Therapeutisches Reiten MS - Therapie hoch zu Ross

5 Min. Lesezeit

Mädchen mit Mütze lacht mit Freunden im Hintergrund

Für viele üben Pferde eine ganz eigene Faszination aus. Als tiergestützte Therapie können sie auch bei der Behandlung von Multipler Sklerose zum Einsatz kommen. Denn durch die pferdgestützte Therapie können Deine Symptome der MS gelindert und es kann dem Fortschreiten von Behinderungen vorgebeugt werden.

In früheren Zeiten wurden Pferde insbesondere als Nutztiere und Transportmittel eingesetzt, heutzutage spielen sie vor allem im Reitsport eine Rolle. Pferde können aber durchaus auch therapeutische Bedeutung haben. Das wird bereits durch die Begriffe der pferdgestützten Physiotherapie (Hippotherapie) sowie der pferdgestützten Ergotherapie ausgedrückt.

„Darüber hinaus bietet der Pferdesport Menschen mit Behinderung gute Voraussetzungen dafür, in ihrer Freizeit sportlich aktiv zu werden“, berichtet Elke Lindner vom Deutschen Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR), das vor über 50 Jahren gegründet wurde – damals mit dem Schwerpunkt auf der Hippotherapie. Inzwischen werden unter anderem auch die pferdgestützte (Heil-)Pädagogik, die pferdgestützte Traumapädagogik sowie die pferdgestützte Psychotherapie praktiziert. Vorerfahrungen mit dem Reiten sind bei keiner der Therapieformen erforderlich.

Im Schritt am Langzügel

Doch zurück zur pferdgestützten Therapie und konkret zur Hippotherapie: Es handelt sich um eine physiotherapeutische Behandlungsmaßnahme auf neurophysiologischer Grundlage auf dem Pferd. Die durchführenden Physiotherapeut*innen/vollapprobierten Ärzt*innen haben eine spezielle Zusatzqualifikation erworben. Die Hippotherapie erfolgt aufgrund einer ärztlichen Verordnung.

Bei der Hippotherapie wird das Therapiepferd mit dem*der Patient*in auf seinem Rücken in der Gangart Schritt am Langzügel geführt. Neben dem*der Therapeut*in assistiert dabei mindestens eine erfahrene Begleitperson bei der Pferdeführung. „Es werden dabei nur Pferde eingesetzt, die sehr gut für die pferdgestützte Physiotherapie ausgebildet sind und die äußerst sensibel mit den Patient*innen umgehen“, so Lindner.

Die in der Hippotherapie durchgeführte physiotherapeutische Behandlung richtet sich nach dem Befund, der im Einzelfall vorherrschenden Symptomatik und selbstverständlich auch nach der Tagesform des*der Patient*in.1

Besseres Gleichgewicht, weniger Fatigue und mehr Lebensqualität

Die Hippotherapie macht sich die dreidimensionalen Schwingungsimpulse des Pferderückens zunutze. Der therapeutische Effekt beruht unter anderem auf der unmittelbaren Übertragung dieser Schwingungen und Bewegungen, die vom Pferd in der Gangart Schritt ausgehen, auf die auf dem Pferd sitzende Person.

„Behandelt werden hauptsächlich neurologische Symptome und bestimmte Erkrankungen und Schädigungen des Zentralnervensystems und des Stütz- und Bewegungsapparates“, sagt Lindner. „Die Hippotherapie bietet dabei wie keine andere Behandlungsmethode Menschen mit unterschiedlichsten neurologischen Bewegungsstörungen und dadurch gestörter oder verloren gegangener Gehfähigkeit eine harmonische Fortbewegung im Raum in einem komplexen, gangphysiologisch ablaufenden Bewegungsmuster.“

"Die Hippotherapie verbessert nachweislich das Gleichgewicht, die Fatigue, die Spastizität und die Lebensqualität."

Dass die Hippotherapie eine effiziente Behandlungsmethode bei MS darstellt, wurde bereits in wissenschaftlichen Untersuchungen belegt. So hat eine klinische Studie gezeigt, dass eine wöchentlich durchgeführte Hippotherapie in Kombination mit der üblichen Standardtherapie der MS statistisch eindeutig (signifikant) das Gleichgewicht von Betroffenen verbessert und ebenso die rasche Ermüdbarkeit (Fatigue), die Spastizität und auch die Lebensqualität.2

Das deckt sich laut Lindner mit den Erfahrungen im Alltag: „Die Patient*innen verbalisieren meist sehr rasch, dass ihnen die Therapiemaßnahmen gut tun.“ Nicht praktiziert werden darf die Hippotherapie allerdings während eines akuten Schubs der MS.

Bessere Sensorik, Motorik und Körperwahrnehmung

Auf eine Verbesserung der Sensorik, der Motorik und der allgemeinen Körperwahrnehmung zielt die pferdgestützte Ergotherapie ab. Auch diese Behandlung wird von einem*r ausgebildeten Ergotherapeut*in mit einer Zusatzqualifikation in der ergotherapeutischen Behandlung mit dem Pferd durchgeführt und erfolgt auf Grundlage einer ärztlichen Verordnung. In der Ergotherapie wird dabei eng mit den betreuenden Ärzt*innen zusammengearbeitet.

Der therapeutische Effekt der Maßnahme beruht neben dem Umgang mit dem Pferd wie etwa der Vorbereitung im Pferdealltag unter anderem ebenfalls auf der Übertragung der dreidimensionalen Schwingungen und Bewegungen, die vom Pferd auf die auf ihm sitzende Person ausgehen. Das kann jedoch in den drei Gangarten Schritt, Trab und Galopp erfolgen.

Die pferdgestützte Ergotherapie wird üblicherweise wie die Hippotherapie als Einzelmaßnahme durchgeführt, ist aber zum Beispiel bei Kindern auch in Kleingruppen möglich.

Sportlich aktiv zu Pferde

Last, but not least bietet der Pferdesport Menschen mit Behinderung die Teilhabe am Sport. Denn mit dem Pferd können Menschen mit und ohne Behinderung in der Freizeit aktiv werden und die vielfältigen Disziplinen im Pferdesport gemeinsam ausüben. „Der Para-Pferdesport erfährt vor allem im Breitensport viel Zulauf“, erläutert Elke Lindner. Das Deutsche Kuratorium für Therapeutisches Reiten unterstützt nach ihren Angaben deshalb insbesondere den inklusiven Pferdesport: „Menschen mit und ohne Behinderung sollen gemeinsam am Sport partizipieren.“

Dass sich Reitsport und MS keinesfalls ausschließen, sondern sogar sehr gut zusammen funktionieren, belegen die Erfolge von Heidemarie Dresing und Regine Mispelkamp. Beide sind an MS erkrankt und aktiv und erfolgreich im Pferdesport: Heidemarie Dresing feierte im Jahr 2021 in Tokio mit 66 Jahren ihre paralympische Premiere in der Para-Dressur. Regine Mispelkamp holte sich ebenfalls 2021 die Bronze-Medaille im Dressurreiten bei den Paralympics.

Bild von Heidemarie Dresing und Regine Mispelkamp mit Pferd

Quellen:
1. Deutsches Kuratorium für Therapeutisches Reiten e.V. (DKThR), https://www. dkthr.de/therapeutisches-reiten/die-hippotherapie/, letzter Zugriff: 21.04.2023; 2. Vermöhlen V et al., Mult Scler 2018; 24 (10): 1375–82, doi: 10.1177/ 1352458517721354.

MAT-DE-2301490-2.0-05/2023