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Der Anfang vom Ende – Diagnose: Apokalypse!? Von wegen!

Ich mag krank sein, aber nicht schwach!

Das Gefühl der Endzeitstimmung beschreibt eigentlich sehr gut, wie ich mich im Januar 2017 fühlte – schockiert, endgültig am Boden zerstört, verloren – nicht in der Lage klar denken zu können: ein wahrgewordener Alptraum! Dabei war es gerade mal der Anfang einer sehr kräftezehrenden, nervenaufreibenden Reise sowie einer Entwicklung, die mich grundlegend verändert hat.

Dies ist meine Story: Mein Name ist Christian, ich habe MS und ich erzähle dir von meiner Reise durch die Anfangsjahre mit meiner chronischen Erkrankung.

Wie alles begann – das Melodrama nahm seinen Lauf

Nun, zwar habe ich die Diagnose Multiple Sklerose im Januar 2017 erhalten, aber das ist nur ein Teil meines Weges bis dahin gewesen. Denn die Diagnose war mehr ein Zufallsbefund, weil es mir anderweitig nicht besser ging. Um es zu erläutern: Im Jahr 2014 erlitt meine Familie gleich zwei Schicksalsschläge auf einmal. Zuerst musste meine Schwiegermutter viel zu früh aufgrund der Folgen einer Krebserkrankung gehen. Völlig unerwartet folgte ihr meine eigene Mutter sechs Monate danach durch eine verschleppte Grippe, die sich infolge zum Herzen schlich, und meine Mutter verstarb an einem Organversagen. Es ging so schnell, dass wir nicht mehr die Gelegenheit hatten, uns voneinander zu verabschieden.

Diese beiden Todesfälle warfen mich in ein derart tiefes Loch, dass ich nicht mehr bereit war, meinen eigenen Weg weiterzugehen. Ich war am Ende. Mithilfe eines Therapeuten und den ersten medikamentösen Therapien versuchte ich, mich aus diesem Loch zu kämpfen, was mir durch mein Arbeitsumfeld erschwert wurde. Menschen neigen dazu, die Schwächen anderer Menschen auszunutzen. Das tat man leider bei mir, was meine Erkrankung immer weiter vorantrieb. Hätte ich damals gewusst, dass die Depression nur ein Teil des Ganzen war ...

Letztendlich wurde ich arbeitsunfähig, weil alles um mich herum zu viel wurde. Der Druck, der Stress und die Frustration darüber, dass ich festsaß. Mein mich behandelnder Psychiater sah nur die Notwendigkeit in einer Einweisung in eine psychiatrische Tagesklinik. Dieser Herausforderung stellte ich mich widerwillig, weil es meiner Ansicht nach immer den „gesellschaftlichen Abstieg“ schlichtweg darstellte (heute denke ich komplett anders darüber!). Diese dreizehn Wochen meines Lebens halfen mir, psychisch wieder neuen Mut zu fassen, aber … neu gelernte Strukturen und Denkansätze auf das reale Leben anzuwenden, ist alles andere als leicht.

Die Diagnose – das Kind erhält seinen Namen: Nemesis

Raus aus der Klinik, rein in das Leben zurück. Dachte ich zumindest.

„Mission gescheitert“

Nach dem Aufenthalt in der Klinik ging es mir sogar noch schlechter, es war Weihnachtszeit. Die Zeit, in der ich meine Mutter verloren hatte. So wusste sich mein Arzt nicht anders zu helfen und riet mir, mich zu einem Radiologen zu begeben, sodass organische Schäden ausgeschlossen werden konnten. Dass er damals einen Verdacht (Januar 2017) hatte, wusste ich erst später.

So kam das eine zum anderen: Der MRT-Befund zeigte viele unterschiedlich große weiße Flecken, Angst machte sich in mir breit. Mein Psychiater, der auch Neurologe ist, fackelte nach Einsicht der Unterlagen nicht lange: Einweisung ins Krankenhaus. Im Krankenhaus wurde ich auf die typische Weise neurologisch untersucht und es wurde auch eine Untersuchung des Liquors durchgeführt. Die bis heute (2020) schmerzhafteste Erfahrung meines Lebens! Alle Testergebnisse ließen keinen Zweifel an der Diagnose: Multiple Sklerose.

Damals / Heute / Morgen?

Endzeitstimmung … Die Wände stürzten gefühlt auf mich ein, meine Welt brach zusammen, ich war kurz davor aufzugeben, verkroch mich in meiner Haut. Keine Medizin der Welt war stark genug. Alle Vorstellungen, Pläne und Wünsche für dein weiteres Leben fallen wie ein Kartenhaus in sich zusammen und das von jetzt auf gleich. Ein Schock, diese Diagnose und was man bis dato davon wusste; vor allem die Ängste dahinter, alles zu verlieren: das eigene Leben in Form von Qualität, Erfüllung und die eigene Selbstständigkeit, den Partner des Lebens. Immer wieder hat mein Innerstes um Hilfe geschrieen, dass mir jemand helfen soll.

Dieses Gefühl zog sich wie ein roter Faden durch die folgenden Monate: Alle möglichen Therapien wurden gestartet und wieder gewechselt. Durch zwei aufeinanderfolgende Schübe in jenem Jahr war mein rechtes Bein so stark betroffen, dass ich einen Gehstock brauchte und kurz vor dem Rollator war. Alles über 20 Meter ging nicht mehr. Mangelhafte Bewegung, Fatigue und schlechte Ernährung machten das Ganze auch nicht besser. Woher auch den Antrieb nehmen? Letztendlich sah ich dann im November 2017 aus wie ein bekanntes dickes sowie weißes Männchen auf Droge.

Eine neue Hoffnung? It isn‘t in my blood!

Eine erste positive Veränderung in meinem Leben war die Entscheidung, die Therapien anderweitig zu gestalten oder abzusetzen. Dadurch verlor ich meine ersten Pfunde, wodurch sich ein paar erste gute Gefühle bei mir einschlichen. Der Lichtblick in meinem bis dato 32-jährigen Leben war meine Hochzeit. Meinem Mann habe ich zu verdanken, dass ich trotz allen Schwierigkeiten nicht aufgegeben habe und wir uns zusammen durchgebissen haben. Für mich war es der Beweis trotz kleinerer Krisen, dass der Liebe und Freundschaft nichts im Wege stehen kann – vor allem nicht die MS.

Die ersten „Erfolge“ stellten sich ein, obwohl es für mich notwendige Kämpfe waren: Die Schwerbehinderung und die Erwerbsminderungsrente wurden anerkannt. Ein Grund zum Aufatmen und die Bestätigung dafür, dass sich das Kämpfen lohnt und Aufgeben niemals eine Option ist. Die Entscheidung zu kämpfen war die beste Entscheidung meines Lebens.

Die Kehrtwende: Genesis, mein neues „Ich“

Zwar habe ich auch heute noch viele Symptome und Folgeerscheinungen durch meine Nemesis, die mich tagtäglich daran erinnert, krank zu sein. Dennoch habe ich einiges für mich erkannt:

  1. Die MS ist ein Teil von dir, ob du das willst oder nicht. Also akzeptiere sie.
  2. Wenn du etwas erreichen willst, kämpfe darum und lass dich von niemanden aufhalten.
  3. Aufgeben ist keine Option, das liegt nicht in deinem Blut.
  4. Genieße dein Leben und höre niemals auf, Pläne zu schmieden.
Die Kehrtwende: Genesis, mein neues „Ich“

Mein Ausblick auf die Zukunft? Nach vorne!

Mittlerweile bin ich körperlich sowie äußerlich an einer Stelle angekommen, an der ich Stolz empfinde. Von einem sich selbst so empfundenen, über 110 kg schwerem „Monstrum“ zu einem Mann, der knapp unter 70 kg wiegt. Eine Transformation, mit der ich vor fast vier Jahren niemals gerechnet hätte.

Der neue Christian geht sogar noch einen Schritt weiter: Ich gehe den harten und beschwerlichen Schritt in Richtung „beach body“. Es ist bereits für einen gesunden Menschen eine harte Bewährungsprobe und erfordert viel Disziplin sowie Arbeit, so weit zu kommen. Nicht umsonst sieht nicht jeder Mensch so aus. Für einen chronisch Kranken liegt die Latte nochmal deutlich höher. Gerade deswegen will ich es schaffen, um es mir, aber vor allem anderen zu zeigen, dass man seine Träume verwirklichen kann. Egal wie schwer es auch sein mag!

Kein Problem! Diese Hürde werde ich auch meistern, denn ich habe gerade erst begonnen …

Euer Christian

Weg nach vorne

MAT-DE-2007291 v1.0 (01/2021)