Kintsugi – Zerbrochenem neues Leben geben

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Zusammengeklebte Schale

Ärgerst Du Dich, wenn eine schöne Keramik zerbricht oder Porzellan einen Sprung bekommt? Dann solltest Du Dich einmal mit Kintsugi beschäftigen. Die japanische Reparaturkunst verhilft nicht nur Scherben zu neuer Schönheit, sie kann auch unseren Blick auf das Leben erweitern: Auch wenn unerwartet eine Krankheit so manchen Lebenstraum zerstört, bietet sie doch oft zugleich die Chance auf eine neue, befriedigendere Lebenseinstellung.

Aus dem Japanischen übersetzt bedeutet Kintsugi so viel wie „goldene Verbindung“ oder „Goldreparatur“. Der Name signalisiert bereits, dass dabei etwas Zerbrochenem auf eine sehr edle Art und Weise neuer Glanz verliehen wird. Tatsächlich handelt es sich um eine traditionelle japanische Reparaturmethode, bei der mit viel Kunstfertigkeit zersprungene Keramik repariert wird.1

Dies geschieht so, dass die Risse und Bruchstellen nicht nur bewusst sichtbar bleiben, sondern durch das Hervorheben mit Gold- und Silberpigmenten im Lack erst eine einzigartige Schale oder Schüssel oder ein sehr besonderer Teller entsteht. Der Reparaturprozess ist aufwendig: So wird der spezielle japanische Lack „urushi“ in mehreren Schichten auf die Bruchstellen aufgetragen, mit Gold- und Silberpigmenten bestäubt und poliert. Die Bruchstellen werden zusammengefügt und der reparierte Gegenstand erhält ein neues Aussehen, das in seiner Ästhetik dem zerbrochenen Original in nichts nachsteht.1

"Kintsugi hat die Kraft, unserer Geschichte einen neuen Bezugs­rahmen zu geben."3

Aus alt mach neu – schöner als zuvor

Allerdings geht es um mehr als nur um das Reparieren von zerbrochenem Porzellan: Laut Muneaki Shimode, einem Kintsugi-Meister aus Kyōto, steht nicht die Ästhetik der reparierten Keramik im Vordergrund, sondern „die Bedeutung, die der*die Betrachter*in durch das Objekt erfährt“.1 Der ursprüngliche Makel hat sich somit umgekehrt in eine besondere Schönheit.

Hinter dem Gedanken der „Schönheit im Makel“ steht das Konzept „Wabi-Sabi“, das darauf abzielt, die Schönheit im Vergänglichen, Alten oder Fehlerhaften zu verstehen: „Eine einst zerbrochene Teeschale ist nicht minder wert als eine makellose, neue Schale. Vielmehr erlangt die Schale durch die aufwendige Restauration einen einzigartigen Status, dessen Wert kaum einzuschätzen ist.“1 Mit anderen Worten: Statt die Bruchstellen als Makel zu verstehen und bei der Reparatur so gut wie möglich zu verbergen, werden sie durch Kintsugi besonders hervorgehoben und so aufbereitet, dass quasi ein neues, einzigartiges Kunstwerk entsteht.

Unvollkommenes annehmen und wertschätzen

Wabi-Sabi kann damit auch als eine Lebensphilosophie verstanden werden: Statt Zerbrochenes zu betrauern, lehrt sie uns, Unvollkommenes anzunehmen, ihm zu einer eigenen Ästhetik zu verhelfen und es wertzuschätzen.2

So entsteht eine neue Wahrnehmung der Schönheit des Vergänglichen und der Unvollkommenheit – eine für uns ungewohnte Perspektive. Sie lässt sich auf viele Lebensbereiche bis hin zur Wahrnehmung von Gesundheit und Krankheit und deren Konsequenzen anwenden. Sie kann uns Kraft geben, Lebensbereichen, die wir zunächst als „zerbrochen“ erleben, eine neue Wendung zu geben und eine neue Sichtweise auf das veränderte Leben zu eröffnen.

Quellen:
1 Japandigest, https://www.japandigest.de/kulturerbe/geschichte/ kunsthandwerk/kintsugi/, letzter Zugriff: 21.04.2023;
2 Philosophie-Magazin, https://www.philomag.de/artikel/kintsugi-der-schoene-verschleiss, letzter Zugriff: 21.04.2023;
3 Narben aus Gold – Kintsugi als Metapher für unser Leben, https://finde-zukunft.de/blog/narben-aus-gold-nbspkintsugi-als-metapher-fr- unser-leben, letzter Zugriff: 21.04.2023.

MAT-DE-2301490-2.0-05/2023