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Karriere und MS – kann man machen, muss man aber nicht

Ich bin sehr stolz, sagen zu dürfen, dass ich von Haus aus examinierte Krankenschwester bin. Es war zwar nicht mein Traumberuf – ich wollte eigentlich mal Schauspielerin werden –, aber 3 Monate im freiwilligen sozialen Jahr haben mir so viel Spaß gemacht, dass ich die Ausbildung begonnen habe.
Mein erster Praxiseinsatz war übrigens in der Neurologie. Hier bin ich das erste Mal in Kontakt mit an MS erkrankten Patientinnen und Patienten gekommen. Das war 1996 und damals gab es von der Schulmedizin noch nicht so viele Alternativen zu Kortison. Als ich 1999 mein Examen gemacht habe, war mir klar, dass Krankenschwester die richtige Berufswahl gewesen war. Da es mir aber auch immer sehr viel Spaß gemacht hat, anderen etwas beibringen zu dürfen, war es mein Plan, erstmal zu arbeiten und dann nach gesammelter Berufserfahrung Pflegepädagogik zu studieren.
Dass ich sechs Monate später selbst im Krankenhaus liegen würde, hätte ich damals im Leben nicht gedacht. Diese Erfahrung wollte ich eigentlich nie machen. Ich lag in einem 5-Bett-Zimmer, zusammen mit drei Frauen über 80 und einer 30-Jährigen mit Parasiten im Kopf (nach einem Urlaub in Afrika). Nach einer Woche mit 5 g Kortison intravenös, einer Lumbalpunktion, einem MRT und ganz viel anderer Diagnostik wurde ich mit einer entzündlichen ZNS-Erkrankung mit unklarer Genese entlassen. Nach nur vier Monaten hatte ich schon den nächsten Schub. Wieder Lumbalpunktion und MRT und dann auch die Diagnose MS. Zu diesem Zeitpunkt wurde ich auch auf meine erste Basistherapie eingestellt. Denn im Gegensatz zu 1996 waren jetzt die Interferone als Therapie bei MS zugelassen.
Schon ein Jahr und vier Schübe später war es klar, dass der Schichtdienst für meine MS Gift ist und ich nicht mehr in meinem Beruf arbeiten können würde. Ich hatte da noch den Plan, Pflegepädagogik zu studieren. Nur zu schade, dass ich nicht zugelassen wurde, da ich nicht genug Berufserfahrung aufweisen konnte. Bämm! Und nun?
Ich habe dann mal geschaut, was ich denn machen kann, wo mir meine Ausbildung auch noch zugutekommt. Ich habe dann vom Studiengang der Gesundheitsökonomie in Köln gehört und dachte, dass das auf jeden Fall das Richtige für mich ist, da es etwas mit Gesundheit zu tun hat. Dass es mehr mit Ökonomie zu tun hatte als mit Gesundheit, war mir damals noch nicht klar, aber das nur am Rande. Auch im Studium habe ich noch Schübe gehabt, meine MS war sehr aktiv. Aber nach 13 Semestern hatte ich mein Diplom in der Tasche und habe auch sofort einen Job an der privaten Uni Witten/Herdecke am Kölner Standort bekommen. Der Start in die Karriere?
Was bedeutet eigentlich Karriere? Das Hochklettern einer hierarchischen Leiter im Beruf? Ich würde sagen, dass Karriere in den meisten Berufen auch mit mehr Arbeitszeit verbunden ist. Wer viel seiner Freizeit opfert, kann auch Karriere machen. Viele, die schon sehr weit oben angekommen sind, haben beim Verlassen des Büros noch immer keinen Feierabend. Man kann ja heutzutage so einfach auch von zu Hause arbeiten. Da ist die Gefahr groß, dass die wöchentliche Arbeitszeit in den Himmel wächst.
Habe ich mich gegen eine Karriere entschieden? Ja, das habe ich. Wegen meiner Erkrankung? Nein! Mein ehemaliger Chef an der Uni hätte es sehr gerne gesehen, wenn ich nach meiner Promotion auch noch habilitiert hätte. Das hätte aber neben meiner normalen Arbeitszeit noch einiges an Freizeit und somit Familienzeit gekostet. Ich habe 2008 geheiratet und 2010 wurde unsere erste Tochter geboren. Die Familienzeit wurde mit der Geburt unserer Tochter noch wertvoller. Uns war auch sehr schnell klar, dass wir gerne auch ein zweites Kind haben möchten, und somit wurde 2013 unsere zweite Tochter geboren. Ich bin dann nach der Elternzeit nicht wieder zurück in die Uni, sondern habe in Bonn einen neuen Job im öffentlichen Dienst begonnen.
Jetzt schreien wahrscheinlich viele direkt, dass man auch Familie und Karriere unter einen Hut bekommt. Das ist aber bei einem chronisch kranken Menschen dann doch etwas anders. Ich muss ja auch noch meine Therapien in meinem wöchentlichen Stundenplan unterbringen. Zu meinem wöchentlichen Stundenplan gehören 2-mal Krankengymnastik die Woche, meine wöchentliche (Teilzeit-)Arbeitszeit und natürlich die Termine unserer Töchter. Jetzt werden die Mädels auch älter und selbstständiger, aber wir müssen und wollen in vielen Lebenslagen noch für sie da sein.
Als ich gefragt wurde, über dieses Thema zu schreiben, musste ich direkt an den kleinen Film von „1.000 Gesichter“ denken, der von mir zu diesem Thema gedreht wurde. Das ist jetzt vier Jahre her. In dem Portrait wurde ich auf meiner Arbeit begleitet und es wurde gezeigt, wie ich den Beruf, die Familie und MS wuppe. Der eventuelle Wunsch nach Karriere war damals aber keine Frage. (Es war aber auch für mich nie eine Frage.) Ich bin seit dem Filmdreh beruflich in einer anderen Abteilung, meine Kinder sind beide in der Schule und meine MS ist blöderweise schlechter geworden.
Wäre es mir möglich, Karriere zu machen? Sicher! Aber zurzeit möchte ich lieber Karriere in der Familie machen. Ich arbeite in Teilzeit ... wieso? Ich mache meine Arbeit sehr gerne, aber meine Familie ist mir einfach wichtiger.
Ich würde also nicht behaupten, dass die MS daran schuld ist, dass ich nicht Vollzeit arbeiten kann. Es ist mein eigener Wunsch, eine 4-Tage-Woche zu haben und Zeit mit der Familie zu genießen. Ich habe damit aber auch etwas Zeit für mich selbst. Die Kinder sind in der Schule, mein Mann arbeitet und ich kann auch mal einfach das machen, wozu ich Lust habe. Die MS macht einige Dinge in meinem Leben, in meinem Familienleben und meinem Beruf, etwas schwieriger und manchmal läuft alles etwas langsamer. Die MS macht meinen Beruf eventuell etwas aufwendiger, aber sie ist nicht die Hürde, um Karriere zu machen.
Für mich ist meine Lebensqualität einfach das Wichtigste. Meine Lebensqualität ist eine Mischung aus Familie, Freizeitvergnügen, aber auch die Arbeit. Alles muss stimmen, damit ich mich wohlfühle und glücklich bin. Zurzeit gehört Karriere einfach nicht dazu.

GZDE.MS.20.02.0121