trat ihre Weltreise an. Jetzt, acht Monate später, würde ich sie in Manciano wiedersehen.
Die Arbeit der Zukunft
Eine von vielen Freuden des Lebens mit Samira ist ihr Sinn für Möglichmachung. Samira ist begabt. Sie spricht vier Sprachen, kocht, strickt, baut und musiziert, liest, spielt, teilt und versteht. All das, was der nächsten Idee, der nächsten Unternehmung im Wege stehen könnte, eignet sie sich an. Samira ist patent. Ihre erstaunlichste Fähigkeit liegt allerdings darin, vermeintlichen Ausnahmen Gültigkeit zu verleihen, sie erst als ihre eigene Ordnung, dann als die Ordnung anderer zu etablieren.
In Manciano wurde ich einmal mehr von ihr zum Nachdenken angeregt. Wir verbrachten eine wundervolle Woche miteinander. Eine Woche, in der sie ihr Leben als freie Autorin mit mir teilte und in der ich Projekten selbstständiger Arbeit nachging. Eine Woche, in der dies mit Ausflügen, Bewegung, Genuss und spontan gewecktem Interesse – Lernen – vereinbar wurde: mein Labor für die Arbeit der Zukunft.