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How are you?

Was erwarte ich eigentlich von meinen Mitmenschen, wenn ich ihnen sage, dass ich Multiple Sklerose habe?
Ich muss gestehen, ich weiß es nicht.
Manchmal denke ich, ich will, dass sie gefälligst schockiert und entsetzt sind. Das spiegelt dann mein eigenes Gefühl wider, als ich die Diagnose erhielt.
Fühle ich mich dann besser? Ein wenig schon. Weil es berechtigt scheint, weil ich selber so schockiert und entsetzt war.
Es kränkt mich tatsächlich, wenn sie wenig bis gar nicht reagieren. So, als wäre es nicht wichtig oder nicht schlimm.
Das ist nun wieder auch ein wenig schräg.
Ich bin beleidigt, weil andere Menschen es nicht schlimm finden, dass ich MS habe?
„Finde es gefälligst schlimm! Ich finde es ja auch schlimm! Dann ist es doch das Mindeste, dass du das gefälligst auch so würdigst!“
Selbstmitleid
Ja, habe ich auch manchmal. Ich tue mir selber leid und dann tut es gut, wenn ich anderen auch leidtue.
Ganz besonderer „Balsam auf die geplagte MS-Seele“ sind allerdings solche Statements von gesunden Mitmenschen wie:
Zum Thema Fatigue:
„Müde bin ich auch den ganzen Tag! Das liegt am Wetter.“
Zum Thema Gangstörung:
„Ich laufe heute auch so komisch. Das liegt auch am Wetter.“
Zum Thema Gedächtnis:
„Ich vergesse auch laufend was! Das tut doch jeder!“
Zum Thema Blase:
„Ich muss heute auch dauernd rennen! Das liegt am kalten, feuchten Wetter.“
Das ließe sich beliebig fortsetzen.
Da muss ich nun tatsächlich gestehen, bei solchen Antworten könnte ich ausflippen! Jemanden erwürgen, der gerade des Weges kommt, oder vors Schienbein treten.
Mache ich natürlich nicht. Aber ich habe eine Art „Tilt! Game over!“-Schild vor dem Kopf.
Ich habe das für mich anders entschieden:
Ich erkläre gar nichts mehr. Ich kläre nicht auf, ich verbessere niemanden mehr, der meint, MS sei Muskelschwund, die Unwissenden sterben sowieso nicht aus.
Macht es einen Unterschied, ob mein Gegenüber meint, ich hätte Muskelschwund, obwohl es die Nerven sind, die Rambazamba veranstalten? Für mich nicht.
Ich bekam ernsthaft den Rat, an einen längst verstorbenen Wunderheiler zu glauben oder mir Chia-Samen unters Müsli mischen zu müssen und schon wird alles gut.
Es ist okay, wenn Menschen fest daran glauben, dass es ihnen damit besser geht. Aber sollen sie mich damit in Ruhe lassen, ich melde mich dann schon, wenn ich was wissen will.
Ich sehe meinen Auftrag nicht darin, die Menschheit aufzuklären, zu bekehren oder sonst wie schlauer zu machen.
Heute gibt es unendlich viele Möglichkeiten, sich zu informieren. Es ist das mangelnde Interesse oder die mangelnde Bereitschaft, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, die für die Unaufgeklärtheit der Menschen außerhalb des MS-Universums verantwortlich sind.
Wenn mich heute jemand fragt, wie es mir geht, dann antworte ich mit einem knappen „Gut“.
Mein Gegenüber ist zufrieden und ich muss mich nicht über (aus meiner Sicht) doofe Antworten ärgern. Und meine Gesprächspartner sind sichtlich erleichtert, dass ich ihnen nichts von Symptomen, Blasenstörungen, Latsch- und Gangproblemen oder miesen MRTs erzähle.
Das wollen die gar nicht wissen, die Frage nach dem Befinden ist nur eine Floskel, wie in vielen anderen Sprachen auch.
„How are you?“
„Thanks, I᾽m fine.“

Es ist eigentlich ganz einfach:
„Echt. MS?“
„Jo, gibt aber Schlimmeres …“
GZDE.MS.18.06.0428